Der Nasenfaktor
Machen Gesichter Politik?
Sekunden reichen Studenten aus, um die Abgeordneten im Kongress und Repräsentatenhaus voraus zu bestimmen
Das Gesicht entscheidet über Erfolg oder Misserfolg eines Politikers. Will man herausfinden, was jemand denkt, fühlt, strategisch überlegt, oder auch befürchtet, dann wird der Blick unweigerlich auf das Gesicht gerichtet. Ein ehrliches Gesicht, ein verschlossenes Gesicht oder ein "Pokerface". Eine Auswahl, die nicht jedem gefällt, der als Politiker gewählt werden will.
Hier setzen Alexander Todorov und Kollegen vom Department of Psychology an der Princeton Universität an, wie sie es in Science beschreiben. Sie fanden heraus, dass eine Sekunde ausreicht, um zwischen dem Gesicht eines Erfahrenen und einem "babyähnlichen" (babyfaced) Gesicht zu unterscheiden. Tatsächlich ergibt ihre Analyse, dass Studenten 2/3 (70 Prozent) der Senatoren in einem Test richtig vorausbestimmen, die in den Senat von 2004 gewählt worden sind. Gewählt wird vorzugsweise derjenige, dessen Gesicht reif erscheint und nicht "babyähnlich".
Was heißt "wie ein Baby"? Ein rundes Gesicht, große Augen, kleine Nase, hohe Stirn und ein kleines Kinn. Und damit ist das Urteil gefällt, weil dieses Gesicht nach allgemeiner Meinung nicht hinreichend kompetent ist. Vielmehr wird es als unterwürfig, naiv und schwach empfunden. So erzeugt ein Babygesicht zwar Sympathien, schafft aber nicht das für die Politik notwendige Vertrauen.
Weder Alter, Geschlecht noch die Kenntnis der Begleitumstände spielen bei der Beurteilung eine Rolle. Kompetenz, Intelligenz und das Zeug, eine führende Persönlichkeit zu sein: Das ist es, was den Politiker mit dem reifen Gesicht angeblich auszeichnet.
In diesem Fall haben 843 Studenten an den Untersuchungen teilgenommen. Die Bilder sind stets vor demselben Hintergrund gezeigt worden, wobei Politiker, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, ausgeschlossen worden sind. Ferner ist das Bild jeweils nur eine Sekunde gezeigt worden. Das mag für Studenten angehen. Ob der Wähler sich tatsächlich von denselben Aspekten leiten lässt? Wir wissen es nicht, weil die Auswertung nur ein ungefähres Maß ist.
Es sind noch weitere Kriterien abgefragt worden. Dazu zählen Kompetenz, Intelligenz und Führungspersönlichkeit, das Vertrauen, was Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit einschließt, freundliches Wesen, sprich Liebenswürdigkeit und Ausstrahlung. Tatsächlich ist bei den Studenten nur Kompetenz, Intelligenz und Führungspersönlichkeit mit dem reifen Gesicht verquickt.
Ein nettes Gesicht sagt nicht wirklich etwas über den Menschen dahinter
Nach J. K. Lavater, dem Begründer der Physiognomik, wird niemand leugnen, dass das Gesicht, vor allem die Augen, aber auch der Mund und die Mimik den entscheidenden Zugang zur Seele eines Menschen darstellt. Sein Wesen, sein Charakter, seine Eigenschaften, sein Vorgehen und seine Ziele: Alles ist aus dem Gesicht erkennbar. Nur ist es viel komplizierter und lässt sich keinesfalls im Verhältnis 1:1 übertragen. Folglich ist man nie sicher, was sich wirklich "hinter dem Gesicht" verbirgt.
Das um so mehr, wenn man bedenkt, dass nicht einmal jeder zweite US-Bürger als Kaukasier eingestuft wird, sondern als spanisch sprechender Mittelamerikaner, als Negroider oder als Asiate, der eine völlig andere Einstellung zu dem, was man als sein Gesicht bezeichnet, besitzt. Auch ist unbekannt, aus welchen Bevölkerungsgruppen die zur Prüfung herangezogenen Studenten stammen. Ob tatsächlich der Wähler dieselben Entscheidungskriterien angewandt hat wie die Studenten, bleibt ebenfalls unklar. Wenig spricht dafür, dass aufgrund dieses Berichtes die Kandidaten nach den Gesichts-Kriterien ausgewählt werden.
L.A. Zebrowitz und J.M. Monepar verweisen in ihrer "Perspective" darauf hin, dass weder im Senat noch im House of Representatives, das unserem Bundestag entspricht, auf die babyähnlichen Gesichter verzichtet werden kann. Denn "babyfaced"-Männer sind in der Regel intelligenter, besser ausgebildet und heimsen mehr militärische Erfolge ein als diejenigen, deren Gesicht "reif" erscheint.
Wie heißt es im Unterricht zur Statistik: In Schweden hat die Zahl der Störche gleichsinnig mit der Zahl der Geburten abgenommen. Die Schlussfolgerung, wonach damit bewiesen sei, dass die Störche die Kinder bringen, ist trotzdem falsch.