Der Schiedsrichter aus Fleisch und Blut ist ein Auslaufmodell
Bei der Fifa-Fußball-WM haben Roboter einen wichtigen Etappensieg errungen - und könnten damit die Drohnendebatte beeinflussen
Die RoboCup-WM, bei der Roboter untereinander um Titelehren im Fußball und anderen Disziplinen kämpfen, beginnt erst eine Woche nach dem Finale der laufenden Fifa-WM im brasilianischen João Pessoa. Die Maschinen haben aber schon jetzt dem Spiel der menschlichen Kicker ihren Stempel aufgedrückt. Das sollte auch denen zu denken geben, die über die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr nachdenken.
Fußball und Drohnen scheinen zunächst einmal nicht viel miteinander zu tun zu haben. Und doch bietet die derzeit laufende Fußballweltmeisterschaft eine Antwort auf die Frage, die bei der Tagung "Rüsten für die Zukunft?" der Evangelischen Akademie Loccum Anfang Juni wortwörtlich im Raum hing. Die Teilnehmer waren aufgefordert worden, wichtige Fragen zum Thema auf gelben Karten zu notieren, die dann an eine Pinnwand geheftet wurden. Vieles konnte thematisch zusammengefasst werden, doch diese Frage stand für sich: Warum erhalten Drohnen so viel mehr Aufmerksamkeit als andere Waffensysteme?
Die Antwort zeichnete sich im Verlauf der dreitägigen intensiven Diskussionen immer deutlicher ab: Weil es um viel mehr geht als um ein neues Waffensystem. Drohnen sind nur der derzeit markanteste Ausdruck einer Entwicklung, die an vielen verschiedenen Orten erfolgt: Roboter und Künstliche Intelligenz werden alltagstauglich und übernehmen immer mehr Funktionen, die bislang nur von Menschen ausgeübt werden konnten. Die Maschinen wandeln sich von komplexen Werkzeugen zu sozialen Akteuren. Damit stellen sich drängende Fragen nach der Gestaltung des zukünftigen Zusammenlebens - von Menschen untereinander, aber auch zwischen Mensch und Maschine.
Entscheidend ist, was auf dem Bildschirm erscheint
Wem das zu weit hergeholt erscheint, der möge sich noch einmal vergegenwärtigen, wie bei der Fußball-WM schon von den ersten Spielen an die Schiedsrichter vorgeführt werden. Aus mindestens drei verschiedenen Perspektiven wird ihre Leistung von Hochgeschwindigkeitskameras bewertet. Fehlentscheidungen waren innerhalb weniger Sekunden manchmal sogar auf den Stadionmonitoren zu erkennen, sodass die Spieler darauf verweisen konnten. Gegen das elektronische Kamerasystem, dessen Fundament Leni Riefenstahl mit ihrem Olympia-Film von 1938 gelegt hat, kommt kein menschliches Auge mehr an. Die Entscheidung über Tor oder nicht ist bei dieser Weltmeisterschaft sogar gänzlich an die Maschine übergegangen.
Ohnehin ist das Spiel mit dem maschinellen Blick längst ein zentraler Bestandteil des gesamten Ereignisses, etwa wenn die Kamera ins Publikum schwenkt und wartet, bis die Zuschauer sich selbst erkennen - um sie dann sogleich auszublenden. An der zumeist erstaunlich kurzen Reaktionszeit der Zuschauer zeigt sich, welchen Stellenwert das Geschehen auf dem Monitor gegenüber dem auf dem Spielfeld mittlerweile erlangt hat. Mittlerweile gibt es bereits eine Art Wettbewerb darum, wer diese wenige Sekunden internationaler Aufmerksamkeit am originellsten nutzen kann. "Entscheidend is auf’m Platz" - die alte Fußballweisheit gilt nicht mehr. Wirklich entscheidend ist, was auf dem Bildschirm erscheint. Die Kamera hat das letzte Wort. Roboteraugen definieren das Geschehen.
So markieren die Diskussionen um den Videobeweis im Fußball und über die Bewaffnung von Drohnen nur zwei der vielen Stellen, an denen sich Mensch und Maschine so nahe gekommen sind, dass es beunruhigt und manchmal auch weh tut. Die Bemühungen der Fifa, das Thema Roboter aus der Veranstaltung herauszuhalten, werden nicht fruchten. Zwar wurde der ursprünglich geplante Anstoß des Turniers durch einen Querschnittsgelähmten im Exoskelett zu einer wenige Sekunden dauernden Aktion am Spielfeldrand reduziert. Dennoch spüren immer mehr Menschen, dass Robotik mehr bedeutet als nur besonders raffinierte, vielfältig nutzbare Werkzeuge. Es ist eine soziale Technologie. Künstliche Intelligenz wird mehr und mehr Platz in unseren sozialen Systemen beanspruchen und Veränderungen erzwingen. Wie viel Macht wollen wir mit ihr teilen, wie viel Macht wollen wir ihr geben? Lassen wir sie die Regeln bestimmen? Oder gibt es klare Grenzen?
Der Einwand, dass die Roboteraugen im Stadion und die Drohnen im Kriegsgebiet doch immer noch von Menschen gesteuert werden, ist nichts weiter als eine Beruhigungspille mit sehr begrenzter Wirksamkeit. Denn ebenso wie die Rüstungsdynamik immer kürzere Reaktionszeiten und damit schließlich autonom feuernde Drohnen erzwingen wird, wird die Automatisierung auch beim Fußball immer mehr Bedeutung erhalten. Denn im Wettstreit mit dem Roboter ist der menschliche Schiedsrichter auf Dauer chancenlos. Wenn nur die Besten bei der WM pfeifen sollen, gehört die Zukunft klar den Maschinen. Wenn es in erster Linie darum geht, die Zahl der Fehlentscheidungen auf ein Minimum zu reduzieren, ist der Schiedsrichter aus Fleisch und Blut ein Auslaufmodell.
Aber vielleicht bewirkt die Aussicht auf Fußballturniere unter Roboteraufsicht ja etwas, was weder Drohnen noch Roboter als Jobkiller bislang erreicht haben: ein Aufschrecken aus der Optimierungsspirale und dem Perfektionierungswahn. Denn auch wenn es bei der Fifa-WM natürlich um unglaublich viel Geld geht, bleibt Fußball letztlich ein Spiel. Auch wenn jede Mannschaft antritt, um zu gewinnen, geht es doch immer zugleich um die eigene Fehlbarkeit und den Umgang damit. Wer Fußball spielt, muss lernen, mit Niederlagen umzugehen und Fehler zu akzeptieren, die eigenen ebenso wie die der anderen. Natürlich ließe sich das Spiel auch mithilfe intelligent gesteuerter Kameras beobachten und über die Stadionlautsprecher pfeifen, ohne dass Schiedsrichter auf dem Feld mitlaufen. Aber wäre das noch richtiger Fußball? Es wäre jedenfalls kein Spiel auf Augenhöhe mehr, mit Schiedsrichtern, die ebenso scheitern können wie die Spieler, sondern eins unter Aufsicht einer höheren Macht. Selbst wenn diese höhere Macht von Menschen programmiert wurde, erinnert das doch eher an Kicken beim Freigang im Gefängnishof als an ein fröhliches, unbeschwertes Spiel.
Am kommenden Montag, 30. Juni, hat der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages neun Experten eingeladen, um mit ihnen über ethische Fragen des Drohneneinsatzes zu diskutieren. Wenn dabei auch der bisherige Verlauf der Fußball-WM zur Sprache käme, wäre das nicht unbedingt ein Zeichen für mangelnde Ernsthaftigkeit, im Gegenteil. Es wäre Anlass zur Hoffnung, dass unser Führungspersonal beginnt, die Tragweite der anstehenden Entscheidungen zu begreifen.