Der Stern des Egon Erwin Kisch
Trajektorien eines deutschen Reportage-Oscars
Heute, am 7. Mai, ist es wieder so weit - sie findet statt, die große Stern-Gala, die Bambi-Verteilung für Höchstleistungen im deutschen Journalismus, abgehalten wird sie im glamourösen Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, vergeben wird in verschiedenen Kategorien der Henri Nannen-Preis, insbesondere in der journalistischen Edel-Kür des Kettenrauchens, an Helmut Schmidt. Einst bekannt als Egon Erwin Kisch-Preis für eine herausragende Reportage, Jahrzehnte lang vergeben vom Stern, gibt es in diesem Jahr, zu Kischs 125. Geburtstag, nicht einmal einen Kisch-Sonderpreis. Das schließe ich zumindest aus dem Schweigen des gegenwärtigen Stern-Chefs. Ich fragte ihn persönlich. Bereits vor Wochen. Keine Antwort.
Verständlich. Der Mann muss sich von mir gefrotzelt gefühlt haben, sofern die Nachricht überhaupt zu ihm durchgedrungen ist. Denn, erstens, wer weiß heute schon noch, wer Egon Erwin Kisch überhaupt war? Und zweitens, ein Kisch-Preis in unserem Zeitalter? Wir sind schließlich keine DAMPF-PUNKS. Das stimmt, auch ich betreibe keinen mit Gas beleuchteten Computer. Trotzdem will es mir, sogar jetzt, in diesem Jahr 2010, so scheinen, als sei der eigentliche Skandal nicht der, dass der Stern sintemalen einen Egon Erwin Kisch-Preis auf seinem Banner führte. Sondern, dass er ihn wieder abgeschafft hat.
Ich denke kaum, dass Helmut Schmidt bei der anstehenden Feier einen Reich Ranitzki tanzen wird, und es wird ihm auch kein schulbubenhafter Gottschalk nachher im Genick sitzen und ihn über die Vorzüge der heutigen Medienlandschaft belehren. Ich denke, die Leute, die am heutigen Abend ihr Lächeln den Kameras entgegenrecken, werden sich darüber eins sein, dass Kisch heute passé ist, insbesondere mit seiner kurligen Maxime, dass "die Wahrheit" angeblich irgendwie das Wichtigste am Journalismus sein könnte - entsprach das doch nicht einmal zu Kischs Lebzeiten irgendwie der Wirklichkeit.
Kisch musste sich damals regelrecht abstrampeln, um seine Sammlung klassischer Reportagen zusammenzutragen. Er fing an vor 2000 Jahren mit Plinius dem Jüngeren, der seinem Chefredakteur Tacitus einen Bericht über das Erdbeben von Pompeji lieferte, dann ging es weiter bei Helfrich Peter Sturz, dem Freund Lessings, mit George Forster, dem Weltumsegler an der Seite von James Cook. Kisch griff zurück auf Charles Dickens, der in seiner Rolle als Reporter eindringlich auf das Londoner Elend hingewiesen hatte, auf Henry M. Stanley, der von seiner Zeitung ausgesandt wurde, um den verschollenen Missionar Livingstone aufzufinden und der ganz nebenbei einen halben Erdteil erforschte, und zuletzt, an überragender Stelle, stand Emile Zola, der die Probleme der neuen Zeit an Ort und Stelle aufspürte und seinen Lesern das zeigte, woran sie täglich ahnungslos vorübergingen oder woran sie ahnungslos teilnahmen: den Bahnhof, die Markthalle, den Schlächterladen, das Warenhaus, die Waschküche, die Börse, die Budike, die Kohlengrube, den Acker, die Fabrik und auch - den Krieg.
Das Buch war ein bisschen was von Beidem, ein Schere-und-Leim-Projekt, ein journalistischer Schnellschuss, und eine Syssiphus-Arbeit zugleich. Tucholsky lobte das Ergebnis, schließlich ging es ihm, Kisch, dabei vorrangig um das Thema Journalismus und Wahrheit. Um eine Definition dessen, was Reportage zu sein hätte, um die Etablierung einer Kunstform, aber auch einer edlen Ahnenreihe - nicht zuletzt für sich selbst.
Das dazugehörige, werbeträchtige Jingle formulierte Kisch im Jahr darauf, 1924, im Vorwort zu jenem Reportagenband, der ihn berühmt machte, und ihm seinen professionellen Spitznamen eintrug, "Der Rasende Reporter":
Nichts ist verblüffender [schrieb Kisch] als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt, als die Zeit, in der man lebt!
Dazu sagt man als Journalist, auch heute noch, ohne lange zu überlegen: "Schick es mir, und ich unterschreib es." Denn wir alle haben gelernt, "Truth is stranger than fiction". Indessen: Kischs Sprüchlein ist in Wirklichkeit nur eine rhetorische Kaskade, "nichts ist verblüffender, nichts exotischer, nichts phantasievoller, dah, dah, dah."
In Wahrheit, in Wirklichkeit, im journalistischen Alltag, müsste man eher sagen - gibt es "die Wahrheit" als solche gar nicht, und wenn, ist sie meistens: Unverständlich. Unvollständig. Ungenießbar.
So wie ein saftiger Hackbraten nichts ist ohne die Zwiebeln, das Öl, das Salz, ohne den Pfeffer, die Eier, die Semmelbrösel, und weiteres mehr, so bedarf auch die Wahrheit zunächst einmal der richtigen Aufbereitung. Erst mit jenem Quäntchen Übertreibung, Dramatisierung, Aussparung, Verfälschung des Blickwinkels, Verdrehung der Fakten, persönlicher Verleumdung, unsachlicher Unterstellung, und dergleichen Dingen mehr, die den Journalismus ausmachen, wird sie überhaupt erkennbar. Erst durch die Lüge wird die Wahrheit goutierbar. Ja, an einem echten "Falschen Hasen" bemerkt man nicht einmal das völlige Fehlen jedweder fleischlichen Substanz.
Ich sage das fast ohne Ironie. Eine Anthologie journalistischer Lügen wäre unvergleichlich viel leichter zusammenzustellen - oder, nein, das vielleicht nicht, leichter nicht, aber es gäbe hundert Mal mehr Material. Man bräuchte, beispielsweise, nur ein paar Hefte des Columbia Journalism Review durchzublättern.
Und dann gibt es eben immer wieder diese Zwischenbereiche. Dass es einst einen Egon Erwin Kisch-Preis für Journalismus gab, der von der Illustrierten Stern verliehen wurde, ist einfach nur als Faktizität des Tatsächlichen zu konstatieren. Es ist wahr, auch wenn man darüber lachen möchte. Dass der Kisch-Preis schließlich in Henri-Nannen-Preis umbenannt wurde, ist ebenfalls wahr, obwohl man darüber fast schon nicht mehr lachen kann.
Das zentrale Bild - für mich - bleibt bei alledem der STERN.
Kisch trug in Deutschland keinen Judenstern, der Buchstabe "J" [für "Jude"] fehlte in seinem Pass. Denn die Ikone des deutschsprachigen Journalismus im 20. Jahrhundert, der König der deutschen Reporter, das gehört zur Ironie dieser Geschichte dazu, der große Egon Erwin Kisch, der, wie seine Totenmaske zeigt - ich habe sie gesehen - ein wirklich kleines Männlein gewesen sein muss, Kisch, der jüdische Kettenraucher aus Prag, besaß einen tschechoslowakischen Pass, weswegen er, der bereits einen Tag nach der Machtübernahme der Nazis in Berlin verhaftet worden war, dem Zugriff seiner Häscher nach kurzer Zeit wieder entkam. Die Nazis deportierten ihn, verwiesen ihn des Landes, statt ihm jeden Knochen im Leib zu brechen. Genau das hatten sie mit dem Dichter Erich Mühsam getan, den sie zeitgleich mit Kisch verhaftet hatten und der, anders als der amerikanische Film-Star, Aaron Johnson, dem Helden aus "Kick Ass", unter solcher Behandlung nicht zum Super-Helden mutierte. Er starb.
Was Kisch betrifft so kann selbst Wikipedia es sich nicht verbeißen, bei allem Grollen, das dem Unterleib der Großen Unparteiischen Enzykloppädia gegenüber diesem einst so aktiven aber jetzt schon seit über 60 Jahren verblichenen Kommunisten entfährt - ja, sogar Wikipedia - kommt nicht umhin, ihm einen gewissen Respekt zu zollen.
Was Henri Nannen betrifft, so gründete er die Illustrierte Stern, die ihren Namen heute mit kleinem Anfangsbuchstanen schreibt. Da gibt es zunächst einmal das verzerrt-sternförmige Logo dieser Zeitschrift, das in Deutschland so bekannt ist wie der Mercedes Stern, das VW-Symbol, die Schriftzüge von McDonald's oder Coca Cola. Und doch dürfte jeder, selbst wer diesen "Stern" bereits 5.000 mal gesehen hat, Mühe haben, ihn aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen.
Man hält das Ding für eine Zerrbild, eine Anamorphose, wie jenen Totenschädel, der sich schräg über die "Botschafter" von Hans Holbein legt, und der sich erst zu einer normalen Ansicht verkürzt, wenn man das Bild in einem flachen Winkel vom Bildrand her betrachtet. (Anamorphosen entstanden im 16. Jhdt. als eine Variante der Zentralperspektive und werden nach denselben Gesetzen konstruiert. Die Bilder sehen von vorne gesehen verzerrt aus, betrachtet man sie aber von der Seite her, stellen sich die normalen Proportionen her, und sie scheinen sich vom Blatt zu lösen.)
Und doch ergibt sich, wie man es auch dreht und wendet, aus dem Stern vom Stern kein Stern, das Logo ist mehr eine Art M. C. Eschersche Überlagerung verdrehter Rechtecke oder Dreiecke in einem dreidimensionalen Verhältnis untereinander. Man sieht es klarer, wenn man die Linien innerhalb der weißen Fläche ergänzt und durch=zieht.
Da muss der ehemalige Kunst-Student Henri Nannen schon eine gehörige Portion Hirnschmalz drauf verwendet haben, um, unmittelbar nach dem Krieg, dieses Logo zu entwerfen, bei dem kein einziger Deutscher je an einen JUDEN-Stern gedacht hat. Vielleicht war ja gerade DAS das ungemein Schlaue daran, dass man ein bereits eingeführtes "Markenzeichen" nun, in abgewandelter Form, wieder für "sich" reklamierte. Eine Art Zweitverwendung. Simon Wiesenthal, in seinem Buch "Justice Not Vengeance" bestätigte Nannen (unwidersprochen) das entsprechende Talent dazu. "The Stern boss Henry (sic) Nannen has a past as a Nazi propaganda man," schrieb Wiesenthal. Nun: je nachdem. In einer ostfriesischen Heimat-Webseite stellt ein Autor namens Hermann Schreiber Nannen als Kunstliebhaber und Mann mit echten jüdischen Freunden dar, der zufällig ein bisschen Kontakt mit einer SS- Berichterstatter-Truppe hatte. Und mit Leni Riefenstahl. Bei Wikipedia heißt es schroffer:
Im Zweiten Weltkrieg diente er bei der Luftwaffe als Kriegsberichtserstatter in der Propagandatruppe, so weit bekannt in der Abteilung "Südstern" der SS-Standarte Kurt Eggers. Diese war mit Propaganda gegen die Westalliierten in Italien befasst. Hinweise auf eine SS-Mitgliedschaft Nannens ergeben sich daraus jedoch nicht. Das "Südstern"-Teileinheitszeichen soll angeblich Vorbild für das Logo des späteren Magazins Stern gewesen sein.
"Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit!" möchte man da ausrufen - aber ob das wirklich stimmt? Eine Internet-Recherche konnte das betreffende "Südstern"-Symbol jedenfalls nicht zutage fördern. Vielleicht hat der Wiki-Mensch nur seiner Phantasie die Zügel etwas schießen lassen?
Andererseits, was hätte man anderes erwarten können? In der publizistischen Landschaft West-Deutschlands waren so gut wie ALLE Schreiberlinge der Jahre bis etwa 1960 frühere Nazis. Siehe: "Der Mann, der bei der ZEIT Ernst Krüger war", über die journalistische Karriere des SS-Generals und früheren Nazi-Botschafters in Teheran, Erwin Ettel, der sechs Jahre lang in der "Zeit" jede Woche mindestens einen Artikel veröffentlichte, also insgesamt mehr als 400. Und er war mitnichten der Einzige von dieser Sorte, der damals, dort, in der ZEIT, sein Anaconda versprühte.
Oder nehmen wir Werner Höfer, der über 30 Jahre lang den sonntäglichen TV-Frühschoppen, die wichtigste politische Diskussionsrunde der jungen BRD, leitete. Er musste den Hut nehmen, als es endlich jemandem auffiel, dass der Typ schon als Nazi Journalismus betrieben hatte. Er war in Berlin "Pressereferent der Organisation Todt" gewesen, wie Wikipedia heute ganz nüchtern anmerkt, es ist schließlich auch nichts zum Lachen dabei, aber der Name verpflichtete offenbar zu einem ganz eigenen Umgang mit dem realen Sterben.
Am 3. September 1943 wurde der außerordentlich befähigte junge Pianist Karlrobert Kreiten vom Volksgerichtshof wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und vier Tage später hingerichtet. Kreiten hatte einer Freundin seiner Mutter gegenüber unter anderem seine Zweifel geäußert, dass Deutschland den Krieg gewinnen könne. Am 15. September hatte Das 12-Uhr-Blatt darüber berichtet. Am 20. September kommentierte Höfer die Angelegenheit darin in einem kurzen Artikel unter dem Titel "Künstler - Beispiel und Vorbild" mit den Worten:
Wikipedia
Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Verständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen würde als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen. Das Volk fordert vielmehr, dass gerade der Künstler mit seiner verfeinerten Sensibilität und seiner weithin wirkenden Autorität so ehrlich und tapfer seine Pflicht tut, wie jeder seiner unbekannten Kameraden aus anderen Gebieten der Arbeit. Denn gerade Prominenz verpflichtet!
Höfer
Mit andern Worten, Höfer applaudiert der Hinrichtung eines Klavierspielers, der Zweifel am Endsieg gehegt hatte. Ich bin überzeugt, wenn man sich heute auch nur eine einzige Frühschoppen-Folge ansehen würde, stünde jedem recht bald vor Augen, wes Geistes Kind der Mann war, und man würde sich ungläubig an die Stirn greifen: "Wie konnten die Leute das 30 Jahre lang nicht bemerken?"
Es ist wie mit den Hitler-Tagebüchern, auf die der Stern hereinfiel - zu einer Zeit, zugegeben, als Nannen schon nicht mehr allzu viel mit dem Blatt zu tun hatte. Der ehemalige Kunststudent Nannen, der sich besonders für Kunstfälschungen interessierte, wie Hermann Schreiber ihm attestiert. Aber waren Kujaus Fälschungen wirklich so gut, dass man Knall auf Fall auf sie hereinfallen musste? Natürlich nicht. Die Leute vom Stern waren geschulte Journalisten, sie hatten (beispielsweise) mit Günter Wallraff zusammen den portugiesischen General Spinola des versuchten Waffenhandels in Deutschland überführt, ihre kritischen Fähigkeiten waren wohl ausgebildet. Aber hier versagten sie. Die Hitler-Tagebücher waren so etwas wie das Turiner Grabtuch für sie, der Magnetismus war übermächtig. Der Glaube an Hitler war stärker als jede Fähigkeit zum Zweifel. Ich bin überzeugt, dass hier, wie beim Höferschen Frühschoppen, jemand der heute nur ein einziges dieser Tagebücher in die Hand nähme, nach fünf Seiten sagen würde: "Ist ne Fälschung, Mann. Ganz klar."
Aber Fälschungen gehörten wohl auch zum Alltag des Blattes. Der Virus, den Wallraff der Bild-Zeitung attestierte, grassierte, wie mir scheint, in der gesamten Hamburger Presseszene.
Ich erinnere mich speziell an ein Foto im Stern. Ein Flugzeug war abgestürzt, irgendwo in Afrika. Beim Aufprall war die Maschine zerschellt, und die Passagiere waren ebenfalls zerrissen und die Leichenteile überallhin verstreut worden. Ein Stern-Fotojournalist hatte einen abgerissenen Arm entdeckt, und sich dabei zu einer sensationellen Zeitungsidee verstiegen. Der Arm, der leblos im Sand lag, bot einen bedrückenden Anblick. Aber er war vermutlich nicht allzu deutlich und klar zu erkennen. Man musste ihn hochheben und auf einem nahen Podest - T-förmig balanciert - postieren, wo er sich besser fotografieren ließ. Dann kam die erfundene Story dazu: Ein grausiger Fund, abgerissener Arm wirbelt durch die Luft und kommt punktgenau so auf diesem Zaunpfahl zu liegen - und bewegt sich hinfort keinen Millimeter weiter, allen Einmischungen irgendwelcher Tiere, Menschen, oder Windböen zum Trotz, bis der Mann mit der Kamera erscheint. Nichts ist verblüffender, als die Bereitschaft der Zeitungsleser, jeden ausgefallenen Mist auch wirklich zu glauben!
Jahre später begegnete ich einem Stern-Fotografen und -Journalisten (vielleicht dem gleichen Mann, wie in der Anekdote oben, ich hab ihn leider nicht gefragt) der mir erzählte, er sei zu Beginn seiner Karriere zwei Jahre lang für das Blatt in Biafra (Nigeria) gewesen und habe jede Woche Fotos und Berichten über das Elend der Menschen dort nach Hamburg geschickt. Und jedes Mal hätte Henri Nannen gesagt: "So lange da kein weißes Gesicht auf den Fotos drauf ist, interessiert mich die Geschichte nicht."
Biafra, hier auf einem Cover von LIFE gehörte zu den definitorischen politischen Ereignissen der ausgehenden Sechzigerjahre. Nannen hätte genauso gut versuchen können, den Vietnamkrieg oder die Beatles zu ignorieren. Was, für einen Zeitungsmann, immerhin eine ungewöhnliche Vorgehensweise ist.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es bereits mehrer Doktorarbeiten im Fach Publizistik zum Thema "Die selektive Wirklichkeitswahrnehmung deutscher Zeitungszaren am Beispiel von XZY" gibt - und ich vermute, dass die Namen, die vorrangig für die 50er und 60er Jahre eine Rolle spielen, Henri Nannen, Rudolf Augstein und Axel Cäsar Springer sein dürften.
Nannen, der als Propagandist für die SS gearbeitet hatte, verbat es sich per Gerichtsurteil, selber in die Nazi-Realität mit hinein verwickelt zu werden, wie man in diesem ZEIT-Artikel aus dem Jahr 1971 nachlesen kann.
In einem kurzen Video-Portrait, das der Webseite des Henri-Nannen-Preises vorgelagert ist, sehen wir Nannen, mit einem gottesanbeterischen Hi-hi-hi-Grinsen, einen Reporter auffressen, der sich nach seinem Namen erkundigt. "Ich bin der Chefredakteur vom Stern", bestätigt Nannen dem Mann, ganz wie Dagobert Duck einem Hotelangestellten mitteilt "Ich bin Dagobert Duck, und jetzt kaufe ich dieses Hotel und dann sind Sie gefeuert." - "Ahhhh..." sagt der Reporter, so wie Donald sagen würde: "Dagobert Duck?! Gute Nacht, du schöne Großmutter!" - Aber Nannen legt nach, sanftmütig, nach dem Schrecken, "Ich bin ein Kollege von Ihnen."
Erstaunlich, wie sehr Nannen auch in der Stimmlage an Willy Brandt erinnert - an einen weniger phlegmatischen, einen eher sanguinischen, man könnte auch glauben, cholerischen, Willy Brandt. Im Portrait seiner Anfangszeit beim Stern kommt Nannen ebenfalls, hoppla-ho, wie ein begeisterter Seifenkistl-Enthusiast rüber, mehr Rasselbande-Chef als Boss vom Stern.
Kurios wirkt auf mich, aus der Distanz vieler Jahrzehnte, wie sich die Sternbahnen der Zeitungsmacher Nannen, Augstein, Springer, et. al. in ihren Anfängen zu kreuzen schienen. Nannen ließ sich 1945 in Hannover nieder. Hier gründete er 1946 eine Tageszeitung, die Hannoverschen Neuesten Nachrichten. Rudolf Augstein, der spätere Gründer des Spiegel, wurde 1945 als Journalist beim Hannoverschen Nachrichtenblatt tätig. Kann es sein, dass es in Hannover damals ZWEI Zeitungen mit fast identischem Namen gab? Ist es denkbar, dass diese beiden Journalisten sich in diesem zusammengebombten Kaff (Bevölkerung: 217.000 im April 1945) nicht begegnet sind? Nein, es sieht für mich so aus, als wäre da ein Brite gewesen, und vielleicht war es wirklich dieser Henry Louis Ormond, den Nannen erwähnt, oder ein anderer britischer Publicity and Liaison Officer, der sich mit diesen deutschen Bewerbern um eine Presse-Lizenz zusammensetzte, ein Bier trank, und sich freute, wenn sie ihm einen Zeitungsnamen nannten, der sich aus vier Buchstaben zusammensetzte.
"Right Henri with an i, so you want to start a magazine called The Star, do you?"
"And you, Rudi, want to kick off This Week?" (Denn der Spiegel hieß zunächst noch Diese Woche.)
"So Axle, Das Bild, is it?"
"Gerd, I got it. Die Zeit."
Und auch wenn Augstein nachher, als Politiker keine wahre Leuchte, wahlweise für die FDP (!) in den Bundestag zog oder der Kampagne "Enteignet Springer!" beisprang - letztlich blieb auch er im eigenen Haus ein kleiner Diktator. Die sogenannte Spiegel-Schreibe, die jeder Fünfzehnjährige nach der Lektüre von zwei Spiegel-Heften intus hatte, einen mit vielfach imaginären Anglizismen gespickten Jargon, den man irgendwie dem amerikanischen TIME-Magazin abgeschaut hatte, trug wohl zur sprachlichen Umerziehung der seinerzeitigen, durchgängig nazid vorbelasteten Journaille und Leserschaft bei, infantilisierte und entpersönlichte aber auch die ohnehin meist namenlosen Spiegel-Schreiber in der gleichen wie beispielsweise aus den Heftchen-Romanen bekannten Weise als anonyme Kolportagisten. Sie wurden letztlich zum schreibenden Fußvolk des Spiegel, dessen Herausgeber sich als Historiker gefiel, der sich über - den Alten Fritz ausließ.
Dass der Spiegel unter dem Banner der Volksaufklärung mehr zur Bewahrung des historischen Nazi-Erbes beigetragen hat als jedes andere Blatt oder jeder andere TV-Sender seither scheint mir außer Frage. Nur, dass man es eben nicht als "Wiederbetätigung" einstuft. Einen Rudolf-Augstein-Preis für hervorragenden Journalismus hat es bisher nicht gegeben. Wer den lobenden Nachruf auf Augstein liest, möchte meinen, es müsste einen geben. Auch wenn mir ein Mann, der den Spiegel als "Sturmgeschütz der Demokratie" bezeichnete, nicht eben sympatico ist. Auch Nannen bezeichnete seine Stern-Redaktion gerne als "Freikorps".1 Vermutlich weil er - hi hi hi - dem deutschen Wort Freikorps eine völlig neue Bedeutung aufs Auge gedrückt hatte. Zu Axel Springer erübrigt sich eine längere Ausführung, aber ein Interview mit Günter Wallraff mag als Erinnerungshilfe nützlich sein.
Kurz und gut, es wundert mich nicht, dass der Stern zu einer Zeit, als sämtliche Medien in Deutschland (und nicht nur die Springer-Presse) zutiefst kompromittiert waren, sich mit einem Kisch-Preis ein Quäntchen Glaubwürdigkeit zurück zu erwerben hoffte. Einmal davon abgesehen, dass zu diesem Zeitpunkt kein Schwein mehr gewusst hat, wer dieser Kisch eigentlich gewesen ist.
Ich halte die Einführung des Kisch-Preises durch den Stern zwar für einen Akt politischer - was wäre hier das passende Wort? -"Kosmetik"? Aber es ist doch verblüffend, dass Jahrzehntelang verliehen wurde, bis er - Jahre nach Nannens Ableben - in den Henri-Nannen-Preis ungeschmolzen wurde. Dass "der Stern" des kleinen Egonek der hanseatischen Silhouette des Illustrierten-Chefs weichen musste, ist dabei nicht einmal überraschend, genauer gesagt, es ist nur folgerichtig. Denn: Wer würde schon, in der heutigen Journalismuslandschaft, in aller Öffentlichkeit bloßgestellt, als Träger eines KISCH-Preises dastehen wollen? NANNEN-Preis, dagegen - das schmeckt nach Gehaltserhöhung. Sprossenerklimmung auf der Karriereleiter. Chefredakteursposten.
Der Nannen-Preis ist ein Presse-Oscar von heute, der Journalismus der Bundesrepublik besinnt sich damit auf seine eigenen Wurzeln. Natürlich wäre ebenso gut die Fortführung des Kisch-Preises als WALLRAFF-Preis angebracht gewesen, denn Wallraffs reportoriales Lebenswerk steht heute durchaus ebenbürtig neben dem Kischs - und Wallraff hat den Vorzug, anders als Nannen, niemals, auch nichtmal ein klein bisschen, ein Nazi gewesen zu sein. Indessen, DAZU konnte sich der Stern dann doch nicht versteigen.
Immerhin kann ich es mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, welch ein VERLUST die Abschaffung des Kisch-Preises gewesen ist - und da der Stern kaum ein Copyright auf den Namen Kisch besitzen dürfte, schlage ich an dieser Stelle vor, den Kisch-Preis wieder neu zu beleben, vielleicht durch eine neutrale Instanz, die nicht im Verdacht steht, mit irgendeinem Presse-Imperium verbandelt zu sein.
Kisch ist in meinen Augen vor allen Dingen der Reporter, der "Landung in Australien" geschrieben hat, die sicherlich wichtigste Reportage eines deutschsprachigen Journalisten im 20. Jahrhundert. Der Anlass war quasi nicht. Ursprünglich war es darum gegangen, dass der in Australien völlig unbekannte Kisch 1934 als Ersatz für Henri Barbusse als Hauptredner, als ausländischer Star-Gast, zu einem Kongress gegen Krieg und Faschismus eingeladen worden war. Die australische Regierung, im innigsten Einvernehmen mit der deutschen Nazi-Botschaft und dem britischen Geheimdienst, verweigerte Kisch die Einreise. Die Nazis entblödeten sich nicht, Kisch zu verunglimpfen, er hätte in Deutschland als "der RASENDE Reporter" gegolten, was mit "der VERRÜCKTE Reporter" übersetzt wurde. Die Australier ihrerseits hatten damals einen Diktat-Test "in einer lebenden europäischen Sprache", mit dem sie Asiaten aber auch allfällige englische Kommunisten von einer Landung fernhielten. Ein Engländer, der in Australien von Bord gehen wollte, wurde einem Diktat in Holländisch unterzogen, und wenn ihm das nicht gelang, durfte er wieder Leine ziehen. Bei Kisch wusste man, dass er mehrere europäische Sprachen beherrschte, also unterzog man ihm einem Test in schottischem Gälisch. Kisch zog in der Folge vor Gericht. Er konnte nachweisen, das Schottisch-Gälisch keine lebende europäische Sprache sei, und dass nicht einmal der Beamte, der ihn dem Test unterzogen hatte, selber mehr als nur ein paar Brocken der Sprache beherrschte.
Darüber hinaus tat Kissch etwas anderes. Er sprang aus rund 6 Meter Höhe über die Reling an Land, und befand sich somit legal, wenn auch nicht legitim, auf australischem Boden, und durfte nicht ohne guten Grund außer Landes geschafft werden. Außerdem hatte er sich bei dem Sprung ein Bein gebrochen, so dass er bei seinem weiteren Aufenthalt im Lande immer mit einer Krücke oder einem Stock unterwegs war.
Da Kisch unmittelbar nach seinem Sprung von der australischen Polizei verhaftet und mit gebrochenem Bein wieder an Bord des Schiffes gebracht worden war, klagten Kischs Anwälte nun den australischen Staat unter den Regeln des "Habeas Corpus" Gesetzes, wonach ein rechtmäßig oder unrechtmäßig Verhafteter das Recht hat, einem Richter vorgeführt zu werden. Kischs Verhaftung erwies sich als unrechtmäßig und der australische Staat durfte ihm ein saftiges Schmerzensgeld zahlen.
Gleichzeitig mit Kisch war auch in Neuseeland ein Delegierter zu diesem Kongress losgezogen, ein junger Linksintellektueller namens Gerald Griffin. Damals fuhren die Schiffe zwischen Neuseeland und Australien fast wie Fährboote hin und her und Pässe zwischen den beiden Ländern waren völlig unüblich. Griffin und sein Bruder, der in der Führungsriege der neuseeländischen Kommunistischen Partei aktiv war, waren zeitlebens zutiefst verfeindet. So kam es, dass die Kommunistische Partei Neuseelands Griffin einen verschlossenen Brief an die Genossen der australischen Schwester-Partei mitgaben, in dem Griffin als gefährlicher Trotzkist verleumdet wurde. Griffin öffnete den Brief unterwegs, und beschloss, ihn nicht den Genossen vom australischen Empfangskomitee zu zeigen. Gleichzeitig hatten die Neuseeländer allerdings auch ihren eigenen Delegierten bei der australischen Polizei verpfiffen, so dass Griffin, kaum, dass er das Schiff verlassen wollte, auch schon ergriffen und mit dem nächsten Schiff zurück geschickt wurde. (Nicht ohne vorher einem Diktat-Test in holländischer Sprache unterzogen worden zu sein. Griffin, der aus Irland stammte, sagte später, mit Gälisch hätte er sich leichter getan.)
Zurück in Auckland beschaffte Griffin sich die Mittel, bestieg das nächste Schiff zurück nach Australien und reiste - lediglich mit einer Brille verkleidet - diesmal inkognito ein. Griffin trat nun, gemeinsam mit Kisch, in ganz Australien vor riesigen Menschenmengen auf und warnte vor der Gefahr für den Weltfrieden, den Nazi-Deutschland bereits zu diesem Zeitpunkt ganz real bot. Wie es sich trifft, heißt auch der unsichtbare Mann in dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells "Griffin", und es war für die Presse ein gefundenes Fressen, dass Griffin als "unsichtbarer Mann" von den Behörden nicht und nicht zu fassen war, aber sich gleichzeitig offenbar völlig frei im Lande bewegen konnte, den Zeitungen Interviews gab, sich den Fotografen für Fotos zur Verfügung stellte, und sich sogar von den redaktionellen Cartoon-Zeichnern die Originalzeichnungen zum Fall Kisch/Griffin schenken ließ.
Schließlich ließen die öffentlichen Stellen verlauten, es gäbe gar keinen einzigen Mann Griffin, sondern nur vier oder fünf Imitatoren, die vorgäben, Gerald Griffin zu sein. Griffin verkündete, er würde sich vor Publikum öffentlich verhaften lassen - um die Bewegung gegen Krieg und Faschismus von dem Verdacht unlauterer Methoden frei zu sprechen.
Die Aktionen, die Kisch in "Landung in Australien" beschreibt, waren nicht ungefährlich, denn es gab seit langem eine australische Abteilung der NSDAP und Reste der bewaffneten Freikorps (!) aus den Zwanzigerjahren, die D. H. Lawrence in Kangaroo sehr genau beschreibt.
Der Hauptgegner, jedoch, mit dem Kisch und Griffin hier zu ringen hatten, war der Generalstaatsanwalt Robert Menzies. Dass Kisch ihn vor Gericht zu einer Geldstrafe von mehreren Tausend Pfund verdonnern ließ, muss dem Mann als bittere Niederlage erschienen sein. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend war Menzies, wie später Margaret Thatcher, ein glühender Verehrer des englischen Königshauses - die absurde Szene wird berichtet, wie Menzies und seine Frau im Oktober 1948 im Park des Buckingham Palastes Steinchen an die Fenster warfen und "We want granddad!" riefen, bis der Großvater des neugeborenen Prince Charles endlich auf den Balkon heraus trat; außerdem war Menzies ein absoluter Antikommunist und im tiefsten Herzen auch ein Antisemit. Er hätte sich, so muss man wohl sagen, zu jeder Zeit mit Hitler verständigen und einigen können - wenn der nicht England angegriffen hätte.
Menzies wurde Premierminister, genau rechtzeitig zur Kriegserklärung Englands, der die australische auf dem Fuße folgte. Die Teilnahme Australiens am Zweiten Weltkrieg resultierte in 27.073 Gefallenen, 23.477 Verletzten, und einer Unzahl weiterer Toter und Verletzter, die in separaten Kategorien und Schubfächern untergebracht wurden:
The Army suffered 1,165 killed and died of injuries in operational areas and a further 33,396 soldiers were wounded or injured. Casualties in non-operational areas were also significant, with 2,051 soldiers being killed or dying of injuries and 121,800 being wounded or injured. These figures also exclude deaths and illnesses from natural causes. The RAN suffered 177 non-battle casualties and the RAAF 6,271.
Das kleine Neuseeland, mit einer Bevölkerung von damals 1.629.000 folgte dem Großen Bruder Australien bedingungslos, hatte im Krieg 194.000 Menschen unter Waffen, 11.625 Gefallene, und 17.000 Verwundete.
Menzies, ein unermüdlicher Kriegstreiber, der sich bei der Suezkrise 1956 als "Vermittler" unrühmlich hervortat (Resultat: unzählige Tausend Todesopfer), zeichnete später auch verantwortlich für Australiens Eintritt in den Vietnamkrieg.
In seinem Buch War for the Asking meinte der australische Autor Michael Sexton sogar Menzies hätte aktiv darum gebuhlt, dass australische (und in der Folge auch neuseeländische) Soldaten in Vietnam mitkämpfen dürften. Resultat: mehrere Hundert Tote und Verletzte - davon eine nicht geringe Zahl aus Neuseeland.
Alle diese Toten verdanken ihr Schicksal dem Kriegstreiber Robert Menzies; noch schlimmer ist aber, dass Menzies im Zweiten Weltkrieg das Kontingent jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland auf gerade eben 7.000 Menschen einschränkte und es jedem, der nach Australien wollte, unendlich schwer machte. Selbst unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als Australien dringend Arbeitskräfte brauchte, bemühte sich die Regierung Menzies um Menschen aus "Aryan stock", also "arischer Abstammung" - zu einem Zeitpunkt, als alle Welt bereits wusste, welche katastrophalen Folgen diese rassistische Politik in Europa und in er ganzen Welt gezeitigt hatte. Es wäre in den Jahren des Zweiten Weltkriegs eine Kleinigkeit gewesen, eine Viertelmillion jüdischer Flüchtlinge in Industrie und Landwirtschaft einzusetzen - und mehr! In dem Jahrzehnt vor der Olympiade von Melbourne (1956) kam der große wirtschaftliche Aufschwung auch nach Australien. Der Arbeitskräftebedarf zog Menschen aus aller Welt an, darunter auch Tausende Griechen und Libanesen -- also weniger hellhäutige Menschen, Leute, die weniger dem Ideal des Herrn Menzies entsprachen, der sich unter "Ariern" hauptsächlich Menschen vom britischen Typus vorstellte. Heute gibt es in ganz Australien über eine halbe Million Menschen, die griechischer oder libanesischer Abstammung sind. Australien hätte ebenso gut oder ebenso leicht auch eine sehr viel zahlreichere jüdische Bevölkerung beherbergen können, hätte Flüchtlinge retten können, die den Todesmaschinen der Nazis zum Opfer fielen. Australien hätte ein Rettungsboot sein können. Das aber hat Menzies verhindert.
Kischs Reportage markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Australiens, aber auch Deutschlands. Wenn der australische Pressezar Rupert Murdoch, und sein nicht minder all-australisch erfolgreicher Vater, einen einzigen - wie will ich es nennen? - moralischen Knochen in ihren Körpern gehabt hätten, hätte es einen Australian Kisch Prize schon seit 1935 gegeben. Aber es gibt ihn nicht.
Nachtrag: Ich selber bemühte mich, nachdem ich Kischs Reportage erstmals 1975 in einem Taschenbuch der Sammlung Luchterhand gelesen hatte, rund 10 Jahre lang, einen deutschen Verlag dafür zu begeistern, einen Bildband - in der Art einer Illustrierten, sagen wir einmal, in der Art des Stern - zu produzieren, in dem die historischen Fotos und Bildmaterialien, die Gerald Griffin gesammelt und 40 Jahre lang bewahrt hatte, großformatig zusammen mit Kischs Text in einem Band mit einer entsprechenden Bildratio präsentiert würden. Heute würde ich sagen, in einem iPad-Format.
Endlich gelang es mir, den Verlag Kiepenheuer und Witsch für das Projekt zu gewinnen. Tage und Wochen fitzeligster Kleinarbeit - damals ohne Computer - gingen in die Bearbeitung der alten Fotos, der Berechnung der Bildausschnitte, der Korrektur des Textes und so weiter fort. Der Verlag (ich hegte eine gewisse sentimentale Vorliebe für Kiepenheuer und Witsch, wegen der alten KiWi Krimis mit dem Kiwi-Vogel-Logo, aber auch wegen Wallraff, der hier Hausautor war) verriet mir, dass sie den Bildband in einer Zusammenarbeit mit der Büchergilde Gutenberg machen würden. Auch das freute mich, ein guter Name.
Erschienen ist dann freilich ein ganz normales Buch mit Bildbeigaben im Zigarettenschachtelformat, und einem sehr verkürzten Nachwort. Eine separate Ausgabe erschien bei Gutenberg, mit einem sehr viel längeren Nachwort eines Professor Walter, der meinte, "der neuseeländische Journalist Tom Appleton" hätte der Büchergilde die "Verwendung der Fotos großzügig überlassen." Als ich im August 1985 zufällig in Wiesbaden war, meldete ich mich bei der Büchergilde; in meiner Naivität dachte ich, sie würden mir vielleicht netter Weise ein Belegexemplar schenken. Man beschied mir, nachdem es am Telefon erschreckte Rufe gab, "der Appleton ist hier!" - es seien zur Zeit leider alle Mitglieder des Verlags im Urlaub. Offenbar hatte man geglaubt, ich hätte als Känguru - man verwechselt ja Neuseeland oft mit Australien - gleich meine Boxhandschuhe mitgebracht.