Der Fluch des Öls in Kasachstan
Gewaltsame Proteste von Öl-Arbeitern und mindestens 15 durch Polizeikugeln getötete Demonstranten stellen das System von Präsident Nursultan Nasarbajew vor eine schwere Prüfung
Die Lage im Westen Kasachstans, wo bei Protesten von entlassenen Ölarbeitern in der westkasachischen Stadt Schanaosen am vergangenen Freitag nach offiziellen Angaben 15 Menschen getötet und 99 verletzt wurden, scheint sich jetzt zu stabilisieren. Korrespondenten der russischen Zeitungen Kommersant und Iswestija berichten unter Berufung auf Augenzeugen, dass die wirkliche Zahl bei zwischen 30 und 70 Toten liege.
Am Sonnabend verhängte der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew für die Unruhe-Stadt Schanaosen den Ausnahmezustand. Den Angehörigen der bei den Unruhen Getöteten versprach der Präsident finanzielle Unterstützung. Eine staatliche Kommission soll die Vorgänge in der Unruhe-Stadt untersuchen. Nasarbajew erklärte in einer Fernsehansprache, "Banditen" hätten einen Arbeitskonflikt der Ölarbeiter für ihre Interessen ausgenutzt.
Kasachstan war bisher der stabile Pol in Zentralasien. Aufgrund der Einnahmen aus dem Öl- und Gas-Geschäft erlebte das Land in den letzten 15 Jahren einen Wirtschaftsboom (Rohstoffpartner Kasachstan). Doch die Finanzkrise wird die Einnahmen aus dem Energie-Export jetzt schmälern, meinen Experten.
Opposition fordert Beteiligung an Untersuchung der Unruhen
Aufgrund der Vorgänge in Schanaosen haben nun verschiedene Vertreter der Opposition in Kasachstan die Absetzung der für den 15. Januar angesetzten Parlamentswahlen, einen Trauertag und eine Untersuchungskommission unter Einschluss von Nichtregierungsorganisationen gefordert.
Die Stadt, in der es zu den für ganz Kasachstan dramatischen Ereignissen kam, ist für Vertreter der kasachischen Opposition, die sich vor Ort ein Bild machen wollten, immer noch geschlossen. Am Sonntag wurden Journalisten der russischen Zeitungen Iswestija, Kommersant und der Internetzeitung Lenta.ru für mehrere Stunden festgenommen. Internet und Mobilfunk in Schanaosen sind außer Betrieb.
Proteste in anderen Städten
Die Vorgänge in Schanaosen lösten auch in anderen Städten West-Kasachstans Proteste aus. Am Sonnabend blockierten 300 Demonstranten im Ort Schetpe einen Eisenbahnzug. Die Polizei setzte wiederum Schusswaffen ein. Ein Demonstrant wurde getötet. Am Sonntag gingen in der Stadt Aktau 1.000 Menschen auf die Straße und forderten, die Informationssperre über Schanaosen aufzuheben. Auch heute - Dienstag - haben sich 400 Protestierende in Aktau versammelt.
Der Innenminister von Kasachstan, Kalmuchambet Kasymow, erklärte in Aktau gegenüber Journalisten, die Polizei hätte in Schanaosen zuerst das Feuer eröffnet. "Sie hatten keinen Befehl. Jeder Mitarbeiter der Polizei hat die Entscheidung eigenständig getroffen, ausgehend von der Einschätzung der Sicherheit", zitiert das oppositionelle Internetportal Respublika den Innenminister.
Wie die Unruhen in der westkasachischen Stadt Schanaosen am vergangenen Freitag genau begannen, ist bisher nicht genau geklärt. Auf Videos im Internet ist zu sehen, wie Ölarbeiter auf dem zentralen Platz der Stadt eine Bühne stürmten, auf welcher der 20. Jahrestag Kasachstans gefeiert werden sollte. Die Arbeiter trugen die rot-blaue Arbeitskleidung des Öl-Unternehmens Osenmunajgaz. Viele der Protestierenden sollen bereits ihren Arbeitsplatz verloren haben. Die Arbeiter hielten den Zentralen Platz der Stadt seit mehreren Monaten besetzt.
Die Polizei reagierte hart. Polizeiautos fuhren in die Menge. Es waren Schüsse zu hören. In einem Video des oppositionellen Fernsehsenders "K +" ist zu sehen, dass sich an den Angriffen auf ein Polizeiauto schwarzgekleidete und zum Teil maskierte Männer besonders aktiv beteiligten. .
Nach Meldungen in sozialen Netzwerken wurden die gewalttätigen Auseinandersetzungen von 30 schwarz gekleideten Personen initiiert. Dass der Protest sich innerhalb von Stunden auf die gesamte Stadt ausweitete, der Sitz der örtlichen Ölfirma und das Rathaus in Brand gesetzt und 44 weitere Gebäude beschädigt wurden, führte in den russischen Medien zu Spekulationen, an den Protesten könnten Provokateure und radikale Islamisten beteiligt sein.
Gerüchte über Hintermänner
Am weitesten ging der Moskauer Politologe Juri Solosobow vom Institut für nationale Strategie. Der Politologe erklärte gegenüber der Nesawisimaja Gazeta, die Proteste in Schanaosen seien von dem ehemaligen Chef des Komitees für staatliche Sicherheit, Rachat Alijew, und dem Oligarchen Muchtar Abljasow gesteuert worden.
Der Politologe behauptete, ohne Belege zu nennen, hinter den Unruhen ständen nicht nur diese beiden Gegner des kasachischen Präsidenten, die jetzt in London leben, sondern auch Kräfte aus dem westlichen Ausland, welche die öl- und gasreiche Westregion Kasachstans vom Gesamtstaat abspalten wollten, um dort ein Marionetten-Regime zu errichten. In Libyen sei diese Strategie unter dem Stichwort Bengasi bereits angewandt worden.
Regierung tat nichts zur Schlichtung
Dass der seit Mai andauernde Arbeitskampf der Ölarbeiter im Westen Kasachstan, an der sich nach Gewerkschaftsangaben bis zu 16.000 Arbeiter beteiligten, nun in einen gewaltsamen Konflikt umgeschlagen ist, ist nach Meinung des Chefredakteurs der Internetportals Fergana.ru, Daniil Kislow, auch Schuld der kasachischen Regierung, die sich kein einziges Mal schlichtend in den Konflikt einschaltete. Die Arbeiter streikten für eine Erschwerniszulage, die ihnen schon 2009 von der Regierung zugesagt wurde. Ein Ölarbeiter verdient in Kasachstan heute 810 Dollar im Monat. Das Gehalt liegt über dem Landesdurchschnitt.
Die Regierung und die Ölunternehmen - an denen auch ausländische Investoren beteiligt sind - reagierten hart auf die Protestaktionen der Streikenden. Die Polizei löste in den letzten Monaten Versammlungen von Streikenden auf. 1.500 Ölarbeiter wurden entlassen. Die Gewerkschafts-Juristin Natalja Sokolowa erhielt eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren wegen des "Schürens von sozialem Hass". Im August dieses Jahres kam es zu zwei Morden. Der junge Gewerkschafts-Aktivist Schaksylyk Turbajew wurde getötet, unmittelbar nachdem er auf einer Gewerkschaftsversammlung die Abwahl eines arbeitgeberhörigen Gewerkschaftsfunktionärs gefordert hatte. Drei Wochen später kam es zu dem nächsten Mord. Man fand den Leichnam einer 18-Jährigen, die zuvor vergewaltigt worden war. Bei dem Mädchen handelte es sich um die Tochter des Vorsitzenden der Gewerkschaft im Öl-Unternehmen Osenmunajgaz.