Der Pianist muss schweigen
Charles Aznavour, Chansonier und armenischer Botschafter in der Schweiz, bekam einen Maulkorb verpasst
Im letzten Jahr ernannte die Republik Armenien den Chansonier Schahnur Waghinak Asnawurjan, besser bekannt als Charles Aznavour, zum Botschafter in der Schweiz, wo der in den 1920er Jahren in Paris geborene Armenier seit fünf Jahren lebt. Außerdem machte man den Wahlgenfer zum Chefdiplomaten bei der UNESCO und der UN.
In seinen Musikstücken hatte sich der Pianist und Sänger allerdings häufig als ein eher wenig diplomatischer Freund klarer Worte gezeigt. Etwa in Tu t'laisses aller - einem Stück, das Aznavour für diejenigen, welche der Sprache der Unterhandlungskunst nicht in ausreichendem Maße mächtig sind, auch auf englisch, italienisch und deutsch aufnahm - zwar nicht ganz wörtlich übersetzt, aber doch recht angemessen:
Du bist so komisch anzuseh'n,
denkst Du vielleicht, das find' ich schön?
[...]
Mit Deiner schlampigen Figur,
gehst Du mir gegen die Natur.
Mir fällt bei Dir nichts and'res ein,
als Tag und Nacht nur brav zu sein.
Seit Wochen leb' ich neben Dir,
und fühle gar nichts neben mir.
Nur Dein Geschwätz, so leer und dumm,
ich habe Angst, das bringt mich um.
Ja, früher warst Du lieb und schön,
Du lässt Dich geh'n, Du lässt Dich geh'n.
Ein gutes Dreivierteljahr nach Aznavours Amtseinführung gibt jetzt die erste diplomatische Verwicklung. Sie geht zurück auf eine Rede, die er am Samstag auf einer am Pariser Arc de Triomphe abgehaltenen Gedenkfeier halten wollte. Am 24. April vor 95 Jahren hatte die Regierung des Osmanischen Reiches nämlich zahlreiche Angehörige der armenischen Führungsschicht festnehmen lassen, von denen viele erschossen wurden. Dies gilt als Auftakt für die darauf folgende und als Deportation deklarierte Massenvernichtung.
Tatsächlich hielt Aznavour die Rede nicht, machte aber relativ deutlich klar, dass dies nicht auf seinen eigenen Willen zurückgeht. Weniger klar ist bis jetzt, wer Aznavour den Maulkorb verpasst hat und auf welchem Wege dies geschah. Spekuliert wird sowohl über die armenische Regierung, als auch über die der Schweiz. Micheline Calmy-Rey, die Außenministerin das Landes, das früher einmal stolz darauf war, "keine Außenpolitik" zu betreiben, versucht sich nämlich seit geraumer Zeit als Vermittlerin zwischen Armenien und der Türkei zu verdingen.
Im letzten Jahr brachte sie die Außenminister der beiden Länder dazu, in Zürich zwei Verträge zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und zur Öffnung der Grenzen zu unterschreiben. Vorgesehen war auch die Einsetzung einer unabhängigen Historikerkommission, welche die Massenvernichtung untersuchen soll.
Allerdings müssten diese Verträge noch von den Parlamenten der beiden Länder ratifiziert werden, was bis jetzt noch nicht geschah. Und es ist auch fraglich, ob und wann eine Ratifizierung überhaupt zustande kommt. Die türkische Seite stört sich nämlich an der Frage der von Aserbaidschan beanspruchten aber von Armeniern bewohnten und faktisch an deren Republik angeschlossenen Region Bergkarabach, die in den Verträgen eigentlich bewusst ausgeklammert worden war.
Auch Armenien scheint sich mittlerweile aus dem Ratifizierungsprozess verabschiedet zu haben. Zwar wurden die beiden Züricher Verträge dort erst einmal auf Eis gelegt und noch nicht (wie teilweise falsch gemeldet) formell verworfen, aber Parlamentarier werten sie in armenischen Medien trotzdem als "de facto tot".
Auch die Bedingungen für die Einsetzung der geplanten Internationalen Historikerkommission könnten sich bald verschlechtern: Denn mittlerweile brachte die mal mehr und mal weniger an der armenischen Regierung beteiligte sozialdemokratisch-nationalistische Haj Heghapochakan Daschnaktzutiun im Parlament einen Gesetzentwurf ein, der die "Genozidleugnung" unter Strafe stellt und auch bei Abgeordneten anderer Parteien Zustimmung findet. Larisa Alaversjan von der liberalen Sharangutiun-Partei sagte dem Portal news.am, so ein Gesetz sei notwendig, damit solche Verbrechen in der Zukunft verhindert würden. Ähnlich äußerte sich Hovhannes Margarjan von Orinantz Erkir. Der Anführer der konservativen Bargavadj Hajastani Kusaktzutjun, Aram Safarjan, meinte dagegen, es sei "paradox", wenn man diesen Tatbestand im Land der Opfer unter Strafe stelle, und nicht in jenen, in denen die Nachkommen der Täter leben.
Auf Anfrage von Telepolis wollten weder die armenische Botschaft in der Schweiz noch das eidgenössische Außenministerium eine Stellungnahme dazu abgeben, wer den Stopp von Aznavours Rede veranlasst hat oder haben könnte. Der Bitte um Einsichtnahme des ursprünglich vorgesehenen Manuskripttextes mochten die beiden Behörden ebenfalls nicht entsprechen. Sollte seine Nichtverlesung tatsächlich auf eine Intervention der armenischen Regierung zurückzuführen gewesen sein, dann spricht einiges dafür, dass der Text tatsächlich von ganz ungewöhnlicher Schärfe war - denn immerhin zeigten sich auch andere armenische Staatsvertreter in der Vergangenheit nicht gerade sparsam mit Vorwürfen - und Staatspräsident Sersch Sargsjan dankte am Samstag noch einmal explizit all jenen Regierungen, die von der Massenvernichtung der Armenier im Ersten Weltkrieg als Völkermord sprechen.