Der Hass auf Muslims hat sich in Deutschland wie eine Epidemie breitgemacht
Kay Sokolowsky über das "Feindbild Moslem", die Medien und die Hassprediger
Gerade hat der Prozess um den Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini begonnen. Was lehrt uns dieser Mord über gesellschaftliche Konflikte in Deutschland?
Kay Sokolowsky: Dass sie in gewissen Fällen gern verharmlost werden. Dass in gewissen Fällen das Entsetzen vor einem Mord nicht so schwer wiegt wie die Sorge, der alltägliche, allgegenwärtige Rassismus in Deutschland könnte zur Sprache kommen. Viele dieser gewissen Fälle betreffen in jüngster Zeit vor allem das Verhältnis der alteingesessenen Deutschen zu Mitbürgern aus dem islamischen Kulturkreis.
Der Mann, der Marwa El-Sherbini erstochen hat, wurde laut Staatsanwaltschaft von blankem Has auf Muslime geleitet. Mit diesem Hass ist der Täter leider nicht allein. Es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die verstehen und sogar rechtfertigen, warum Alex W. eine schwangere Frau getötet und beinahe auch ihren Mann ums Leben gebracht hat, die diesen Messerstecher geradezu für einen Helden halten. Marwa El-Sherbini sei selbst schuld, heißt es dann, sie hätte ja auf ihre Anzeige gegen den Rassisten verzichten können. Sie habe ihn durch diese Anzeige ja überhaupt erst gereizt. Und was bilde so eine Fremde sich eigentlich ein, solch eine Kopftuchträgerin zumal?! So und noch viel schlimmer tönen User-Kommentare auf den muslimfeindlichen Websites. Diese grauenhafte Tat ist Ausdruck eines Hasses, der sich in Deutschland breitgemacht hat wie eine Epidemie. Doch über diesen Hass und über seine Verbreitung möchte man lieber nicht reden.
Im Rotbuch Verlag ist Ihr Buch "Feindbild Moslem" soeben erschienen. Sie schildern in diesem Buch die Lage der Muslime in Deutschland und stellen fest, dass sich besonders seit dem 11. September antimuslimische Ressentiments verbreiten. Was sind die Gründe dieses Antiislamismus? Wer sind die Wortführer?
Kay Sokolowsky: Der Antiislamismus ist nur ein Vorwand, eine Ausrede, um rassistische Hetze und migrantenfeindliche Bösartigkeit auszutoben. Die Muslimhasser diffamieren "die Muslime" und meinen damit jeden Menschen, der in erster, zweiter oder dritter Generation aus dem islamischen Kulturraum stammt. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob die Menschen, die diskriminiert werden, tatsächlich Muslime sind. Die Muslimfeinde unterstellen kurzerhand jedem Menschen mit türkischen oder arabischen Eltern, er sei ein Muslim. Das ist bereits blanker Rassismus. Niemand wird durch seine Geburt ein Muslim, sondern allein durch das Glaubensbekenntnis. Aber genau das bestreiten die Islamfeinde. Für sie steht jeder Migrant aus einem islamischen Land, der nicht öffentlich auf den Koran schimpft, stehen alle Kinder dieser Migranten im Verdacht, fanatische Muslime zu sein und deshalb Ehrenmörder, Zwangsverheirater, Parallelgesellschafter, Selbstmordattentäter, Massenmörder.
Wer Jude sei, bestimme er, sagte Hermann Göring einmal. Die Muslimhasser definieren auf die gleiche Art, wer Muslim ist. Sie bauen sich ein Feindbild, um alle zu Feinden des Menschengeschlechts erklären zu können, denen sie feindselige Gefühle entgegenbringen. Auch das ist rassistische Praxis in Reinkultur. Mit Religionskritik und Aufklärung im seriösen Sinn hat das nichts, überhaupt nichts zu tun. Aber indem die Muslimhasser erregt mit dubiosen Koranstellen wedeln und auf die Brandprediger zeigen, die es ja leider gibt, erscheint ihr rassistisches Gerede gedeckt durch den Anspruch der Aufklärung, mantelt es sich auf als "Verteidigung unserer westlichen Grundwerte". Von den Imamen, die ihre Gläubigen zu Toleranz und Friedfertigkeit ermahnen, will der Muslimhasser entweder nichts wissen oder er unterstellt diesen Predigern, sie würden lügen. Aus der hermetischen Wahnwelt der Rassisten gibt es kein Entrinnen. Weder für die Objekte dieses Wahns noch für die, die von ihm besessen sind.
Im Kern ist den Islamfeinden nicht der Islam verhasst, sondern der Türke, der Araber, der Fremde an sich. Es ist ja auch völlig unmöglich, etwas so Abstraktes wie eine Religion zu hassen. Hass kann sich nur gegen Menschen richten, nicht gegen Abstraktionen. "Die Muslime" sind verhasst aus dem schlichten Grund, dass sie Muslime sind - oder weil sie im Verdacht stehen, Muslime zu sein. Der bloße Verdacht genügt dem Rassisten schon, um menschenfeindlich zu hetzen. Rassismus ist eine Ideologie des Verdachts und der Unterstellung.
Für die Islamfeindlichkeit, die wir heute erleben, haben die Attentate vom 11. September 2001 wie eine Initialzündung gewirkt. In den Staaten des Westens haben sich vorher die wenigsten darum geschert, was militante Islamisten anrichten. Die Verbrechen der Taliban, die Brutalität der Pasdaran, die Massaker in Somalia oder Algerien waren vor "9/11" kein großes Thema in der westlichen Öffentlichkeit. Schließlich handelte es sich bei den Opfern "nur" um irgendwelche Einwohner der Dritten Welt. Erst als der militante Islamismus seine Gewalt auch gegen die Metropolen des Westens entfesselte, entdeckten wir Ignoranten den Islam als Schreckgespenst des 21. Jahrhunderts. Die Angst, die Al-Qaida verbreitet, ist der Nährboden für die Ideologie der Muslimhasser. Plötzlich sind Moscheenbauten und Kopftücher zu Politika geworden, und gewisse Publizisten haben sich fulminante Karrieren aufbauen können, indem sie der diffusen Furcht vor dem Islam Futter gaben.
Echte Wortführer - wie etwa den Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden - hat die Islamfeindschaft in Deutschland nicht. Aber viele prominente Stichwortgeber. Dazu zählen etwa der Orientalist Hans-Peter Raddatz, der Journalist Udo Ulfkotte, die Soziologin Necla Kelek, die Bundesverdienstkreuzträgerin Alice Schwarzer und ganz besonders die Publizisten Henryk M. Broder und Ralph Giordano. Aus deren bösen Stichworten eine rassistische Ideologie zu erarbeiten, haben sich Tausende anonyme Hetzer in Internet-Blogs und -Foren auf die Fahne geschrieben.
Was für eine Rolle spielen die sogenannten "Islamkritiker" darin?
A : Promovierte Autoren wie Raddatz oder Kelek geben dem muslimfeindlichen Gerede den Anstrich wissenschaftlicher Seriosität. Broder und zumal Giordano, die selber Zielscheiben antisemitischer Hetze sind, scheinen über den Verdacht erhaben, rassistische Ressentiments zu verbreiten. Die Hass-Blogger berufen sich nur zu gern auf solche Autoren, um von ihren eigenen rassistischen Motiven und von ihrem Wahn abzulenken. Deshalb habe ich in meinem Buch überprüft, wie glaubwürdig Kelek, Broder oder Giordano argumentieren. Das Resultat ist, um es zurückhaltend auszudrücken, wenig schmeichelhaft für die Autoren. Als Kronzeugen für die Islamfeindlichkeit sind sie nur so lange Gold wert, wie der Großteil des deutschen Publikums nicht merkt, dass diese Kronzeugen vor allem Blech reden. Ich hoffe, dass mein Buch dazu beiträgt, das Image dieser Stichwortgeber zu korrigieren.
Es ist seit vielen Jahren deutsche Tradition, Rassismus zu verharmlosen
In den ersten Tagen und Wochen wurde der Mord an der Muslimin El-Sherbini in den Medien nur am Rande wahrgenommen. Erst nach Protesten im Ausland wurde diesem Verbrechen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Warum war der Tod einer Kopftuchträgerin, die nicht Opfer eines Ehrenmordes wurde, eine Woche lang nur eine kurze Meldung in den Nachrichtenagenturen?
Kay Sokolowsky: Es ist seit vielen Jahren deutsche Tradition, Rassismus zu verharmlosen, kleinzureden und ins Vermischte zu verbannen. Der Fall der armen Frau El-Sherbini hat das wieder vorgeführt: Die Bundeskanzlerin hatte anfangs nicht mal ein Wort des Mitleids für die Familie übrig. Und der damalige Innenminister Schäuble, der sonst hinter jeder Facebook-Seite eine islamistische Terrorzelle vermutete, bekam den Mund nicht auf, um diesen eindeutig terroristischen Akt zu verurteilen. Stattdessen fürchtete man sich allenthalben vor den Reaktionen der bekanntlich völlig unberechenbaren Muslime. Das Dresdener Gericht, in das Alex W. am Tag der Tat problemlos ein 18 Zentimeter langes Messer einschmuggeln konnte, ist heute ein Hochsicherheitstrakt, inklusive Scharfschützen - aus lauter Angst vor muslimischer Vergeltung. Auf Nachfrage musste das LKA Sachsen übrigens einräumen, es gebe für die Scharfschützen auf dem Dach keinen konkreten Anlass.
Dahinter steckt dasselbe paranoide Denken, das einen Gerichtspolizisten bewegte, auf den blutenden, am Boden liegenden Mann von Marwa El-Sherbini zu schießen statt auf den Täter Alex W. Der Muslim an sich, der Fremde aus dem Orient ist eine Gefahr: So denken sehr viel Deutsche, und so denken die Sicherheitsbehörden - nicht nur die in Sachsen. Zu Prozessbeginn war es vielen Berichterstattern wichtiger, über eine höchstwahrscheinlich gefakete Morddrohung "aus islamistischen Kreisen" gegen Alex W. zu berichten, als sich endlich einmal mit der ausgeprägten Muslimfeindschaft zu befassen, die in Deutschland herrscht. Zum Glück nicht allen Berichterstattern. Doch bestürzend vielen.
Wie weit verbreitet sind antimuslimische Ressentiments in der deutschen Gesellschaft?
Kay Sokolowsky: Auf jeden Fall weiter verbreitet als promuslimische. Wer auch immer wagt, den Islamhass als neue Form des Rassismus zu benennen und vor den Muslimhassern zu warnen, sieht sich sofort einer breiten Front von Entrüsteten gegenüber, die "Ehrenmord" schreien und "Zwangsheirat", "Al-Qaida" oder "Ahmanidedschad". Kaum spricht einer aus, dass Islamkritik sehr vielen Rassisten als Vorwand dient, um hemmungslos gegen türkische und arabische Migranten zu hetzen, fordern die Kritiker von ihm ein, er solle erst mal was über den Glaubensterror in Saudi-Arabien sagen, bevor er sich über den muslimfeindlichen Rassismus beklagt. Ich erlebe das seit Veröffentlichung meines Buchs ständig.
Broder, Kelek und Giordano behaupten ja sehr gern, dass sie gegen eine überwältigende Meinungsdominanz von "Gutmenschen" in den Medien und der Politik anschreiben. Das ist absoluter Blödsinn. Es gehört in Deutschland kein bisschen Courage dazu, auf Muslime zu schimpfen. Man ist da ganz sicher auf der Seite der Mehrheitsmeinung, und man darf sich darauf verlassen, für das Angstschüren vor den Muslimen mit guten Platzierungen auf der "Spiegel"-Bestsellerliste und mit allerlei Literaturpreisen belohnt zu werden. Die Diffamierung der Muslime - und derer, die man dafür hält - ist ein erheblich einträglicheres Geschäft als die Abwehr dieser Diffamierung.
Laut einer Studie des amerikanischen Pew Research Center aus dem vergangenen Jahr ist jeder zweite Deutsche negativ gegenüber Muslimen eingestellt. Nicht nur gegen radikale, fanatisierte Islamisten, sondern gegen alle Muslime. Untersuchungen deutscher Institute - etwa der Friedrich-Ebert-Stiftung - kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Dabei ist auch klar geworden, dass die Vorurteile gegen Muslime untrennbar verbunden sind mit älteren fremdenfeindlichen Ressentiments. Im Rahmen des Langzeitprojekts "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", das seit 2002 von der Universität Hannover durchgeführt wird, wurden 2008 knapp 1.800 Menschen befragt, ob sie folgender Aussage zustimmen könnten: "Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land." 34,9 Prozent der Interviewten pflichteten dem Satz bei. Ich bin sicher, dass die meisten dieser Leute in Gegenden wohnen, wo weit und breit kein Muslim zu Hause ist. So wie der Antisemit keine Juden kennen muss, um die Juden zu hassen, braucht der Antiislamist noch nie einem Muslim begegnet zu sein und weiß trotzdem, dass alle Muslime Schurken sind. Übrigens hat das Pew Research Center auch herausgefunden, dass die meisten Muslimfeinde zugleich überzeugte Antisemiten sind.
Nachdem der Bundesbanker Thilo Sarrazin in "Lettre International" gegen Türken und Araber gepöbelt hatte, gaben ihm in einer Emnid-Umfrage 51 Prozent der Befragten in allen Punkten recht. Sarrazin hatte es nicht einmal nötig, explizit darauf hinzuweisen, welchem Glauben viele dieser Migranten anhängen. Das antimuslimische und das allgemein fremdenfeindliche Vorurteil sind längst eins.
Das antimuslimische und das allgemein fremdenfeindliche Vorurteil sind längst eins
Was für eine Rolle spielen die sogenannten Prangerwebseiten wie etwa Politically Incorrect? Wer sind die Betreiber von Politically Incorrect, und was ist ihre Motivation?
Kay Sokolowsky: Was bei PI gehetzt wird, das sickert hinaus in zahllose andere Weblogs und Internetforen, das findet sich in den Leserkommentarspalten sämtlicher Online-Ausgaben seriöser deutscher Zeitungen wieder - also nicht nur bei "Bild", sondern auch bei der "Süddeutschen" oder der "FAZ" und immer häufiger auf den Digitalseiten der multikulturellen "Taz". Die Autoren und Hardcore-User von PI sind die Avantgarde des Muslimhasses. Sie tummeln sich überall, wo das Web 2.0 ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Gift zu verspritzen und den nicht ganz so fanatischen Fremdenfeind mit Angst- und Hassargumenten zu bestücken. Was Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder erzählen, das ist bei PI vorgedacht worden - nicht umgekehrt.
Dabei glaube ich nicht, dass Sarrazin PI jemals angeklickt hat. Aber die stille Post funktioniert in Zeiten des Internet besser denn je, und die wichtigste Strategie von PI ist eben die stille Post. Diese Seite ist die fette Spinne in einem Netzwerk der Fremdenfeindlichkeit. Jede Halbwahrheit und jede Gemeinheit, die hier steht, wird binnen kurzer Zeit Gemeingut vieler Millionen Menschen. Die übrigens meistens gar nicht wissen, woher die Diffamierungen stammen, die sie nachbeten. Wahrscheinlich wären sie zutiefst angeekelt, wenn sie die Hetztiraden auf PI einmal ungefiltert lesen würden. Und ihre eventuell gute Meinung über Broder könnte sich rasch ändern, wenn sie wüssten, wie die Autoren und User von PI hetzen. Denn Broder hat die systematische Hetzerei von PI nicht nur verharmlost, sondern sogar verteidigt.
Gegründet wurde PI von dem Sportlehrer Stefan Herre. Über seine Motivation hat Herre der rechtsradikalen "Jungen Freiheit" erzählt, er wolle "die Öffentlichkeit über die schleichende Islamisierung Europas informieren und alles Erdenkliche dafür tun, dass auch in Zukunft bei uns das Grundgesetz und nicht die Scharia gilt". Wer aber glaubt, Europa drohe zu einem islamischen Gottesstaat zu werden, der hat nicht nur nicht alle Tassen im Schrank, der hat auch keine Beweise für seine Behauptung aufzubieten außer solchen, die er sich zurechtbiegt und -lügt. Der will auch nicht das Grundgesetz schützen, von wegen. PI ist voll von demokratiefeindlichen Ergüssen. Es gehört zum täglichen Geschäft dieser Website, gegen die Unabhängigkeit der Justiz zu pöbeln, das "dumme Wahlvolk", das leider schon wieder nicht rechtsradikal abgestimmt hat, zu verunglimpfen, und die verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte all denen abzusprechen, die nicht so ticken wie Stefan Herre und seine Volksgenossen. Dass Migranten auf ihre Bürgerrechte bestehen, erscheint diesen ach so grundgesetzloyalen Hasspredigern als ungeheurer Skandal. Ginge es nach Herre und PI, wäre das Grundgesetz längst abgeschafft worden. Wenn Sie nachprüfen wollen, ob ich nicht vielleicht übertreibe, geben Sie einfach mal in die Suchmaske dieses Hetzblogs die Stichworte "Kuscheljustiz" oder "Dhimmitum" ein.
Der Mainstream der Medien scheint das Problem der Islamfeindschaft als Problem immer noch nicht wahrnehmen zu wollen
Man findet oft diffamierende Pauschalisierungen etwa im "Spiegel" oder in der "Welt". Schlüsselfigur zur Verallgemeinerung dieses besonderen Rassismus war der Publizist Henryk M. Broder mit seinem Bestseller "Hurra, wir kapitulieren!". Wie weit tragen die Medien und Journalisten wie Broder eine Mitschuld an der giftigen antimuslimischen Atmosphäre?
Kay Sokolowsky: Ich kann diese Mitschuld nicht quantifizieren. Ich kann nur feststellen, dass der "Spiegel" unter seinem Chefredakteur Stefan Aust keine Bedenken hatte, solch eine Atmosphäre zu fördern. Seit Austs Entlassung hat der "Spiegel" zum Glück seine langjährige Kampagne gegen die deutschen Muslime eingestellt - eine Kampagne, die ihren Höhepunkt mit der "Spiegel"-Ausgabe 13/2007 fand. Die Coverzeile lautete: "Mekka Deutschland - Die stille Islamisierung". Titel und Titelgeschichte sind das Infamste, was seriösen deutschen Medien jemals zum Thema "Islam in Deutschland" eingefallen ist. In "Feindbild Moslem" habe ich die Demagogie dieser Coverstory Punkt für Punkt analysiert. Ich habe keine empirischen Befunde, wie viele "Spiegel"-Leser auf diese Demagogie hereingefallen sind. Ich nehme aber an, dass es bei sechs Millionen Lesern mehr als eine Handvoll waren.
Auch über die Mitschuld Herrn Broders kann ich nur Vermutungen anstellen. Ich weiß aber, dass er keine Gelegenheit auslässt, über "die Muslime" in einer Art zu reden und zu schreiben, die man nur dann für Polemik oder gar Satire statt für übelste Migrantendiskriminierung halten kann, wenn man es auch lustig findet, zu einem schwarzen Menschen "Brikett" zu sagen.
Noch erschreckender als die antimuslimischen Tiraden Broders finde ich allerdings die Wertschätzung, die er für sein übles Geschwätz erfährt. Er wird durch sämtliche Polit-Talkshows gereicht, kassiert Ehrungen noch und noch und gilt als Fachmann für sämtliche Fragen der Integration. Dabei ist er allenfalls ein Experte für angewandte Segregation. Dass seine islamfeindlichen Texte von ziemlich wenig Sachkenntnis, aber sehr viel bösem Willen geprägt sind, habe ich in "Feindbild Moslem" auf 16 Buchseiten nachgewiesen (dieses Kapitel kann auf der Website des Rotbuch Verlags kostenlos abgerufen werden). Die Talkshow-Redakteure, die Broder so gern einladen, scheinen jedoch gerade auf das undifferenzierte Gepöbel Broders scharf zu sein. Der Mann bringt ja Stimmung in die Runde, und solches Getöse wiederum bringt Quote. Welch potentiell verheerende Folgen Broders Geifereien für das Zusammenleben von muslimischen Migranten und alteingesessenen Deutschen haben, ist offenbar schnurzegal. Ich wäre froh, wenn ich mit meinem Buch dazu beitragen könnte, die genannten Redakteure etwas nachdenklicher und verantwortungsbewusster werden zu lassen.
Was müsste von politischer Seite gegen diese neue Form des Rassismus getan werden?
Kay Sokolowsky: Die Politik müsste zunächst einmal erkennen, dass der Islamhass eine Form des Rassismus ist. Davon sind die meisten Politiker - und zwar bei allen Parteien - jedoch meilenweit entfernt. Es wäre freilich illusorisch zu erwarten, dass die Volksvertreter klüger sind als das Volk, das sie vertreten.
Deshalb sollten alle, die das muslimfeindliche Gehetze nicht mehr ertragen, die erkannt haben, wie gefährlich diese Ideologie ist, sich weniger auf die Politik als auf ihr eigenes Wort verlassen. Nicht nur Rassisten können das Web 2.0 für ihre Zwecke nutzen. Je energischer man den Hetzern widerspricht, je beharrlicher man ihnen nachweist, dass sie mit lauter Lügen, Spekulationen, Übertreibungen und Gerüchten hantieren, desto schwerer wird es ihnen fallen, den Diskurs zu bestimmen. Ich beobachte leider eine gewisse Resignation bei denen, die guten Willens sind, vor der Macht und der Hartnäckigkeit der rassistischen Hetzer.
Ich kann mir übrigens auch nicht so recht erklären, warum bislang außer "Jungle World" und "Konkret" keine einzige nennenswerte Zeitung mein Buch erwähnen mochte. Bei meinen früheren Büchern war die Aufmerksamkeit der Rezensenten jedenfalls erheblich größer. Der Mainstream der Medien scheint das Problem der Islamfeindschaft als Problem immer noch nicht wahrnehmen zu wollen. Dabei ist es spätestens seit dem Tod Marwa El-Sherbinis und den "Kopftuchmädchen"-Schwadronniereien Thilo Sarrazins offensichtlich. Und es verschwindet keineswegs, indem es unter den Teppich gekehrt wird. Zumal den Muslimhassern nichts besser in den Kram passt als eine Öffentlichkeit, die sich um diese Explosion von Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung nicht kümmert, die so tut, als seien die Muslime selbst schuld, wenn sie aufs gemeinste und ekelhafteste diffamiert werden.
Von Kay Sokolowsky ist gerade das Buch Feindbild Islam im Verlag Rotbuch erschienen.
Eren Güvercins Blog: grenzgängerbeatz