Der Gipfel des Werbe-Olymp
Penetrante Online-Werbung
"Der Verkauf beginnt, wenn der Kunde 'Nein' sagt", lautet der Titel eines alten Marketing-Buches. Gleicher Ansicht ist bekanntlich auch so mancher Macho beim Baggern. Zu penetrante Werbung kann jedoch sogar bereits gewonnene Kunden wieder vertreiben - weshalb Unternehmensabteilungen mit Kundenkontakt wohl auch oft "Vertrieb" genannt werden.
Die Online-Branche steckt in der Krise. Zu viele haben versucht, im Internet heiße Luft zu verkaufen und so manches "Wir geben erst mal Geld aus, wir investieren und kurbeln die Wirtschaft an, denn Geld verdienen tun nur altmodische Weicheier"-Startup belebte schon nach kurzer Zeit die lasterhaften Seiten von Dotcomtod. Nur die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - ihrer Zeit wie immer um Jahre hinterher - wollen heute noch ins Internet, benutzen dabei allerdings auch ein die Pleite verhinderndes Zwangs-Finanzierungsmodell, das normalen Unternehmen verwehrt bleibt ...
Immer schwieriger wird die Lage für die echte Online-Presse: Im Gegensatz zu gedruckten Presseerzeugnissen sind Online-Magazine ja für den User gratis und ausschließlich werbefinanziert - Bezahlmodelle wurden oft versucht und sind fast immer gescheitert. Reine Werbefinanzierung ist durchaus kein völlig unmögliches Unterfangen - schließlich gibt es auch Gratis-Zeitungen sowie - im B2B-Bereich - auch Gratis-Zeitschriften, und da kommen ja noch Papier- und Transportkosten hinzu. Allerdings bringen gedruckte Anzeigen mehr Geld in die Kasse als die Online-Werbung und sind beim Leser auch wesentlich beliebter: Sie fallen zwar stets genau beim Besteigen der U-Bahn aus dem Blatt, blinken aber nicht und machen auch keine Geräusche! Selbst die Fernsehwerbung ist nach der Pinkelpause vorbei. Online-Werbung läuft dagegen konstant weiter.
Zudem wird der Erfolg von Online-Werbebannern nicht nur danach berechnet, wie oft sie gesehen werden, sondern vor allem danach, wie oft diese dann tatsächlich angeklickt werden - egal, ob der dahinterliegende Dienst dann auch tatsächlich in Anspruch genommen wird oder nicht. Besonders im Erotikbereich sind daher Fake-Banner üblich, die sich als Seitennavigation ausgeben - ein solcher war beispielsweise bei T-Online auf der Tarifwechselseite versteckt. Wer hier nicht genau hinguckt, landet nicht nur auf einer Seite, auf die er gar nicht wollte - er hat auch den eigentlich beabsichtigten T-Online-Tarifwechsel nicht ausgeführt. Die Überraschung und der Ärger mit der Hotline folgt dann einige Monate später...
Animated GIFs
Keilerei mit der Hotline ist generell schnell die Folge, wenn man solche Formulare ausfüllt. Es ist ja schon lästig genug, online Formulare auszufüllen, statt offline eine Mail zu schreiben, doch es wird bei Anfragen an Hotlines mittlerweile häufig verlangt. Auch wenn man nur eine Kleinigkeit melden will, sind so von Geburtstag über Bankkonto bis zur Schuhgröße etliche Felder auszufüllen. Und fast immer ist ein blinkendes, nervendes Werbebanner über oder unter dem Formular. Zunächst kann man dieses meist noch ignorieren, doch wenn man so ungefähr zehn Minuten an dem Formular herumgetippt hat und es immer noch blinkt und flackert, fällt einem meist entnervt ein, wie man Animated GIFs vom weiteren Animieren abhalten kann: Mit einem beherzten Druck auf die Escape-Taste!
Tja, und schon hält zwar das Animated GIF still - aber das Formular ist im selben Moment wieder jungfräulich leer und erwartet eine Neueingabe von Geburtstag, Bankkonto und Schuhgröße. Hotlineangestellte berichten denn auch immer wieder von ihnen völlig unverständlichen unflätigen Mails, in dem auf irgendein Werbebanner geflucht und im Überschwang auch gleich die Kündigung des Dienstes ausgesprochen wird. Auch hier bietet die Telekom in ihrem Rabattprogramm Happy Digits das passende schlechte Beispiel: Ausgerechnet beim Konzentration erfordernden Eintippen der persönlichen Buchungsdaten kämpfen mehrere Animated GIFs darum, den potentiellen Kunden zu irritieren und von der Anmeldung wegzulocken.
Nun, wenn die Werbetreibenden wollten, dass ihre flackernde Neonwerbung aufhört zu flackern, dann hätten sie diese auch so programmiert: Ein Animated GIF kann nämlich auf einen einmaligen oder mehrmaligen, aber auch auf einen endlosen Durchlauf programmiert werden. Es versteht sich von selbst, dass jeder Werbetreibende den supernervigen Endlos-Durchlauf programmiert, denn erst ein wütender Kunde ist ein guter Kunde ...
Flash oder Shockwave
Nun ist beim Bestreben, so penetrant wie möglich zu nerven, das Animated GIF erst der Anfang. Das bisherige Ende sind die aus dem Erotikbereich bekannten endlos aufpoppenden Fenster, die erst mit dem erfolgreichen Zusammenbruch des Browsers oder Absinken der Systemressourcen auf 0% aufgeben. Zwar wird der User so nie auf die beworbenen Seiten surfen, aber das macht nichts: Er hat dafür jede Menge Werbung gesehen - und dafür wird bezahlt. Den Geld spendenden Klick simuliert das Aufpopp-Programm nämlich gleich mit. Eine normale Website kann sich dies allerdings nicht leisten - hier muss man schon subtiler vorgehen beim Besucher-Vergraulen. Die Waffe der Wahl heißt dazu inzwischen Macromedia Flash oder Shockwave!
Flash könnte eigentlich ein sehr nützliches Format sein - es bietet skalierbare Vektorgrafik, Sound und Animation. Das erste bringt dem User wirklich etwas, ist also für die Werbebranche irrelevant und daher auch praktisch nirgends im Web zu finden. Aber die Animation hat den großen Vorteil, wesentlich schwieriger stoppbar zu sein als beim Animated GIF: Statt "Escape" muss es hier schon ein rechter Mausklick auf das Banner sein, woraufhin man "Abspielen" stoppen kann. Doch natürlich lassen nur Anfänger unter den Flashprogrammieren dem User diese Möglichkeit: Die "Besseren" zappeln auch mit abgeschalteter Animation weiter oder schalten das Menü kurzerhand ab.
Auch Microsoft und Intel mischen mit. Das Microsoft-XP-Banner poppt dabei vorzugsweise in Foren nach jedem Klick hoch, was die Forenpostings dann schnell vom eigentlich angesagten Thema auf ein Thema mit F-Wort umschwenken lässt. So direktes Feedback freut doch die Marketingabteilung! Noch aggressiver Intel: Zwecks "Macroprozessing" pappen sie hochkant zappelnde Flash-Banner neben Textbeiträge in Online-Magazinen. Lesen wird da aussichtslos, lediglich Ausdrucken hilft weiter, denn Druckpatronen gibt es zwar bereits in Leuchtfarben, doch von blinkender Farbe sind wir bislang noch verschont geblieben. Eine weitere Variante des "Intel-Macroprozessing" lässt gar einen Satelliten auf der Webseite umherfliegen. Bringt das den Browser noch nicht zum Absturz, so kommt dann wiederum spätestens beim Ausdruck der Seite Freude auf, wenn die Funkwellen des animierten Satelliten dort den Text mit schwarzen Ringen überdecken und unlesbar machen.
Solch merkwürdig geformten Banner lassen sich eben deshalb nicht ohne weiteres mit Webwasher oder anderen Werbeblockern abschütteln. Flash hat außerdem noch den großen Nerv-Vorteil, bei sicherheitsbewussten Forenbesuchern nach jedem Klick eine Bestätigung über ein zu ladendes Active-X zu verlangen - oder aber eine doppelte Verneinung. Die Lösung wäre, ein Fake-Flash-Plugin zu programmieren, das sich Webseiten gegenüber zwar als Flash-Player ausgibt - und auch die ständige Aufforderung abblockt, den Flash-Player zu laden -, aber den multimedialen Unsinn dann nicht anzeigt.
Hauptsache, es macht Krach
Doch selbst das ist noch nicht der Gipfel des Werbe-Olymp. Schließlich kann man den Surfer ja auch noch akustisch belästigen. Das beweisen nicht nur immer wieder Homepage-Künstler, die ihre Startseite mit unsäglichem Midi-Gedudel oder gar ressourcenfressenden WAVs hinterlegen. Auch die Werbetreibenden haben inzwischen entdeckt, wie man Leute effektiv ärgert. So benutzt die Jobbörse Versum mitunter ein Flash-Banner in Foren, das wildes Geschieße als Hintergrundgeräusch einspielt. Da das mit Jobsuche eigentlich wenig gemein hat - außer man sucht deshalb einen neuen Chef, weil man den alten gerade erschossen hat -, kommt der User selten auf die Quelle des Störgeräuschs. Und wenn er diese doch entdeckt und mit "rechter-Maustaste-auf-Banner" - "Abspielen aus" abgestellt hat, so wird der nächste Klick im Forum das Banner sofort wieder neu starten. Strafe muss sein, man soll ja beim Surfen auch gefälligst keine Musik hören, nicht von CD und erst recht nicht MP3!
Der absolute Höhepunkt schließlich Travel24: Hier poppen in Archivmenüs von Webauftritten nicht nur bei jedem Klick seitenfüllende und sexistische Banner hoch - zu den Strandbildern der exotischen Schönheiten ertönt außerdem ohrenbetäubendes Eisenbahnrattern aus den Lautsprechern. Der klapprige Zug passt zwar gar nicht zum entspannenden Urlaubs-Szenario, aber das macht nichts: Hauptsache, es macht Krach und verärgert den potenziellen Kunden.
Einige wenige Online-Auftritte leisten sich noch den Luxus, zu nervige Banner abzulehnen. Oft werden diese aber auch unbemerkt über Adserver eingespielt wie bei dem falschen T-Online-Menü - bei der Werbebuchung wurde dort selbstverständlich noch etwas Harmloses eingeblendet. Die meisten Online-Auftritte sind inzwischen ohnehin so knapp bei Kasse, dass sie ihren Besuchern schlichtweg alles zumuten. Es ist wie in den Tagen der 3D-Filme, als der Spruch fiel "Wir werden die Zuschauer so lange von der Leinwand mit Gegenständen bewerfen, bis sie anfangen, zurückzuwerfen": Die Riesenbanner greifen an!
Die Werber werden wohl erst zufrieden sein, wenn die ersten Adserver gehackt sind und statt Intel und Microsoft plötzlich "Peter grüßt Tante Erna" oder "The Fluffy Bunny wants to fuck now" über die Bildschirme flattern. Ein besonders großes Microsoft-Werbebanner wurde übrigens bereits erfolgreich manipuliert - allerdings noch traditionell mit Schere und Klebstoff!