Der Kronzeuge: Khalid Scheich Mohammed
Das "Mastermind" des 11. September, Khalid Scheich Mohammed (KSM), legte nach seiner Verhaftung ein umfassendes Geständnis ab
Nachdem Osama Bin Laden jede Beteiligung an 9/11 mehrfach kategorisch bestritten hatte und zudem Mitte 2002 die Beweiskette gegen den pakistanischen Geheimdienst ISI und Omar Said Sheikh als 9/11-Drahtzieher geschlossen zu sein schien, tauchte überraschend ein ganz neuer 9/11-Drahtzieher auf, nämlich Khalid Scheich Mohammed. In einem pakistanischen Hinterzimmer gestand KSM dem Journalisten Yosri Fouda1, er sei der Planer und Finanzier der Anschläge, worauf CIA und ISI ihm auf die Spur kamen und ihn in Karatschi verhafteten.
Wo und wann ist allerdings verblüffend unklar. Denn zunächst wurde KSM am 16. Juni 2002 als verhaftet gemeldet2, in Karatschi, dann als doch nicht verhaftet, um am 11. September 20023 erneut als verhaftet zu gelten, wieder in Karatschi, diesmal zusammen mit dem verhinderten 9/11-Hijacker Ramsi Binalshibh4, was dann allerdings abermals bestritten wurde. Die Erklärungen reichten von "war er doch nicht" und "konnte entkommen" bis zu einem exzellent dokumentierten "wurde erschossen und beerdigt".5
Von Mathias Bröckers und Christian C. Walther ist im Westend-Verlag das Buch: "11.9. - zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes. 320 Seiten. € 16,99. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlags dem Buch entnommen.
Da die bei der Razzia rein zufällig anwesenden internationalen Bildjournalisten nur Binalshibhs Verhaftung öffentlichkeitswirksam knipsten, blieb KSMs Aufenthaltsort (auf der Flucht, auf dem Friedhof oder längst in Guantánamo) unbekannt, bis Anfang März 2003 zum dritten Mal von seiner Verhaftung durch pakistanische Sicherheitskräfte berichtet wurde6, diesmal in Rawalpindi. Das FBI bestätigte das Datum, bestand jedoch darauf, es habe den pakistanischen Behörden massiv assistiert. 2006 behaupteten dann die Autoren des Commission Report, nicht nur das FBI, auch die CIA habe mitgeholfen, und verlegten den Ort der Festnahme wieder zurück - von Rawalpindi nach Karatschi.7
Zeugen berichteten auch diesmal, KSM sei nicht verhaftet worden, als genauer Ort des Zugriffs wurden Häuser unter verschiedenen Adressen genannt, überdies sei Mustafa Al-Hawsawi, angeblicher 9/11-Hauptfinanzier, gemeinsam mit KSM inhaftiert worden. Oder auch nicht. Oder stattdessen. Der britische Guardian kommentierte: "Die Story scheint fast vollständig erfunden zu sein", und selbst der News-Mainstream, vertreten durch den Nachrichtensender MSNBC, raunte hinterher: "Einige Experten zweifeln sogar an, dass Mohammed tatsächlich erst am Samstag inhaftiert wurde, und vermuten, er werde wohl bereits seit einiger Zeit festgehalten, die Nachricht sei jedoch erst zu diesem US-amerikanischen und pakistanischen Interessen dienlichen Zeitpunkt öffentlich gemacht worden."8
Immerhin: Die bereits im September 2002 gemeldete Verhaftung und Verschleppung von KSMs Gattin und seiner jungen Söhne wurde für den März 2003 bestätigt (beziehungsweise erneut gemeldet), und diesmal fragte sogar eine Journalistin besorgt nach, was die CIA mit den unschuldigen Angehörigen anstellen werde.9 Eine Antwort steht bis heute aus. KSM wurde umgehend von US-amerikanischen Agenten außer Landes geschafft, an einen Ort, der nicht einmal dem US-Präsidenten bekannt war.10
Der Presse präsentierte die CIA ein Foto eines angeschlagenen dicken Scheichs, dem erst im September 2009 ein von Mitarbeitern des Roten Kreuz aufgenommenes weiteres folgen sollte, und begann das vermeintliche Mastermind zu befragen, hinter verschlossenen Türen. Da KSM nach Ansicht von Verteidigungsminister Rumsfeld kein "Kriegsgefangener" war, sondern ein "feindlicher Kämpfer", galten für ihn nicht die Genfer Konventionen, daher war er von Anfang an zur kreativen Befragung, vulgo: Folter durch die CIA freigegeben. Ob dies auch seine Frau und seine Söhne betraf, ist nicht bekannt.
Unter dem Eindruck von unter anderem 183-Waterboarding-Sessions11 legte der Scheich ein vollständiges Geständnis ab, das passenderweise die zu diesem Zeitpunkt längst massiv kritisierte offizielle Darstellung von 9/11 vollständig bestätigte. Seit 2002 hat kein außenstehender Interessent KSM mehr persönlich zu Gesicht bekommen. Und das betrifft nicht nur die möglicherweise neugierige Öffentlichkeit oder irgendwelche Medienvertreter, das betraf auch die Mitglieder der offiziellen Untersuchungskommission.
Obwohl der im April 2004 vorgelegte Commission Report massiv auf den Aussagen des Kronzeugen KSM beruht (mehr als ein Viertel der Fußnoten des Report weisen ihn als alleinige Quelle aus)12, wurde der Zeuge nicht gehört. Die Kommissionsvorsitzenden Thomas Kean und Lee Hamilton räumten ein, man habe nicht nur den Inhaftierten nicht befragen dürfen, sondern auch nicht jene, die den Verhörten verhörten.13 Selbst die Abgabe schriftlicher Fragenkataloge beantwortete die CIA mit Zusammenfassungen der angeblichen Antworten, nie mit wortwörtlichen Aussagen des Inhaftierten. Alle Bitten der Kommissionsvorsitzenden, den Gefangenen wenn schon nicht befragen, so doch wenigstens sehen zu dürfen, wiesen CIA-Chef George Tenet und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unisono kategorisch zurück, obwohl Kean und Hamilton sich sogar bereit erklärten, einen ausgesucht zuverlässigen Kommissionsmitarbeiter von der CIA mit verbundenen Augen zum geheimen Aufenthaltsort des Inhaftierten fliegen zu lassen.14 Die beiden Vorsitzenden verzichteten darauf, diesen Sachverhalt öffentlich zu machen15, und erwähnen in der Konsens-Abschlussfassung mit keinem Wort, dass praktisch alle Aussagen, auf denen ihr Bericht fußt, zweifelhaft sind und nicht im Mindesten gerichtsfest.
Das hundertfach gefolterte Phantom wurde stattdessen völlig schmerzfrei permanent beim (von seinen Folterern kolportierten) Wort genommen. Woher denn Al-Qaida die zirka 500.000 Dollar genommen hatte, die zur Ausführung des Anschlags erforderlich waren - diese Frage konnte KSM allerdings auch unter Folter nicht beantworten, weshalb sie im Commission Report als "von geringer Bedeutung" abgetan wurde. Dass KSM schon vor seiner Verhaftung die richtigen Namen der Entführer nicht kannte, sondern sich nur an Codenamen erinnerte16, fällt da fast nicht mehr ins Gewicht. Er hatte ja ansonsten alles gestanden. Nicht nur "9/11 von A bis Z" und den Mord an Daniel Pearl, auch eine Verbindung zum verhinderten "Schuhbomber" Richard Reid sowie eine Beteiligung an so ziemlich allen geplanten und durchgeführten Anschlägen des letzten Jahrzehnts, unter anderem den "Bojinka-Plot", Anschläge auf den Papst, Bill Clinton sowie die Plaza-Bank im Bundesstaat Washington. Da letztere erst drei Jahre nach KSMs Verhaftung gegründet worden war, unterstellte man ihm in diesem Fall - aber auch nur in diesem - "Aufschneiderei".17
Im November 2009 kündigte US-Präsident Obama an, KSM und anderen Tätern werde nun endlich ein öffentlicher Prozess in New York gemacht. Es gab Widerstände, sogar vor den Kulissen, zumal die Anwälte des Chefplaners verlauten ließen, ihr Mandant werde, falls es je zu einer Anhörung komme, auf "nicht schuldig" plädieren.18 Ex-Vizepräsident Dick Cheney stellte sein energisches mediales Zetern gegen den neuen Präsidenten allerdings nach der Ankündigung ein und zog sich nach einem leichten Herzanfall Anfang 2010 aus der öffentlichen Debatte einstweilen zurück. Obama ließ anschließend seine öffentliche Anklage-Idee ebenso pietätvoll wie stillschweigend fallen. Im November 2010 hieß es aus Regierungskreisen, KSM werde "auf absehbare Zeit" in militärischem Gewahrsam bleiben - ohne Prozess19 -, aber als Präsident Obama am 4. April 2011 seine erneute Kandidatur für das oberste Amt ankündigte, ließ er gleichzeitig verlauten, den Angeklagten werde nun doch ein ordentlicher Prozess gemacht. Allerdings entgegen dem ursprünglichen Plan nicht mitten in New York, sondern ein bisschen weiter südlich. Vor einem Militärgericht. In Guantanamo Bay.
Die Öffentlichkeit wird sich also weiter gedulden müssen. Geht es nach der US-Regierung, vermutlich nicht nur weitere zehn Jahre, sondern bis kurz nach KSMs irgendwann unvermeidlichem natürlichen Ableben. Dennoch halten wir fest: Der Abschlussbericht der offiziellen Untersuchungskommission zu den Vorfällen, Hintergründen und Zusammenhängen des 11. September gründet sich zu wesentlichen Teilen auf die alles erklärenden Geständnisse des angeblichen Drahtziehers KSM. Diese Geständnisse halten selbst CIA-Fachleute erstens für nicht gerichtsfest, weil unter Folter erzwungen, zweitens für "zu 90 Prozent unzuverlässig", wahlweise für "total fucking bullshit"20, und weisen darauf hin, dass der Mann inzwischen auch den möglicherweise verwertbaren kleinen Rest seiner Aussagen seinen Anwälten gegenüber widerrufen habe. Es bleibt also: Der sogar für die offiziellen Untersucher des 11. September komplett unsichtbare und nach permanenter Folter vollgeständige Chefplaner der 9/11-Anschläge befindet seit zirka 2002 (möglicherweise) in CIA-Gewahrsam und wurde nie öffentlich gehört.
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