Der Süden weiter im Minus

Die Entschuldungsinitiative der G-8-Finanzminister wurde groß angekündigt, entpuppt sich aber als Windei

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Es war ein öffentlichkeitswirksamer Auftritt von Gordon Brown: Im Kreise seiner Amtskollegen aus der Gruppe der 8 (G-8) konnte der britische Finanzminister am Samstag in London einen „hundertprozentigen Schuldenerlass“ für einige Staaten der „Dritten Welt“ verkünden. Auf einen solchen Schritt hinzuwirken war immerhin ein zentrales Wahlversprechen der regierenden Labour-Partei von Premier Anthony Blair gewesen.

Die Mehrzahl der 18 Nutznießer des Schuldenerlasses in Höhe von 33 Milliarden Euro kommt aus Afrika, aber auch vier lateinamerikanische Staaten können sich über die Nachricht freuen.

Auf den ersten Blick scheint damit eine langjährige Forderung von Entwicklungsorganisationen erfüllt. Doch die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Zu vage seien die Auswahlkriterien. Allein das Schlagwort der good governance, der guten Regierungsführung, fiel auf dem Ministertreffen, wenn nach den Voraussetzungen für eine mögliche Erweiterung der Entschuldung gefragt wurde. Problematisch ist dies, weil ein Erlass der Schulden durch die Industriestaaten auf diese Weise immer an politische Maßnahmen geknüpft bleiben wird. Und die gehen weit über den von der deutschen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul stets erwähnten Kampf gegen die Korruption hinaus.

Die Initiative Erlassjahr, ein breites Bündnis von Organisationen, etwa weist darauf hin, „dass der Schuldenerlass (...) weiterhin an Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds gekoppelt“ ist. Werner Rätz vom Attac-Koordinierungskreis sieht diese Programme gar für die „massive Einschränkung der Entwicklungschancen“ der Länder des Südens verantwortlich. Tatsächlich wird von jeher auf den politischen Nutzen von bi- und multinationalen Staatsschulden hingewiesen. Solange Industrienationen gegenüber Staaten der „Dritten Welt“ als Gläubiger auftreten können, bleiben deren politischen Spielräume dem wohlhabenden Norden gegenüber eingeschränkt. Es ist nicht verwunderlich, dass mit Venezuela in den letzten Jahren ein Land aus diesen Abhängigkeitsverhältnis ausbricht, dass über ausreichend eigene (Erdöl-) Ressourcen verfügt. Der Attac-Mann Rätz fordert daher kompromisslos und knapp: „Die neoliberalen Bedingungen der Gläubiger müssen endlich weg.“

Fragwürdige Auswahl

Die Kölnische Rundschau wies derweil in einem Kommentar darauf hin, dass die Menschenrechtspolitik der in London benannten Staaten die Wahl nicht bestimmt haben kann:

Zum Beispiel in Äthiopien: Erst letzte Woche wurden rund zwei Dutzend Demonstranten in Addis Abeba erschossen, die gegen die Wiederwahl von Präsident Meles Zenawi protestierten. Killerkommandos gegen Demonstranten - ist das ein Beispiel für „gutes Regieren“?

Markus Grabitz in der Kölnischen Rundschau

Auch Staaten wie Uganda oder Mauretanien, beide sind von den G-8-Ministern ausgewählt worden, dienen kaum als Beispiel für eine demokratische Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent. Warum sie trotzdem Teil der Initiative sind, wurde am Wochenende in London nicht erklärt. Stattdessen sonnten sich die Finanzminister im Ruhm ihrer Entscheidung. „Das ist in der Tat ein historischer Beschluss“, lobte der deutsche Finanzminister Hans Eichel sich und sein Kollegium. Sein britischer Gegenpart Gordon Brown sah gar „ein neues Verhältnis zwischen armen und reichen Staaten“.

Ganz so euphorisch beurteilt Erlassjahr die Lage nicht. Wie schon nach der deutschen Entschuldungsinitiative 1999 sei in London „lediglich für eine willkürlich zusammengestellte Gruppe von Ländern eine teilweise Schuldenstreichung nach undurchsichtigen Kriterien als umfassende Lösung des Schuldenproblems verkauft worden“. Jonas Bunte, politischer Koordinator bei Erlassjahr.de, sieht hinter der Initiative politische Absichten. „Weil die britische Regierung das Thema des Schuldenerlasses im Wahlkampf so hoch gehängt hat, steht sie nun unter Zugzwang“, sagte er im Gespräch mit Telepolis.

Von einem 100-Prozent-Erlass zu sprechen, sei aber ein Etikettenschwindel. Zwar seien den 18 Ländern Schulden bei IWF und Weltbank erlassen worden, doch würden die Forderungen weiterer multilateralen Gläubiger vernachlässigt. Ein Beispiel dafür bieten die vier lateinamerikanischen Staaten Bolivien, Guyana, Honduras und Nicaragua. Sie werden auch künftig mit den Forderungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank belastet, und diese Posten haben laut Bunte „teilweise erhebliche“ Ausmaße. All das lässt die vermeintliche Entschuldung in einem anderen Licht erscheinen: Die regionalen Entwicklungsbanken nämlich sind Ableger der Weltbank.