Der IWF, die FAZ und die Lüge vom "Grexit"
Meinungsmache im Interesse der Finanzelite
Am 30. Mai veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) einen Artikel unter der Überschrift "IWF schließt einen Grexit nicht aus". Der Text enthielt unter anderem Auszüge aus einem Gespräch mit IWF-Chefin Christine Lagarde. Wie aus einer Fußnote des Artikels hervorgeht, hat sich der IWF vor der Veröffentlichung an die Redaktion der FAZ gewandt und um die Änderung einer Formulierung gebeten.
Hintergrund ist die Tatsache, dass der IWF die Äußerungen seiner führenden Mitglieder bei Interviews grundsätzlich "autorisiert". So hatte er in diesem Fall Christine Lagardes Satz "Der Austritt Griechenlands ist eine Möglichkeit" freigegeben.
In der Fußnote der FAZ heißt es: "Als die Finanzmärkte auf dieses Zitat nervös reagierten, bat der IWF darum, die autorisierte deutsche Version anders zu formulieren. Deshalb wurde aus dem autorisierten Zitat, es handle sich bei dem Grexit um eine Möglichkeit, die Version, dass "niemand den Europäern einen Grexit wünscht."
Obwohl nur vier Zeilen lang, verrät diese Fußnote mehr über die mächtigste Finanzorganisation der Welt und die Rolle, die die FAZ und die Mainstream-Medien im Konflikt um Griechenland spielen, als so manch langes politisches Traktat.
- Aus der Reaktion des IWF geht hervor, dass Formulierungen seiner führenden Vertreter die Finanzmärkte keinesfalls "nervös machen" dürfen. Gibt es einen deutlicheren Beweis dafür, wessen Interessen das Handeln des IWF bestimmen?
- Schafft es der IWF trotzdem, die Finanzmärkte mittels einer Äußerung "nervös zu machen", so zögert seine PR-Abteilung anschließend ganz offensichtlich nicht, die Medien hinter dem Rücken der Öffentlichkeit zu manipulieren. Braucht man einen klareren Beweis dafür, dass eine Organisation ihren wahren Charakter vor den Augen der Welt zu verschleiern versucht?
- Der IWF bittet darum, die Formulierung "Der Austritt Griechenlands ist eine Möglichkeit" durch die Formulierung "Niemand wünscht den Europäern einen Grexit" zu ersetzen. Kann man Griechenland zynischer diskreditieren und die europäische Bevölkerung auf perfidere Weise unter Druck setzen, als ihr gegenüber Mitleid mit einem "Grexit" zu heucheln...?
Die Veröffentlichung wirft aber nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die Methoden des IWF. Sie zeigt auch auf eindrucksvolle Weise das wahre Gesicht der FAZ. Deren Redaktion versucht zwar, den Anschein der Seriosität zu wahren, indem sie den groben Verstoß des IWF gegen die grundlegenden Prinzipien eines objektiven Journalismus nicht verschweigt und an der selbstgewählten Überschrift des Artikels festhält.
Die FAZ bemüht sich damit aber keinesfalls um die objektive Wahrheit, sondern verfolgt ganz einfach die Interessen des deutschen Finanzkapitals, als deren Sprachrohr sie sich seit langem betätigt. Wie? Indem sie in ihrem Artikel - wie alle übrigen deutschen Mainstream-Medien - die Lüge verbreitet, mit der das deutsche bzw. das europäische Finanzkapital einerseits und das amerikanische Finanzkapital andererseits sich derzeit gegenseitig unter Druck zu setzen und dabei die Öffentlichkeit zu täuschen versuchen: die Lüge vom angeblich möglichen "Grexit".
Um es klar und deutlich zu sagen: Ein solcher Grexit ist absolut ausgeschlossen. Die EU kann Griechenland nicht aus der Eurozone werfen, ohne dabei finanzielle, ökonomische und soziale Folgen zu riskieren, die die Eurozone zerstören würden. Griechenland wiederum kann den Staatsbankrott nicht erklären, ohne das Weltfinanzsystem mit in den Abgrund zu reißen. Grund dafür sind Kreditausfallversicherungen, die bei den größten US-Banken und bei der Deutschen Bank in Frankfurt lagern, deren Höhe aber - ganz legal - vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen wird.
Warum engagiert sich der IWF in Griechenland?
Warum aber wird dieser Grexit trotz dieses Tatbestands immer wieder in die Diskussion gebracht? Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich zunächst einmal folgender Frage zuwenden: Wieso engagiert sich der IWF überhaupt in Griechenland? Interessiert ihn das Schicksal arbeitsloser Jugendlicher, hungernder Rentner oder verzweifelter Kranker, die ihre Medikamente nicht mehr bezahlen können? Ist er daran interessiert, seinen europäischen Verbündeten in schwierigen Zeiten unter die Arme zu greifen, um ihnen aus einer Notlage zu helfen?
Ganz gewiss nicht. Der IWF ist nur aus einem einzigen Grund als Teil der Troika in Griechenland unterwegs: Weil er dort die Interessen amerikanischer Finanzinstitutionen wie JP Morgan, der Bank of America, Goldman Sachs oder der City Group vertritt. Er muss mit allen Mitteln dafür sorgen, dass deren ausstehende Kredite zurückgezahlt werden und diese Institutionen sich auch weiter am Niedergang des Landes bereichern können. Zu diesem Zweck muss er um jeden Preis verhindern, dass es zu einem griechischen Staatsbankrott kommt.
Dieses Ziel zu erreichen, wird allerdings immer schwieriger und vor allem immer kostspieliger. Deshalb versuchen sowohl der IWF, als auch die über den ESM für viele Milliarden bürgende EU (und innerhalb der EU vor allem das für die höchste Summe bürgende Deutschland), sich gegenseitig den Löwenanteil der notwendigen Zahlungen zur Vermeidung eines griechischen Staatsbankrotts zuzuschieben. Genau hierzu dienen die Äußerungen der USA, es könne zu einem ungeordneten Staatsbankrott kommen, während die EU damit pokert, ein solcher Grexit sei verkraftbar.
Es ist einzig und allein dieser Konflikt zwischen den USA (vertreten durch den IWF) und der EU (vertreten durch EU-Kommission und Europäische Zentralbank), der derzeit das Verhalten beider Seiten bestimmt. Es ist ein rücksichtsloser Machtkampf, der sich vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet: Dass er die Öffentlichkeit durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen hinters Licht führt und dass er zudem auf dem Rücken der Betroffenen, nämlich der griechischen Bevölkerung, ausgetragen wird.
Leiden der Menschen sind Manövriermasse der Hochfinanz und Politik
Das Schicksal von Menschen, deren Lebensstandard durch sechs Sparprogramme drastisch gesenkt wurde, von denen viele ohne Arbeit und unversichert in eine unsichere Zukunft blicken, deren Lebensabend durch Rentenkürzungen zerstört wurde, von denen die Schwächsten und Hilfsbedürftigsten ohne medizinische Versorgung auskommen müssen, ist den Beteiligten aus Hochfinanz und Politik dabei vollkommen gleichgültig. In den Augen des IWF, der EU und auch der Medien sind diese Opfer der Krise nichts anderes als eine anonyme Manövriermasse, deren Zukunft der Gier von Bankern und der Geltungssucht von Politikern unterzuordnen ist.
Wie der FAZ-Artikel belegt, sehen die Mainstream-Medien ihre Rolle darin, diese Kräfte zu unterstützen, indem sie die wahren Hintergründe des Konfliktes verschleiern und die Öffentlichkeit gezielt durch das Aufbauschen eines in Wirklichkeit ausgeschlossenen "Grexit" in die Irre führen.
Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches "Weltmacht IWF - Chronik eines Raubzugs", erschienen im Tectum-Verlag, Marburg.
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