"Der Islam war immer ein Bestandteil der europäischen Geschichte"
Der CDU-Abgeordnete Ruprecht Polenz plädiert für eine Aufnahme der Türkei in die EU und setzt sich mit den Ressentiments gegen das Land und den Islam auseinander
"Die Türkei gehört in die EU!", fordert der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages ist, in seinem jüngst in der edition Körber-Stiftung erschienenen Buch Besser für beide. Er kritisiert die etwa von der Bundeskanzlerin Merkel vertretene Idee, der Türkei eine privilegierte Partnerschaft anstelle der Mitgliedschaft anzubieten. In seinem neuen Buch versucht er, die Argumente der Beitrittsgegner zu widerlegen, die vor allem auch in seiner eigenen Partei finden sind. "Wer annimmt", so schreibt er, "man könne Menschen oder Völker ausschließlich aufgrund ihrer Religion oder Kultur beurteilen, glaubt an die Macht einer einzigen Klassifikation, die alles andere beherrscht. Diese Denkweise kann unsere Welt in ein Pulverfass verwandeln."
Herr Polenz, Sie setzen sich schon seit langem für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ein. In Ihrem soeben erschienen Buch untermauern Sie ihre Haltung. Sind Sie mit Ihrer Meinung nicht ziemlich allein in der CDU?
Ruprecht Polenz: Ich bin nicht alleine, aber es ist eine Minderheitsauffassung. Das Buch habe ich geschrieben, damit sich das ändert.
Die Bundeskanzlerin und große Teile der CDU sind eher für eine "privilegierte Partnerschaft". Welche Argumente führen Sie für eine Vollmitgliedschaft der Türkei an?
Ruprecht Polenz: Die Türkei hat eine faire Chance verdient. Wenn sie die Kopenhagener-Kriterien nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der gelebten Praxis voll und ganz erfüllt, muss sie auch Mitglied der Europäischen Union werden können. Es läge sowohl im Interesse der Türkei wie im Interesse der EU, dass dieser Prozess erfolgreich zu Ende geführt wird. Allerdings kommt es vor allen Dingen auf die Türkei selbst an, ob sie sich als Gesellschaft so tiefgreifend wandelt, dass sie in die EU passt.
Die Gegner einer Vollmitgliedschaft wenden unter anderem ein, dass die Türkei kulturell nicht zu Europa passen würde. Was halten Sie von diesen Bedenken?
Ruprecht Polenz: Dieses Argument ist eines der stärksten Argumente, das mehr oder weniger unterschwellig oder auch offen ausgesprochen in der Bevölkerung zu dieser ablehnenden Haltung führt. Schaut man genauer hin, verbirgt sich hinter dem Gefühl, die Türkei gehöre irgendwie nicht zu Europa, sie sei irgendwie anders, letztlich die Frage nach der anderen Religionszugehörigkeit und einem sehr negativ geprägten Islambild. Man fürchtet sich vor diesem Islam, man möchte ihn auf Distanz halten, und deshalb möchte man auch die Türkei nicht in der EU sehen.
Woher kommt dieses Ressentiment?
Ruprecht Polenz: Es hat tiefe historische Wurzeln. Wenn man in die Schulbücher und auf die Geschichtswahrnehmung schaut, dann wird das Abendland in einer Art ständiger Auseinandersetzung mit dem Morgenland definiert, obwohl eine genauere Betrachtung zeigt, dass der Islam immer auch Bestandteil der europäischen Geschichte war. Das Osmanische Reich hat immer im europäischen Kräftekonzert der Großmächte mit gemischt. Die heutige europäische Grundüberzeugung, dass man die staatliche und die religiöse Sphäre voneinander trennen soll, verbietet es eigentlich, aus religiösen Überzeugungen unüberwindliche politische Hindernisse zu zimmern.
Nach der jüngsten Krise zwischen Israel und der Türkei ist die Rede davon, dass sich die Türkei vom Westen abwende. Teilen Sie diese Bedenken?
Ruprecht Polenz: Nein, die teile ich so nicht. Ich kritisiere zwar auch in meinem Buch, dass die Türkei im Umgang mit schwierigen Ländern wie Iran oder dem Sudan es an Klarheit in vielen Aussagen hat fehlen lassen. Vor allen Dingen war es aus meiner Sicht ein schwerwiegender Fehler, dass die Türkei jetzt im Weltsicherheitsrat nicht gemeinsam mit ihren Verbündeten und den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats für die Sanktionen gegen den Iran gestimmt hat. Aber ansonst ist die regionale Politik der Türkei unter der Überschrift "Keine Probleme mit den Nachbarn" auch im europäischen Interesse, denn wir wollen nicht, dass ein Beitrittskandidat – und das ist die Türkei – ungelöste Probleme mit der Nachbarschaft in die EU importieren würde.
Die jetzige Regierung hat mehr auf den Weg gebracht als die Regierungen davor
Wenn man sich die besondere geopolitische Lage der Türkei betrachtet, ist es da nicht nachvollziehbar, dass die Türkei versucht, sich alle Optionen frei zu halten? Muss die Hinwendung zur islamischen Welt gleichzeitig als eine Abwendung vom Westen gedeutet werden?
Ruprecht Polenz: Dass die Türkei eine eigene Regionalpolitik entwickelt, finde ich verständlich. Das liegt auch im europäischen Interesse. Auf der anderen Seite muss die Türkei aber beispielsweise beim Thema Iran auch sehen, dass der Iran eine Nuklearpolitik betreibt, die die ganze Weltgemeinschaft zutiefst beunruhigt und die dazu geführt hat, dass auch China und Russland erneut für eine Resolution im Sicherheitsrat gestimmt haben, die den Iran davon abbringen will. Da kann man sich nicht mit Brasilien an die Seite stellen und gegen eine solche Resolution stimmen. Man gefährdet damit den Erfolg dieser internationalen Politik. Ich beschäftige mich sehr intensiv mit dem Iran, und ich weiß, dass es dort vor allem darauf ankommt, dass die Signale der internationalen Gemeinschaft möglichst geschlossen den Iran erreichen. Es wäre viel besser gewesen, wenn die Türkei und Brasilien mit an Bord gewesen wären.
Kann es sein, dass auch das Hinhalten der Türkei durch die EU dafür gesorgt hat, dass sich die Türkei nach möglichen Alternativen umschaut?
Ruprecht Polenz: Ich glaube, dass dieses Gefühl "Wir werden hier hingehalten" für den Beitrittsprozess nicht sehr nützlich ist. Ich bedauere auch, dass man den Türken nicht deutlicher signalisiert, dass sie auch willkommen sind, wenn sie sich anstrengen und erfolgreicher sind. Auf der anderen Seite wissen aber die klügeren türkischen Außenpolitiker sehr wohl, dass der Erfolg ihrer regionalen Politik ganz entscheidend vom EU-Prozess abhängt. Jede Außenpolitik hängt in ihren Möglichkeiten von der wirtschaftlichen Potenz eines Landes ab. Wenn Sie sich anschauen, dass mit dem Beginn des Beitrittsprozesses die Auslandsinvestitionen in die Türkei von vorher von etwa 1 bis 2 Milliarden Dollar im Jahr auf jetzt über 20 Milliarden Dollar jährlich zugenommen haben, dann zeigt dies, dass dies ganz wesentlich vom EU-Prozess abhängt. Und wenn man das weiß, dann wendet man sich von diesem Prozess nicht selber mutwillig ab.
Wie bewerten Sie den inneren Reformprozess der Türkei? Man hat den Eindruck, dass dieser Prozess erheblich an Elan verloren hat und ins Stocken geraten ist...
Ruprecht Polenz: Es gibt im Deutschen dieses Bild von der Echternacher Springprozession. Das ist eine Wallfahrt, wo man zwei Schritte nach vorn und einen Schritt zurück geht. Das passt ein bisschen auch zur Charakterisierung des Reformprozesses in der Türkei. In der Tat war es so – und unter dem Strich ist es nach wie vor so –, dass die jetzige Regierung hier mehr auf den Weg gebracht hat, als viele Regierungen vorher. Ich hoffe sehr, dass gerade auch durch die Benennung von Herrn Bagis zum zuständigen Minister für die EU-Beitrittsverhandlungen der Reformschwung weiter anhält.
Andererseits scheint es Erdogan ernst zu meinen, das Kurdenproblem zu lösen, auch wenn dies beim Wähler nicht gut ankommt. Trotzdem wird Erdogan im Westen vermehrt skeptisch bewertet, und nicht wenige Beobachter unterstellen ihm eine versteckte, islamistische Agenda. Für wie glaubhaft halten Sie diese Vorwürfe?
Ruprecht Polenz: Ich lese natürlich diese Einschätzungen über ihn. Mir ist auch wichtig, wie andere Persönlichkeiten, wie etwa der türkische Unternehmer Alaton, den ich sehr schätze, diese Frage beurteilen. All die Stimmen sagen mir, er hat sich weiter entwickelt, er hat keine islamistische Agenda. Er ist sicherlich impulsiv, aber die Sorge, die die türkische Opposition über diese Regierung in anderen Ländern versucht zu verbreiten, ist nicht begründet.
Mehr von Eren Güvercin auf seinem Blog grenzgängerbeatz.