Der Fingerabdruck des Urknalls
Was die Astrophysiker in der Antarktis wirklich entdeckt haben
Am Anfang stand der Urknall. Das gilt sowohl für unser Universum im großen als auch für die Kosmologie. Nachdem die Idee eines immerwährenden, sich nicht verändernden Weltalls in immer mehr Aspekten mit den Beobachtungen kollidierte, etablierte sich in den 1960er Jahren das schon 1931 von Georges Lemaître geprägte Konzept eines expandierenden Kosmos.
Als einer der wichtigsten Beweise für die anfänglich besonders explosive Phase der Inflation gilt die kosmische Hintergrundstrahlung. Sie ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als sich das Weltall gerade weit genug ausgedehnt hatte, um langsam durchsichtig zu werden. Während bis dahin Strahlung und Materie in einem Gleichgewicht gestanden hatten und Photonen sehr schnell wieder mit Masse wechselwirkten, wurde der Raum nun durchsichtig.
Die verbliebenen Lichtquanten, die damit ihre Freiheit erlangten, schwirren noch heute durch das Universum, und zwar in nicht geringer Anzahl: Pro Kubikzentimeter Vakuum zählt man im Mittel 400 Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung.
Allerdings sind sie durch die Ausdehnung des Weltalls einer Rotverschiebung unterworfen (wie das Feuerwehrauto allmählich tiefer klingt, das sich von uns entfernt). Ihre Frequenz sinkt also, ihre Wellenlänge steigt. Inzwischen sind sie damit im Mikrowellenbereich angekommen. Ein Schwarzer Körper einer Temperatur von 2,725 Kelvin (also knapp über dem absoluten Nullpunkt) würde Strahlung mit demselben Spektrum aussenden, deshalb ordnet man ihr eine Temperatur von 2,725 Kelvin zu.
Dass die kosmische Hintergrundstrahlung nicht im ganzen Weltall gleichförmig ist, wissen die Astrophysiker schon lange. Die größten Unregelmäßigkeiten ergeben sich aus der Bewegung der Erde relativ zum kosmischen Hintergrund. Zudem beeinflusst die Struktur des Weltalls (Galaxien, Schwarze Löcher...) über die Gravitation auch die Hintergrundstrahlung. Und schließlich gibt es eine Komponente, die sich direkt aus den Ereignissen während des Urknalls ableitet. Diese schwachen Temperaturschwankungen in einer Größe von etwa 0,001 Prozent, die etwa Aufnahmen der Satelliten Cobe und WMAP bestätigten, ergeben sich aus Dichteunterschieden im noch sehr jungen Universum.
Insgesamt jedoch ist das Universum erstaunlich isotrop - eine Eigenschaft, die nicht zu sehr einfachen Vorstellungen vom Urknall passt. Hätte sich die Ausdehnung in den allerfrühesten Phasen nur mit Lichtgeschwindigkeit vollzogen, wäre eine derartige Gleichförmigkeit unmöglich. Es muss deshalb eine Zeitspanne gegeben haben, in der das Weltall unter dem Einfluss einer heute nicht mehr existierenden (weil in ihre Bestandteile zerfallenen) Wechselwirkung weitaus schneller als mit Lichtgeschwindigkeit expandiert ist. Die Relativitätstheorie setzt dem keinen Widerstand entgegen, weil sie nur die Bewegung von Masse im Raum beschreibt, nicht aber die Expansion des Raums.
Die Gravitation als Tensorfeld
Diese Kraft könnte ein Skalarfeld gewesen sein, ein Feld also, dessen Wechselwirkung sich durch Multiplikation von Zahlen beschreiben lässt. Die meisten Forscher halten es jedoch für wahrscheinlicher, dass eine auf einem Tensorfeld basierende Wechselwirkung dahinter steckt. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Gravitation als Tensorfeld, auch die elektromagnetische Wechselwirkung lässt sich über Tensoren zweiter Stufe behandeln (Tensoren erster Stufe sind mit Vektoren vergleichbar, Tensoren zweiter Stufe mit Matrizen).
Wenn nun tatsächlich im frühen Kosmos eine solche Kraft gewirkt hat, sollten sich noch heute ihre Spuren nachweisen lassen. Die Theorie weiß dazu, dass ein Tensorfeld zweiter Stufe, wie die Gravitation es darstellt, bei einer Wechselwirkung mit Photonen (also elektromagnetischer Strahlung) zu einer ganz bestimmten Polarisation dieser Strahlung führen muss.
Der Nachweis?
Und tatsächlich konnten Astrophysiker mit Hilfe des BICEP2-Teleskops in der Antarktis (BICEP steht für "Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarisation") diesen Effekt nun nachweisen. Dazu mussten sie die kosmische Hintergrundstrahlung in möglichst leeren Bereichen des Weltalls in möglichst hoher Genauigkeit (bis auf den 10-Millionsten Teil eines Kelvin) analysieren und dabei auch noch sämtliche Fehlerquellen ausschließen. Die Ergebnisse dieser drei Jahre dauernden Arbeit sind allerdings vorläufiger Art. Ein Paper ist zwar online veröffentlicht (PDF), doch noch in keinem der großen Magazine mit Peer-Review.
Spannend wird es, wenn später im Frühjahr die Daten des Planck-Experiments veröffentlicht werden, das sich ebenfalls mit der Polarisierung der Hintergrundstrahlung befasst. Falls sie zum selben Schluss kommen, haben die Forscher nicht nur die gängige Vorstellung vom Ablauf des Urknalls bestätigt - sie haben auch erstmals tatsächliche Hinweise auf Gravitationswellen gefunden, die sich bisher jeder Entdeckung widersetzt haben.
Ein direkter Beweis für ihre Existenz steht allerdings damit immer noch aus: Immerhin wäre ja denkbar, dass die Polarisierung der Hintergrundstrahlung einem anderen Tensorfeld zuzuordnen ist. Noch spannender wird es für die Physiker allerdings, sollte das Weltraumteleskop Planck, dem eine höhere Genauigkeit zugetraut wird, die Daten des BICEP2-Teleskops nicht bestätigen: Dann wird es wohl Zeit für eine neue Physik.