Der Militärbischof und der gerechte Krieg
- Der Militärbischof und der gerechte Krieg
- Wann das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility To Protect) überzeugen kann
- Deutsche Auslandseinsätze - Afghanistan ohne Ende
- Die Leerstelle: Gewaltfreiheit und gerechter Frieden
- Militärbischöfliche Assistenz für die Aufrüstung des Militärapparates
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Der frühere Pazifist Sigurd Rink votiert für Aufrüstung, militärische Auslandseinsätze und Wehrpflicht
Dr. Sigurd Rink übt als erster evangelischer Militärbischof der Bundesrepublik Deutschland sein Amt hauptamtlich aus. Er hat in diesem Jahr ein Buch "Können Kriege gerecht sein?" vorgelegt. Der Titel setzt ein Fragezeichen hinter den neuen Friedensdiskurs der Ökumene. So hat etwa der Papst im Buchgespräch mit Dominique Wolton bekräftigt: "Kein Krieg ist gerecht. Die einzig gerechte Sache ist der Frieden." Diese Feststellung wird hierzulande auch von mehreren evangelischen Landeskirchen sowie in bedeutsamen Entschlüssen der Ökumene auf weltkirchlicher Ebene getroffen.
Transparent ist die Tatsache einer Mitwirkung des Bundesministeriums für das Militärressort bei der Publikation des Militärbischofs. Sigurd Rink schreibt: "Ich danke der Presseabteilung des Verteidigungsministeriums für die sehr genaue Durchsicht des Manuskripts, einen Faktencheck gleichsam. Das heißt nicht, dass wir in allem einer Meinung wären. Das wäre auch seltsam. Aber gewonnen hat das Buch durch die Zusammenarbeit, und Fehler, die sich dennoch eingeschlichen haben, nehme ich getrost auf mich."
"Selige Kriegsleute" - Luther als Ahnherr der R2P-Schutzverantwortung?
Eine Annäherung des ehedem pazifistischen Autors an staatsprotestantische Sichtweisen wird deutlich an den rundherum positiven Bezugnahmen auf Martin Luthers Schrift "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können" aus dem Jahr 1526. Schon viele lutherische Christen hat dieses Werk zur Rechtfertigung von Tötungsakten betrübt - nicht nur wegen seiner grausamen Wirkungsgeschichte in der Geschichte unseres Landes. Stets legitimiert der Reformator allein die tötende Schwertgewalt von ganz oben nach unten - gegen die Untergebenen, denen nur das Erdulden ohne Widerstandsrecht zukommt.
Luther vergleicht die tötende Gewaltausübung des "rechtschaffen[en] und göttlich[en]" Soldatenstandes im Auftrag der von ihm als rechtmäßig qualifizierten Staatsobrigkeit mit dem vom Mediziner ausgeführten "Werk der Liebe": "Es ist so, wie wenn ein guter Arzt, wenn die Krankheit so schlimm und gefährlich ist, Hand, Fuß, Ohr oder Augen abnehmen und entfernen muss, um den Körper zu retten." Weil Gott ja selbst, wie der Reformator glaubt, der Obrigkeit das Schwert überreicht hat (Römerbrief 13), gilt: "Die Hand, die das Schwert führt und tötet, ist dann auch nicht mehr eines Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott henkt, rädert [sic!], enthauptet, tötet und führt den Krieg. Das alles sind seine [Gottes! p.b.] Werke und sein Gericht."
Sigurd Rink will die aus seiner Sicht überzeugendsten Kapitel der Kriegsschrift Luthers so heranziehen, dass der Reformator zum Ahnherr einer - vorrangig militärisch gedachten - "Schutzverantwortung" (R2P) werden kann. Man muss zugeben, auf diese Weise hätten lutherische Kriegstheologen in der Geschichte nicht die Abgründe der nationalen und dann völkischen Kriegsdoktrin (zur Sicherung der "Lebensgrundlagen" des auserwählten deutschen Volkes) betreten können.
Schon auf der evangelischen "Militärseelsorge"-Synode 1957 wurden Zweifel laut, ob man Luthers Schrift dem Soldaten in einer atomar bewaffneten Armee empfehlen darf. Martin Luthers "gerechter Krieg" (aus Liebe) ist "ein kleiner, kurzer Unfriede, der einem ewigen, unermesslichen Unfrieden wehrt, ein kleines Unglück, das einem großen wehrt".
Was hat das nun aber mit einem militarisierten Weltgeschehen zu tun, das mittels totalitärer neuer Militärtechnologien den demokratischen Diskurs auf unserem Globus aus den Angeln hebt und in dem ein jeder - wie eh und je - seine geostrategisch und ökonomisch motivierten Militäraktivitäten als "Notwehrakte der Liebe" deklariert?
Was auch hat die schöne Lutherformel mit all den von Rink besichtigten Kriegsschauplätzen zu tun, die als "kleine, kurze Interventionen" begonnen haben und regelmäßig zu "unermesslichen" Endlos-Kriegen ausgewachsen sind? Es gilt, was der Militärbischof so ausdrückt: "Das zum Frieden mahnende Zeugnis der Kirche fruchtet nämlich nur dann politisch, wenn es der komplexen Realität gewachsen ist."
Ehrliche Mitteilung eigener Ratlosigkeit
Es sei nachdrücklich vermerkt: Militärbischof Sigurd Rink übt sich - fernab von etwaigen Unfehlbarkeitsansprüchen - in größter Demut: "Das Thema [Krieg und Militär] ist kompliziert und brisant. Meine Gedanken mögen manchem falsch und naiv erscheinen. Ich nehme dieses Risiko in Kauf und jede Unzulänglichkeit auf mein Konto." "Ist mein eigenes Fundament an Glaubensgewissheiten und Prinzipien stark genug, um eventuellen Versuchungen zu widerstehen? Würde ich als Pragmatiker und Verantwortungsethiker, als der ich mich inzwischen verstehe, klare Grenzen erkennen und benennen […]? Drohen auch meine Konturen zu verschwimmen?"
Das Zugeständnis, dass militärische, rechtserzwingende Gewaltanwendung im äußersten Fall legitim sein kann, birgt die Gefahr, dass sich ethische Maßstäbe abschleifen und nur noch eine militärische Logik nachvollzogen wird. Armeeangehörige, aber auch Militärseelsorger mitsamt ihrem Militärbischof sind immer wieder von dieser Versuchung bedroht.
Militärbischof Sigurd Rink
"Politik ist ein schwieriges, hoch komplexes Unterfangen. Sie ist immer Interessenspolitik, und einen Kräfteausgleich herzustellen ist eine Sisyphusarbeit", stellt Rink fest. Er fragt sich manchmal, frage wenn er sich mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr beschäftigt, "ob ich nicht schon abgestumpft bin, den Krieg als Realität akzeptiert habe und militärische Gewalt nicht mehr als die zwangsläufig Tod, Leid und Zerstörung bringende, unbedingt zu vermeidende Ausnahme betrachte". Afghanistan macht ihn ratlos, wie er gesteht: "Die Wirklichkeit ist immer zu komplex, als dass es ein eindeutiges Richtig oder Falsch gäbe, aber in Afghanistan ist die Lage besonders vielschichtig und verworren."
Alles ist also fürchterlich komplex und unübersichtlich. Doch wir werden sehen: Das Militärwesen hat - aus Sicht des Militärbischofs - trotz alledem unsere tatkräftige Solidarität verdient.
Der Völkermord in Ruanda als "Umkehrerlebnis"
Der Ausgang der 1992 als humanitärer Einsatz zur Lebensmittelversorgung begonnenen UN-Mission(en) in Somalia hat vor mehr als einem Vierteljahrhundert Sigurd Rink in der Einschätzung bestärkt, "dass die UNO nicht die Institution der realisierten Moral" war, für die er "sie gern gehalten hätte".
In den entsprechenden Ausführungen wird aber nirgendwo deutlich, dass die beteiligten US-Einheiten die "Friedensmission" förmlich in einen Krieg umwandelten: Sie bombardierten z.B. eine Clanversammlung und jagten in Wildwest-Manier einen Milizenführer, dessen Stern u.a. infolge der Hilfsmaßnahmen längst gesunken war (dank der US-Strategen aber wieder zum Heldenhimmel aufstieg). Die aktionistischen US-Militaristen verlegten sich Anfang Oktober 1993 ohne Absprache auf ein Tagesabenteuer, das 18 jungen US-Amerikanern und vermutlich über tausend Bewohnern der Hauptstadt Mogadischu den Tod einbrachte.
Hier wurde uns drastisch vor Augen geführt, warum man keine Militärs bei Friedensmissionen und bei der Entwicklung rein polizeilicher Einsatzformen beteiligen darf. (Die überaus kostspielige Entsendung von 1.700 Bundeswehrsoldaten nach Somalia erschöpfte sich in ihrer "Sinnhaftigkeit" darin, deutsche Auslandseinsätze zu enttabuisieren; das Rote Kreuz konnte dagegen mit geringen Mitteln hernach wirklich helfen.)
Die in der Buchwerbung ins Zentrum gerückte Abkehr Sigurd Rinks vom Pazifismus erfolgte bald nach dem Somalia-Fiasko:
Angesichts des Völkermords in Ruanda hatte ich zu der Haltung gefunden, mit der ich zwanzig Jahre später das mir angetragene Amt des Militärbischofs annehmen und […] mit Sinn füllen konnte
Sigurd Rink
Es kann nun nicht erwartet werden, dass der ruandische Genozid an bis zu einer Million Menschen im Jahr 1994 sowie seine jahrzehntelange Vorgeschichte (mit vieltausend-, ja hunderttausendfachen Morden) in einem Buchkapitel ausführlich referiert wird. Rink beschränkt sich aber auch nur auf die Benennung des mit Macheten ausgeführten Völkermordes "vor den Augen der Weltöffentlichkeit" - unter gleichzeitigem Abzug eines Teils der UNO-Blauhelme vor Ort.
Das wiederum ist eine kaum angemessene Kurzform, da "Ruanda" doch - wiederholt - als Anlass für die "endgültig[e]" wie "prinzipiell[e]" Abkehr Rinks vom "Fundamentalpazifismus" und seine Hinwendung zu militärischen Strategien zur Sprache kommt.
Einige Stichworte wären schon angebracht gewesen: Die europäischen Kolonialmächte (Deutschland, dann Belgien) hatten je zu ihrer Zeit die sozio-ökonomischen Ausdifferenzierungen innerhalb der Bevölkerung des Landes in die Kategorien ihrer rassistischen Anthropologie gegossen, dann in "ethnischen Pässen" gleichsam festgeschrieben und sich wechselweise dienstbar gemacht. Vor der Zuspitzung verschlechterte sich die ökonomische Lage Ruandas, auch infolge der aggressiven - neoliberalen - Globalisierung.
Die Verabredungen und Einsatzbefehle zum Völkermord erfolgten u.a. durch Einheiten, die das den Hutu gewogene Frankreich bewaffnet und ausgebildet hatte, und in der "Breite" über den Äther. Technisch machbar gewesen wäre ein nicht-militärisches "Jamming"-Manöver gegen die Genozid-Kommunikation des Hetzradios. Dies hätte den Mordapparat förmlich "kopflos" gemacht und u.U. hunderttausende Menschenleben retten können. Doch hierzu fehlte 1994 der politische Wille!
Die Motive der Gleichgültigkeit im Vorfeld, als man noch hätte gegensteuern können, und während des sich bereits vollziehenden Massenmordens waren genau die gleichen: Afrikanische Menschenleben galten einfach nicht als eine wichtige Angelegenheit.
Wer "Ruanda" als Schlagwort gegen die Befürworter gewaltfreier Strategien anführt, suggeriert, ein "UNO-Krieg" hätte den Genozid stoppen können oder jedenfalls mehr Menschenleben gerettet als Menschentode verursacht. Doch die abgründige Erfahrung dieses lang angekündigten Völkermordes drängt gerade dazu, nichtmilitärische Infrastrukturen der Prävention und nichtmilitärische Instrumente des Reagierens im Krisenfall zu schaffen.