Der Mythos von der digitalen Spaltung und die Folgen von E-Government

Auf dem Berliner Kongress zur Wissensgesellschaft warnen Forscher vor einer Überschätzung der sozialen Veränderungen durch die neuen Medien

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Die Technik allein führt nicht zu mehr Demokratie und auch die Wissensgesellschaft hat mit denselben Problemen zu kämpfen wie ihre Vorläufer. Die so genannte "digitale Spaltung" der vernetzten Gesellschaft ist daher nur ein Abbild der traditioneller sozialer Trennlinien. Und auch mit "E-Government" wird eine Regierung nicht unbedingt demokratischer, solange darunter nur der Ausverkauf staatlicher Funktionen an die Privatwirtschaft verstanden wird.

Die Diskussion über die technologische Revolution und die Rolle des Internet bei der Umgestaltung von Gesellschaft und Politik wird häufig unter der Annahme geführt, dass sich automatisch eine neue Cyberdemokratie entwickelt und auch Regierung und Verwaltung auf "e" umgestellt werden. Die Informations- und Kommunikationstechnik, so glauben ihre Apologeten, wirkt sich selbst demokratisierend aus, da sie einen gleichberechtigten, mehr oder weniger in Echtzeit stattfindenden Austausch der Meinungen ermöglicht.

Doch auch die auf den neuen Techniken aufbauende Wissensgesellschaft ist gekennzeichnet von den traditionellen sozialen Problemen wie Ausgrenzung von Minderheiten und dem ungleichen Zugang zu Ressourcen. Das machten Wissenschaftler auf dem noch bis Sonntag dauernden Kongress Gut zu wissen. Links zur Wissensgesellschaft in Berlin deutlich.

Für Benjamin Barber etwa kann die digitale Kommunikationstechnik nur die analogen Gesellschaftsformen reflektieren. Unsere "privatisierte und kommerzialisierte Gesellschaft mit ihren Einkommensunterschieden und ihren Ungleichgerechtigkeiten" findet nach Meinung des Professors für Politikwissenschaften an der Rutgers University New Jersey mit dem Internet letztlich nur ihren Ausdruck in einer "privatisierten, kommerzialisierten und nicht von allen genutzten Technik".

Die logische Folgerung dieser Betrachtungsweise ist, dass die seit einem guten Jahr auch in Deutschland viel zitierte "digitale Spaltung" der Gesellschaft in User und Loser für Barber ein Mythos ist. "Es gibt keine digitale Kluft", so der Leiter des Walt Whitman Center for the Culture and Politics of Democracy. "Das einzige, was existiert, ist eine digitale Reproduktion der traditionellen Kluft."

Die alten Fragen sozialer Gerechtigkeit verschwinden nicht

Generell könne man von der Technologie nicht erwarten, so Barber in seinem Statement zur Podiumsdiskussion "Demokratie der Wissensgesellschaft", dass sie die Besitzansprüche oder -muster von Regierungen einfach radikal transformiere. Revolutionen müssten politischer Natur sein, nicht technologischer, und von den Menschen ausgehen: "Der revolutionäre Einsatz der Technologie erfordert, dass zuvor eine politische Revolution abläuft."

Ähnlich schätzt auch Nancy Fraser, Professorin für Politologie und Philosophie an der New School University in New York, die Auswirkungen der neuen Medien auf die Demokratie ein. Diese würden zwar "große emanzipatorische Potenziale" zeigen. Die "alten Fragen nach Zugangsgerechtigkeit verschwinden aber nicht." Wer sie für nicht mehr relevant erkläre, leide an einer "völligen Illusion".

Die Wissensgesellschaft mit ihren größeren Informationsmöglichkeiten führt uns laut Fraser, die am Freitagabend den Eröffnungsvortrag der Konferenz an der Humboldt-Universität hielt, "nicht automatisch zu einer gerechteren Gesellschaft." Sie habe die traditionellen Probleme wie die Nicht-Anerkennung von Randgruppen, die Institutionalisierung und Hierarchisierung von Werten oder die ungerechte Verteilung von Reichtum und ökonomischer sowie politischer Macht aber "aus dem Dunkel" herausgerissen. Diese Felder müssten nun im Kontext der Informationstechniken neu angegangen werden.

E-Government und die Unterwerfung

Der Politikberater Barber, der unter anderem bereits für Bill Clinton, Altbundespräsident Roman Herzog, das Europäische Parlament und die Unesco tätig war, kritisierte neben dem Begriff des "digital divide" auch das Konzept des E-Government. Die Definition der elektronischen Verwaltung stützte sich "zu oft" auf ein "Patron-Klienten"-Modell, in dem die Behörden und Ämter als "Service-Provider" und die Bürger als "Kunden" angesehen würden. Dadurch würde das Volk als weitgehend passiv abgestempelt. Gleichzeitig würden die Funktionen einer demokratischen Politik "trivialisiert" und die Regierungsfunktionen ausübende Verwaltung privatisiert. Nutznießer dieser Entwicklung sei allein die Wirtschaft, da suggeriert werde, dass die Regierung tatsächlich ein Unternehmen sei, dessen Funktionen dem "Out-Sorcing" anheim fallen könnten.

Demokratische Regierungen und ihre Apparate sind aber nicht primär Dienstleister. Ihre Hauptaufgabe, so Barber, ist die Verkörperung der Souveränität des Volks. Regierungen müssten daher die öffentliche Deliberation, das Abwägen von Argumenten, erleichtern und es den Bürgern ermöglichen, "sich selbst zu regieren". Beim E-Government müsste es daher richtig verstanden darum gehen, Konsumenten in Bürger zu verwandeln. Bisher sei aber das Gegenteil der Fall.

"E-Government sollte nicht für die Ergebung an den Marktplatz, die Unterordnung öffentlicher Güter unter private Profite und die Ersetzung bürgerlicher Tugenden durch instrumentalisierte Werte stehen", warnt Barber. Als Reaktionär oder reiner Technologiekritiker will er allerdings nicht gelten. So könnten die Interaktivität, die Geschwindigkeit, die punktgenaue Kommunikation sowie die Transparenz der neuen Kommunikationsmedien durchaus eine E-Demokratie hervorrufen und politische Prozesse verbessern. Während dieses Prozesses müssten die Nutzer allerdings aufpassen, nicht die "Werkzeuge ihrer Werkzeuge" zu werden.