Der Freiherr der Wissenschaft
Zum Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg
Der Hindukusch bleibt gefährlich, aber Waterloo lag diesmal in Bayreuth. Karl-Theodor zu Guttenberg konnte diese Bataillone aus Wissenschaft und Politik, die schließlich sogar aus dem eigenen Basislager verstärkt anrückten, nicht mehr länger aufhalten. Wissenschaft ist offensichtlich nicht sein "Ding", was sich nicht nur auf sein eindeutiges Fehlverhalten als Anwärter auf höhere Weihen, sondern vor allem auf sein danach an den Tag gelegtes Verständnis dieses von ihm so schändlich behandelten Betriebs bezieht. So entschuldigte er sich nassforsch und wollte fortan nur noch Politiker sein. Dieses Skript lieferte Bundeskanzlerin Merkel als höchst durchschaubaren Formelkompromiss, um nicht von einem politischen Persilschein mit höchst beschränkter Dauer zu sprechen.
Doch so einfach funktioniert das Wegtreten in ausdifferenzierten Gesellschaften nicht mehr: Wissenschaft ist ein eigenes, verfassungsrechtlich geschütztes System mit einer ausdrücklichen Freiheitsgarantie und lässt den Übergriff der Politik in ihren Hoheitsbereich grundsätzlich nicht zu. Guttenberg hat es zu weit getrieben, als dass es die Wissenschaft hinnehmen könnte. Anderenfalls bestünde die Gefahr für die Kaste der Mandarine, dass ihr schöner Betrieb, ihre Titel und Meriten unglaubwürdig sowie ihre lebenslänglichen Alimentationen unverdient erschienen.
Die Politik hat bekanntlich viel Training im Umgang mit Lügen, Betrug, Korruption und unverhohlener Vetternwirtschaft. Die Wissenschaft kennt auch "Menschliches Allzumenschliches", aber ist selten veranlasst, moralisch so elastisch bis offen amoralisch zu reagieren, weil hier das Leistungssystem - bisher jedenfalls - besser objektivierbar ist als in der Politik. Insofern saßen die gefährlichsten Gegner von Karl-Theodor zu Guttenberg von Anfang an nicht in den Reihen der Opposition, sondern in der Wissenschaft. Der Deutsche Hochschulverband-Präsident Bernhard Kempen gab die Losung des Systemwiderstreits von Politik und Wissenschaft so aus: "Es ist unerträglich, wie die Bedeutung der Wissenschaft und ihrer ehernen Gesetze politisch kleingeredet wird." Interessant ist also, dass die Politik das Ethik-Kapitel nicht wie so oft routinemäßig schließen konnte, so hochtourig auch die Bagatellisierungs- und Opportunitätsmaschinen liefen, weil sich die Wissenschaft in ihrem Eigen-Sinn nicht von der Politik priorisieren lässt.
Sterntaler-Theorie und andere Entschuldigungsfantasien
So unerklärlich (für Ungläubige) die Frage ist, wie die Jungfrau zum Kind kommt, so wenig verriet uns der Minister selbst, wie seine Fehler in jene Dissertation, die er als die seine bezeichnete, geraten konnten. Das war eine Unaufrichtigkeit der zweiten Ordnung. Der Staatsrechtler kennt den Begriff der "Arkanpolitik", einer Dunkelmännermethode des Staates, so wie sie etwa Venedig unter den Dogen praktizierte. Übersetzt: Nix genaues weiß man nicht - und vor allem will man es auch gar nicht wissen und zuallerletzt der augenscheinlich täuschungsbereiten Öffentlichkeit mitteilen.
Hier finden wir das Gegenprinzip zum vorgeblichen Selbstverständnis der Demokratie, das Ex-Ministerpräsident Roland Koch in der "brutalstmöglichen" Aufklärung zu finden glaubte. Wie vorsätzliche Fehler a la "Googleberg" unterlaufen können, ist schon als Frage ein Widerspruch in sich. Dr. Guttenberg attestiert dem Kandidaten der Staatsrechtswissenschaften Guttenberg, überfordert gewesen zu sein. Das kann schon mal passieren. Dann ereignen sich Fahrlässigkeiten. Die Übermüdung führt punktuell zum Crash mit der widerständigen Wirklichkeit. Vielleicht kann man in somnambulen Zuständen sogar zum Serienkiller werden, ohne dass ausschließlich dem Strafverteidiger dieser geniale Einfall kommt.
Aber selbst als geplagtem Familienvater und gestresstem Politiker fallen einem keine Fremdzitate wie Sterntaler aufs leere Blatt, die man urplötzlich oder besser gesagt: von einer juristischen Sekunde zur nächsten, für die eigenen hält. Jedenfalls müsste man sehr stillos sein, fremden Stil für den eigenen zu halten. Der Bayreuther Juraprofessor Oliver Lepsius attestierte dieser Billigvariante einer Entschuldigung "Realitätsverlust: "Er kompiliert planmäßig und systematisch Plagiate, und er behauptet, nicht zu wissen, was er tut. Hier liegt die politische Dimension des Skandals." Also nicht nur der eigentliche Aktus der unerfindlichen, dauerhaft verschleierten Textproduktion, sondern mehr noch die dilettantische "postproduction" der Abwiegelung war zum Scheitern verurteilt. Hatte er keinen Ghostwriter für die unselige Diss, so hätte einer für die Ehrenerklärungen und Absetzbewegungen durchaus Sinn gemacht, um den Eindruck zu vermeiden, dass einer gerade nur so viel sagt, wie er ohnehin zu sagen gezwungen ist.
Ehrlichkeit und andere Ersatzstoffe demokratischer Willensbildung
Die Moral in der Politik bzw. die Ehrlichkeit von Politikern ist ein Dauerbrenner der Politiktheorie. Das spricht entschieden für die Unklarheit der Problemstellung und zahlreiche Unwägbarkeiten, die für einen höchst ambivalenten Moralgebrauch sprechen. In diesem Diskurs ragt Niccolò Machiavelli heraus, der die Doppelbödigkeit des geschickt agierenden Fürsten als Strukturmoment effektiver Herrschaft begriff.
So richtig überzeugt hat das allenfalls Herrschaftszyniker. Dagegen wurde die Aufrichtigkeit von Politikern in den meisten, auch demokratischen Ansätzen später so behandelt, dass ein Mehr oder Weniger moralischer Standfestigkeit mit systemischen Funktionen in komplexer Beziehung steht. Selbst Niklas Luhmann war sich nicht so sicher in der Entwirrung dieser Gemengelage, in der das politische System selbst über die Behandlung ethischer Fragen, ihre Bedeutung und Reichweite, entscheide. Denn ist nicht gerade die Moral, in ihren verschiedenen Formen bis hin zum Volkszorn, die politische Bombe, die nicht nur Regierungen liquidieren kann, sondern auch systemtheoretische Differenzierungen, die immer zugleich ein Selbstschutz der Systeme sind, explodieren lässt? Versagt dann das politische System - zu Recht! - in seinem Versuch, das Maß von Ehrlichkeit für die je eigenen Zwecke zu dosieren?
Die Ehrlichkeit von Politikern wird zum Ersatzstoff, wenn Politik selbst notwendig unehrlich sein muss. Für den Bürger ist es eine je verdrängte Zumutung, sein kollektives Schicksal einer Politik zu überantworten, die in ihren Mitteln nicht allzu wählerisch sein darf, wenn es der Erfolg gebietet. Das führt zu der grotesken Unterstellung und Selbsttäuschung, eine ehrliche Haut, so wie sie vordem Guttenberg vorstellte, würde auch für eine ehrliche Politik stehen.
So schwadroniert man über die Moral von Politikern und blendet zugleich aus, dass die Politik in ihrem Vollzug amoralisch bis unmoralisch sein muss. Weniger hart formuliert: Politik muss sich die Option erhalten, moralische Skrupel ausblenden zu können. Diplomaten, die nicht lügen können, haben bekanntlich ihren Beruf verfehlt. Skandale gewährleisten einerseits, diesen lockeren Umgang mit fundamentalen Werten zu leugnen. Andererseits aber ziehen sie die Kritik von ihrem weniger spektakulären Hauptgeschäft ab, die Verhältnisse insgesamt als marode beschreiben zu können. "Watergate hurt; But nothing really ever changed." (Dead Kennedys).
Der Skandal garantiert also gerade den Systemerhalt. Das gesellschaftliche Betriebssystem bleibt dagegen unbeanstandet, wenn das moralische Aufmerksamkeitsspektakel der Medien sich vor die Selbstreflektion einer Gesellschaft schiebt. Zumeist ist der Erregungsgrad so hoch, dass die Selbsttäuschung gelingt, dass immer die anderen die dubiosen Figuren sind. Der Skandal ist das Brennglas, in dem eine Gesellschaft ihre Doppelmoral, die von Unmoral noch nie zu trennen war, besonders gut erkennen könnte.
Schwachstelle der Demokratie: Der überforderte Wähler
Ohne Mythen funktioniert Demokratie nicht. Ohnehin ist es die Frage, ob nicht der Mythos den wesentlichsten Anteil an unserem Demokratiebild hat. Solche Mythen wie dem vom starken, entschlossenen Volkstribun, dem klugen Strategen, dem vorsorgenden und fürsorglichen Hausvater sind affektiv stark abgesichert. Der zu wenig rezipierte Politikwissenschaftler Murray Edelman ging sogar davon aus, dass es im Wesentlichen projektive Muster sind, also die Überführung von inneren Spannungen und Unsicherheiten auf äußere Situationen.
Helden wie Karl-Theodor zu Guttenberg, die gegen eine Welt von Feinden bestehen, lässt man nicht so leicht fallen, weil er in den medial geblendeten Augen des Wählers zur Überfigur aufgeblasen wurde. Die Verteidigung besteht dann aus Erschöpfungsgesten des überforderten Zeitgenossen: Geklaut wurde doch immer. Ist Wissenschaft nicht ein gegenseitiges Geben und Nehmen, was für größere Geister als Guttenberg doch auch selbstverständlich schien.
In den Bildern der Gefühlspolitik vieler Wähler geht es schließlich um größere Dinge. Der Mythos des handlungsstarken Politikers reichte diesmal zum Schutz des Aristokraten nicht aus. Dass eine plagiierte Dissertation zum Anwendungsfall für die relativen Selbstreinigungskräfte der Demokratie würde, ist ungewöhnlich genug. Der Mehrheit fehlt der professionelle Bezug, in einer vermeintlichen Bagatelle Systemkritik zu betreiben, die weit über den konkreten Anlass hinausgeht. Insider sehen das notwendig anders. Blut nicht, aber Schweiß und Tränen sind oft genug Arbeitsmittel für wissenschaftliche Großtaten - unzählige abgebrochene Dissertations- und Habilitationsprojekte zeugen davon. Guttenberg hat dagegen hier offensichtlich die Sparversion bevorzugt.
Wer, wenn nicht der Wissenschaftsbetrieb selbst, besitzt schon die Wahrnehmung für das nicht immer leicht zu wahrende Ethos. Guttenbergs schneidiger Parcours durch fremde Textgebiete fiel nicht nur auf ihn zurück, der doch so unbedingt in jeder Facette seines elitären Seins Populismus verstrahlen will. Bei der Methode des Freiherrn geht es um die Prostitution des Wissenschaftsbetriebs, die unannehmbar ist, zumal Scharlatane und im großen Stil gefälschte Untersuchungsergebnisse immer wieder die gesellschaftliche Akzeptanz ramponieren.
Die juristische Fakultät Bayreuth hatte sich zunächst für eine unspektakuläre Skandalentsorgung entschieden, zudem nach GuttenPlagWiki ohnehin nicht mehr viel aufzuklären war. Aber das befriedigte nur jene populistischen Verteidiger des Herrn zu Guttenberg, die ohne ihre affektiven Scheuklappen trübselig würden. Die Aberkennung des Titels war nur die Spitze des Eisbergs. Wichtiger bleibt die Frage an den Betrieb, warum solches krude Patchwork überhaupt unbeanstandet passieren konnte.
Offensichtlich gab es im Falle des Ministers bestenfalls professorale Oberflächenlektüren, obwohl doch gerade der Wissenschaftsbetrieb das Ideal der eigenständigen Textschöpfung, des herausragenden Beitrags als so unverzichtbar darstellt. Wenn am Rande bemerkt die Arbeit den Hinweis auf den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags enthält, stellt sich die Frage, was Erst- und Zweitgutachter darunter verstehen durften. Schließlich handelt es sich hier um Texte, die nicht vorliegen bzw. aus allgemein zugänglichen Quellen nicht vorgelegt werden können. Vor allem aber ersparen sie just die eigenständige Gedankenarbeit, die doch einer leisten soll, während er bei solchen Aufträgen an seine "Wasserträger" das Thema vorgibt.
Solche Hinweise hätten bereits einen massiven Verdacht gegen die Gelehrsamkeit des Kandidaten begründen müssen. Haben sie aber nicht. Auch der honorige Doktorvater Peter Häberle hätte darauf reagieren müssen, warum er ausgerechnet diese zusammengeschusterte Copy- and Paste-Zettelsammlung mit dem Spitzenprädikat "summa cum laude" versehen hat. Denn im Prinzip bestand zum Zeitpunkt der Abgabe bereits die leichte Möglichkeit, die inkriminierten Stellen per Google aufzuspüren, wenn nicht die Welt der Alma Mater und des Adels so unverbrüchlich ihrem tradierten Glauben an die eigene Wirklichkeit folgten.
Dass man Pressetexte für wissenschaftlich hält, ehrt Journalisten, aber demonstriert zudem eindrücklich das fragile Wahrnehmungsvermögen von Wissenschaftlern für das eigene Geschäft. Insofern hat Guttenberg auch seinem Doktorvater (!) Häberle keinen reinen Prädikatswein eingeschenkt, was diesem nun nach längerem Aufenthalt in der Tauchstation so unangenehm aufstieß, um endlich die Mängel der Promotion als "schwerwiegend und nicht akzeptabel" zu bezeichnen. Quod erat demonstrandum.
"Ein Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie" (Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU)
Dieser Edelmann wäre zur Schwäche jeder zukünftigen Regierungsarbeit geworden. Vermutlich hat diese Karriere nicht nur ihr vorläufiges Ende gefunden. Welche Variante der Irrtümer auch immer zugrunde gelegt werden mag, ist für die Frage unerheblich, dass es nicht mit rechten Dingen zuging, was eine Dauerbelastung für jede denkbare politische Zukunft des Herrn Guttenberg bleibt.
Jederzeit kann und wird die Opposition mit Vorwürfen operieren, die Guttenberg auch dann noch diskreditieren, wenn er nach einer Auszeit, auf das schwache Gedächtnis der Öffentlichkeit hoffend, wieder aus der Versenkung auftaucht. Einige Politiker haben zwar mit deftigen Skandalen überlebt, wie es etwas der Sündenfall des Franz Josef Strauß in der Spiegel-Affäre zeigte. Aber es kommt immer kategorial auf die Natur des Skandals an. Der Skandal, der sich mit einer konkreten Amtsausübung verbindet, ist bedingt heilbar. Strauss hatte die Unwahrheit gesagt, als er den Spiegel wegen eines Artikels über die Verteidigungsbereitschaft in die Knie zwingen wollte und mit schneidigen Methoden die Redakteure bestrafte. Spiegelchef Rudolf Augstein erklärte später, Strauß habe gewusst, dass der inkriminierte Artikel keinerlei Staatsgeheimnisse enthalten habe:
Während der SPIEGEL-Affäre traten alle seine minderen Eigenschaften ans Licht: Draufhauen, Verschwörungsbesessenheit, Geheimdienst-Anbeterei, Rechtsverachtung, Skrupellosigkeit, Unfähigkeit zu jeder Selbstkritik, dazu eine außergewöhnliche Fähigkeit, sich und anderen in die Tasche zu lügen.
Mag sein, aber Franz Josef Strauß handelte im Rahmen der Amtsausübung und trat 1962 zurück, um 1966 als Bundesminister der Finanzen wiederaufzuerstehen. Ein persönliches Unwerturteil, das sich auf die Integrität des hinter dem Politiker stehenden Menschen richtet, ist dagegen nicht heilbar. Amt und Person werden auf dieser Ebene nicht mehr getrennt, so sehr die christlichen Parteien zunächst auf den schizophrenen Spagat zu hoffen schienen. In den Worten von Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf: "Der Mensch wird gemessen, nicht das Amt. Und der Mensch ist auch nicht teilbar."
Deswegen konnte Guttenberg seinen Fall nicht politisch folgenlos überstehen, es sei denn, mit der "Zwei-Körper-Theorie" (Christian Geyer, FAZ) würde Politik offen zu rigidesten Systemtheorie überlaufen, dass menschliche Eigenschaften sich in reine Funktionen auflösen. Die üblichen Goodwill-Aktionen schadeten Guttenberg mehr, als dass sie ihm nützten, denn sie besagten nur, dass die persönliche Integrität bei Leistungsträgern keine Rolle spiele. Das wiederum verbindet sich nicht mit dem herrschenden Politikertypus, der mehr als ein Apparatschik, mehr als ein funktionierendes Rädchen im Betrieb sein soll, sondern wie im vorliegenden seine Integrität, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit als politisches Credo so besonders hoch hängt.
Die Solidaritätsaktionen aus der Partei heraus waren strategisch plausibel, aber von Anfang an stellte sich die Frage, wann nach ersten Nadelstichen mit "Dolchstößen" zu rechnen war. Dass CDU/CSU in einer Drucksituation nicht umstandslos den Stab über ihren Sympathieträger brachen, lag auf der Hand politischer Selbsterhaltung. Alles andere würde als Schuldeingeständnis angesehen, zudem es - wieder so eine Kategorienverwechslung - schäbig wäre, Freunde in der Not hängen zu lassen.
Die öffentliche Promotion von "Felix Krull" zum "Betrüger"
Integrität ist eine schwierige Vokabel. Es geht um die Integrität, die einen demokratisch geformten Traum von einem politischen Führer plausibel macht. Menschen brauchen das. Wenn der Staat salbungsvoll wird und seine Heroen inszeniert, geht es vor allem immer um die Liturgie des Rudels. Guttenberg bot sich, Umfragen zu folgen, als diese Lichtgestalt an. Geblieben ist ein Minister a.D., der viele schönfärbende Formeln benötigte, um doch immer unglaubwürdiger zu werden.
Größe sieht auch in Mediendemokratien anders, ganz anders aus. Der Preis des Amtserhaltungsversuchs war zu hoch. "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht" sollte jetzt nicht mehr gelten. Das klang nicht nur wie eine "Causa Guttenberg, sondern eher wie eine "Lex Guttenberg". Doch die Angreifbarkeit dieses Ministers oder gar eines Bundeskanzlers Guttenberg schafft dauerhaft eine offene Flanke für jede Regierungsarbeit. Kein Bundeskanzler, der ein Kabinett bildet, kann sich diese Schwäche leisten.
Zwar war die unverzügliche Wagenburg-Reaktion von CDU/CSU politisch gut nachvollziehbar, wenn die Opposition auch nur ihren Reflexen, nach Rücktritt zu rufen, zu folgen scheint. Wer vermochte jeder denkbaren Opposition zu verbieten, diese Schwäche Guttenbergs dauerhaft zu massieren. Ohnehin war juristisch nicht klar, wie reagiert würde, wenn Guttenberg hier und dort und überall für alle Zukunft mit dem Vorwurf der Verletzung von Urheberrechten oder dem, eine Falschaussage gemacht zu haben, rechnen müsste. Verteidigt sich der Minister dann mit einer Unterlassungsklage, wie er es mit seiner Andeutung zum Thema "üble Nachrede" schon thematisierte? Und wie würden unabhängige Gerichte - andere gibt es nicht - in solchen Fällen entscheiden?
Offensichtlich hinderte das den Nachfolger des Häberle-Lehrstuhls, Oliver Lepsius, nicht, drastisch zu formulieren:
Wir sind einem Betrüger aufgesessen. Es ist eine Dreistigkeit ohnegleichen, wie er honorige Personen der Universität hintergangen hat.
"Dass der Bayreuther Jura-Professor Oliver Lepsius sich nun mit besonders aufschäumender Kritik an dem ehemaligen Doktoranden hervor tut, muss man in diesem Zusammenhang wohl als die Übersprungshandlung eines Menschen verstehen, der aus gutem Grund um seinen Ruf fürchtet", kommentierte Jan Fleischhauer vom Spiegel. Doch das erklärte diese Bemerkung nicht mal zur Hälfte. "Betrüger" heißt juristisch, dass einer täuscht und einen Vermögensschaden anrichtet. Das sagt ein Jurist dieser Klasse nicht von ungefähr, hier ging es bereits um den "Knockout". Und Oliver Lepsius scheute offensichtlich auch nicht das lachhafte Szenario einer Unterlassungsklage des Strauchelnden, um hier auf den dringend benötigten Klartext zu verzichten.
"Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" (Karl-Theodor zu Guttenberg zu seinem Rücktritt)
Casting-Gesellschaften prämieren Chuzpe. Aufdringliches Auftreten triumphiert: "Frech kommt weiter" hieß es in der Kaffeewerbung, die hier mehr soziologische Erkenntnisse bietet, als es Gesellschaften wahrhaben wollen. Zwischen Leistung und Anmaßung wird nicht mehr sauber getrennt.
"Schwamm drüber" war vordergründig eine erfolgsverdächtige Dreistigkeit des Ministers, der lediglich einräumte, "gravierende Fehler" gemacht zu haben und sich "aufrichtig und von Herzen entschuldigt" hat. Das entschuldigte indes gar nichts, sondern sollte nur über die Täuschung täuschen. Insofern hat Guttenberg von Anfang an in seiner Selbstverteidigung versagt, weil er nicht begriff, dass moralische Selbstinszenierungen sich nicht über jede Wirklichkeit hinwegsetzen können.
Das Ideal der Reklame hat die Politik noch nicht erreicht. Selbst die in breiten Teilen unkritische Öffentlichkeit hat hin und wieder lichte Momente, nicht die ganze Welt als Reklameorgie zu akzeptieren. Entscheidend war der Vertrauensverlust und die politische Opportunität, angreifbare Kantonisten nicht sofort, aber ein wenig später los zu werden. Dauerhaft bleiben die politischen Freunde dann keine mehr. Es war abzusehen, dass das Stigma wie bei allen Heiligen, auch denen, die dem Schein folgen, immer wiederkehrt.
"Es ist und bleibt ein Rätsel, wie jemand mit so etwas durchzukommen scheint", kommentierte Edo Reents in der FAZ. Sich auf seine Landgüter zurückzuziehen, wäre einfacher gewesen", sagte Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel zu Recht. Eine Neuerschaffung etwa als "Guttenberg II", von der Kommentatoren phantasierten, gibt es bei Terminatoren und Aliens. Aber die mediengerechte Selbstinszenierung, die leeren Entschuldigungen und politischen Durchhalteparolen zugunsten dieses Strahlemanns reichen nicht aus, die Unterschiede zwischen Politik und Film bzw. Showbusiness, zwischen Politik und Wissenschaft, zwischen strategischen Unwahrheiten und einem frechen Ausverkauf des Wählers völlig einzuziehen.
Zurück blieb eine für das politische Überleben nicht mehr lösbare Frage der Ehre. Keiner wüsste mehr, einen konsensfähigen Begriff der "Ehre", der "Aufrichtigkeit" und des Vertrauens anzugeben, wenn der Baron geblieben wäre. Diese Gesellschaft besitzt keine verbindliche Moral, was geradewegs das Kennzeichen moderner gesellschaftlicher Systeme ist. Das moralische Zwielicht, das wir bereits in der Theorie erkennen, ist aber gerade deshalb keine haltbare Verteidigungsposition für Politiker.
Zwar wissen wir, dass Täuschung eine menschliche Kondition ist, die evolutionär immer wieder erfolgreich ist. Aber kein Politiker kann für sich persönlich diese moralische Doppelbödigkeit reklamieren, die das System auszeichnet. Denn nur durch die echte oder gut inszenierte Aufrichtigkeit des Amtsträgers lässt sich die "höhere Amoralität" (Niklas Luhmann) des Systems erfolgreich kaschieren.
Wir haben viel gelernt in diesen Tagen. Von der "Abstrusität" der Vorwürfe führte ein leidlich gerader Weg in den politischen Orkus, den GuttenPlagWiki, die Wissenschaft und - last, but not least - auch politische Freunde dem nicht mehr verteidigungsfähigen Minister bereitet haben. Vertrauen bleibt bis auf weiteres eine demokratische Ressource, die nicht beliebig produziert oder ersetzt werden kann. Das reicht allerdings für einen fröhlichen Hinweis auf die Selbstreinigungskräfte der Demokratie nicht aus. Denn hier wurde zwar zu Recht ein Exempel statuiert, doch die Fährnisse der Demokratie sind gerade dort größer, wo die Kritik an den selbstgefälligen Mythen einer gerechten Gesellschaft folgenlos abprallt. Das eröffnet eben keine Kritik "ad hominem" wie hier, sondern dafür müsste man tief in das "bios" des Systems steigen und sich mit Strukturen befassen, die erheblich resistenter sind, als es dieser entzauberte Verteidigungsminister war.