Der Philosoph Immanuel Kant im Wind des Kalten Krieges

Kant-Denkmal. Bild: vk.com / Подслушано в Калининграде (ПВК)

Nach einer hitzigen Debatte wird der Flughafen von Kaliningrad nun nicht den Namen des im ehemaligen Königsberg geborenen Philosophen, sondern den einer Zarin tragen

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Soll der Flughafen von Kaliningrad (dem ehemaligen Königsberg), der den Namen Chrabrowo hatte, den Namen des deutschen Philosophen Immanuel Kant tragen? Um diese Frage gab es in den letzten Wochen in Russland heftige Debatten. Kant, der 1724 in Königsberg geboren wurde, wo er im Alter von 80 Jahren verstarb, war einer der führenden Denker der Aufklärung und Autor des weltberühmten Werkes "Kritik der reinen Vernunft".

Der deutsche Philosoph hatte bei der Online-Abstimmung gute Chancen, unterlag jedoch. Auf Platz eins landete die Zarin Elisaweta Petrowna, während deren Amtszeit Königsberg sieben Jahre lang zu Russland gehörte. Für die Zarin stimmten 52.222 (33 Prozent) der Abstimmenden. Die zweitmeisten Stimmen bekam Feldmarschall Alexandr Wasilewski. Er war Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen beim Sturm auf Königsberg. Für den Sowjet-Marschall stimmten 29 Prozent (45.459 Stimmen). Der deutsche Philosoph landete auf Platz drei. Für Imanuel Kant stimmten 39.828 Bürger (25 Prozent).

Kant unehrenhaft?

Am 25. November lagen die Zarin und der Philosoph noch gleichauf. Die Debatte, welcher Name für den Flughafen würdig ist, spitzte sich immer mehr zu. Am 27. November wurde das Kant-Denkmal vor der Universität von Kaliningrad mit rosa Farbe beschmiert. Auch am Grab von Kant, welches direkt am berühmten Dom liegt, gab es Farbschmierereien.

An der Kaliningrader Kant-Universität tauchten Flugblätter auf, in denen es hieß, der Flughafen könne nicht den Namen "eines Feindes" tragen. Der Vize-Admiral Igor Muchametschin der russischen Flotte in der Ostsee, erklärte bei einer Ansprache vor Marine-Angehörigen, Kant sei kein Ehrenbürger. Er habe "sein Vaterland verraten" und auf den Knien ersucht, dass er an der Universität Königsberg lehren darf, nachdem dort die Truppen des Zaren eingezogen waren. Im Übrigen würde die Bücher von Kant auch Niemand verstehen.

Landesweite Abstimmung über "große Namen" für die Flughäfen

Nicht nur in Kaliningrad, auch in 39 anderen Städten wurde über neue Namen für die Flughäfen debattiert. In einer landesweiten Abstimmung unter dem Slogan "Große Namen Russlands" wurde unter Federführung des russischen Kulturministers Wladimir Medinski über neue Namen für die Flughäfen abgestimmt. Damit wollte man zum einen das Geschichtsbewusstsein der Russen fördern, zum anderen aber mit internationalen Flughäfen im Westen gleichziehen.

Ob die Abstimmung in Kaliningrad exakt die Stimmung in der Region Kaliningrad repräsentiert, ist zweifelhaft, denn jeder Bürger Russlands konnte für einen beliebigen Flughafen stimmen. Jeder Abstimmende konnte jedoch nur für einen Flughafen und für einen Namen stimmen.

Der Kreml nahm zu der erhitzten Debatte in Kaliningrad keine Stellung. Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, erklärte lediglich, die lebhaften Debatten würden zeigen, dass die Namen der Flughäfen den Menschen "nicht gleichgültig sind". Das Namens-Projekt sei "sehr interessant".

Grob gestrickter Patriotismus

Dass die Debatte in Russlands westlichstem Zipfel so hart geführt wurde, hängt damit zusammen, dass patriotische Kreise es als unehrenhaft sehen, wenn der westlichste Flughafen Russlands nach einem Deutschen benannt wird.

Dabei wurden dem deutschen Philosophen in Russlands westlichster Region in den letzten 27 Jahren große Ehren zuteil. 1992 wurde in Kaliningrad eine in Deutschland geschaffene Reproduktion eines im Krieg verschwundenen Kant-Denkmals aufgestellt. Und 2005 bekam die örtliche Universität den Namen des weltberühmten Philosophen.

Nach Meinung des linken Moskauer Politologen Boris Kagarlitsky waren die Attacken auf Kant Resultat eines einfach gestrickten russischen Patriotismus, wie er unter anderem vom "Ersten" (russischen) Fernsehkanal verbreitet wird.

Kagarlitsky wies darauf hin, dass man Kant schwerlich als einen "Fremden" bezeichnen könne. Immerhin habe er sieben Jahre unter russischer Oberhoheit gelebt. Das war während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763), als Russland die Oberhoheit über Königsberg und Ostpreußen hatte.

Dass die Universität von Kaliningrad 2005 den Namen des deutschen Philosophen bekam, hatte politische Gründe, meint der linke Politologe. Der Kreml suchte auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Methodologie nach Alternativen. Auf diesem Gebiet waren Marx und Engels in der Sowjetunion - und auch später noch - führend. Auf der Suche nach einer Alternative kam Kant politisch zupass, doch eine Liebe zu Kant entstand in Russland nicht.

Der Leiter der russischen Gesellschaftskammer Waleri Fadejew erklärte vor der Wahl, er sehe keine Grund, warum man den Philosophen Kant von der Kandidatenliste streichen solle. Kant sei gewähltes Mitglied der Akademie der Wissenschaften von St. Petersburg gewesen. Die Nachrichtenagentur Ria Novosti schrieb, Kant habe wie alle Einwohner von Königsberg den Treueeid auf die Zarin Jelisaweta Petrowna abgelegt

Gefundenes Fressen für Kalte Krieger

Für einige deutsche Kommentatoren war die rosa Farbe auf dem Kant-Denkmal mal wieder Anlass für gehässige Worte gegen Russland. Fakten spielten bei diesen Kommentaren keine wichtige Rolle. So behauptete der Kommentator des Tagesspiegels, die Zarin Jelisaweta Petrowna habe "keine erwähnenswerte Beziehung zum damaligen Königsberg" gehabt.

Die Tageszeitung "Rheinpfalz" platzierte den Bericht über die Beschmierung des Kant-Denkmals mit einem Foto auf ihrer Titelseite, direkt unter einem großen Artikel mit der Schlagzeile "Putin droht dem Westen mit Aufrüstung". Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Meldung über die Attacke auf Kant gut in das Bild des "rückständigen, autoritär geführten Russlands" passte, das in den deutschen Medien immer wieder mit viel Herzblut beschrieben wird.

Schweigen zu den Schmierereien in der Ukraine

Man wundert sich bei der Stimmungsmache gegen Russland nicht, dass über die Beschmierung des Kant-Denkmals in einer ehemals deutschen Stadt groß berichtet wird, dass man aber die fast täglichen Schmierereien an sowjetischen Denkmälern in der Ukraine konsequent verschweigt.

Im Oktober dieses Jahres beschmierten ukrainische Rechtsradikale nur wenige Tage vor dem 100. Jubiläum der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol ein Denkmal dieser Organisation in der Stadt Dnjepropetrowsk mit roter Farbe. Das Denkmal zeigt ein Mädchen und einen Jungen, die gemeinsam einen Baum pflanzen. Die Polizei schritt nicht ein.

Die großen deutschen Medien berichteten auch nicht von der Sprengung der Gedenkstätte zum Wolhynien-Pogrom durch ukrainische Rechtsradikale im Januar 2017. Auf der 2005 errichteten Gedenkstätte in der Nähe des ehemaligen westukrainischen Dorfes Guta Penjatzkaja wurden die Steine mit den Namen der Toten besprüht. Man sah Flaggen der Ukraine, der "Ukrainischen Aufstandsarmee" (UPA) und SS-Runen.

In dem Dorf Guta Penjatzkaja wurden am 28. Februar 1944 900 Einwohnern - vor allem Polen - bei einem Massaker getötet. Das Massaker verübten Freiwillige des 4. Polizeiregiments der SS-Division Galizien unter Leitung von SS-Sturmbannführer Siegfried Banz und Mitglieder der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA). Beim Wolhynien-Pogrom in den Jahren 1943 und 1944 brannten ukrainische Nationalisten hunderte polnischer Dörfer nieder und töteten 100.000 Polen.

Mit reiner Vernunft hat das Verschweigen von Tatsachen durch viele deutsche Medien nichts zu tun. Einen derart interessengeleiteten Journalismus hätte Immanuel Kant bei seinen geselligen Zusammenkünften schnell als solchen identifiziert.