Der Tag, an dem Bünyamin starb

Seite 2: Ist die Tötung von Bünyamin Erdogan als Mord zu bewerten?

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Bünyamin Erdogan, Shahab Dashti und die anderen fünf Männer, die an diesem Abend durch die amerikanischen Raketen in Mir Ali ums Leben kamen, wurden Opfer im Kampf gegen den Terror. Es war ein amerikanischer Drohnenangriff, wie sie in dieser Gegend Pakistans beinahe wöchentlich stattfinden. Doch etwas war dieses Mal anders: Bünyamin Erdogan besaß einen deutschen Pass.

Er ist der erste deutsche Staatsbürger, der bei einem CIA-Drohnenangriff getötet wurde. Ein Präzedenzfall. Und ein Fall für die deutsche Justiz. In jenem kurzen Moment, in dem die Raketen im Haus von Emrah Erdogan einschlugen, wurden die Ereignisse zu seiner juristischen Herausforderung.

Ist Amerikas Drohnenkrieg in Pakistan legal? Dürfen die USA einen Menschen ohne Beweise, ohne Anklage und Gerichtsprozess hinrichten? Sind Islamisten Freiwild, noch bevor sie einen Anschlag verübt haben? Ist die Tötung von Bünyamin Erdogan als Mord zu bewerten?

All diese Fragen spielten wohl nie eine Rolle, als die US-Drohnen in den Terrorcamps von Waziristan Saudi-Araber, Jordanier, Ägypter, Marokkaner oder Jemeniten trafen. Jetzt aber wurde ein Deutscher, ein EU-Bürger, getötet.

In Karlsruhe setzte man einen Prüfvorgang im Fall Bünyamin Erdogan in Gang. Es galt zu klären, ob die Situation in Waziristan als internationaler, bewaffneter Konflikt zu werten ist. Und welche Rolle die Islamisten in der Region spielen. Sind sie pauschal legitime Ziele im Kampf gegen Al-Qaida & Co.? Oder muss in jedem Fall nachgewiesen werden, dass die Person eine Gefahr darstellt?

Tötung für Bundesanwaltschaft nach den Regeln des Konfliktvölkerrechts gerechtfertigt

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ihr Prüfverfahren inzwischen beendet. "Keine Anklage wegen eines Drohnenangriffs in Mir Ali / Pakistan am 4.Oktober 2010" heißt es in der Überschrift der Erklärung, die Anfang Juli veröffentlicht wurde.

Nach dem Ergebnis der zeitaufwändigen und umfangreichen Überprüfungen handelte es sich bei dem getöteten deutschen Staatsangehörigen nicht um einen vom humanitären Völkerrecht geschützten Zivilisten, sondern um einen Angehörigen einer organisierten bewaffneten Gruppe. Gezielte Angriffe gegen solche Personen in einem bewaffneten Konflikt sind kein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch.

Bundesanwaltschaft

Gutachten seien herangezogen worden, um zu klären, ob in der Region um Mir Ali ein bewaffneter Konflikt herrscht. Dies habe sich bestätigt, so die Karlsruher Juristen. Zwei Konfliktsituationen gebe es rund um Mir Ali.

Dies waren der aus Afghanistan herüberreichende Konflikt zwischen Aufständischen, die hauptsächlich vom pakistanischen Grenzgebiet aus agieren, und der von der ISAF unterstützten afghanischen Regierung sowie ein innerpakistanischer Konflikt, bei dem sich eine Allianz aus pakistanischen Taliban sowie afghanischen Aufständischen und die pakistanische Regierung gegenüberstanden, die faktisch von den USA unterstützt wurde. Der Drohneneinsatz, der zum Tode des deutschen Staatsangehörigen Bünyamin Erdogan führte, war Teil dieser Auseinandersetzungen.

Bundesanwaltschaft

Nach dem Ergebnis der Untersuchungen stehe fest, dass Bünyamin Erdogan nach Pakistan gereist sei, um sich im Sinne des gewaltsamen Dschihad an den dortigen militärischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, erklärt die Bundesanwaltschaft weiter:

Er ließ sich zum Einsatz im bewaffneten Kampf ausbilden, wurde mit einer Waffe ausgestattet und war mit seinem Einverständnis für einen Selbstmordanschlag vorgesehen. Seine gesamten Aktivitäten in Pakistan waren darauf ausgerichtet, an feindseligen Handlungen teilzunehmen.

Bundesanwaltschaft

Zum Zeitpunkt des Drohneneinsatzes am 4. Oktober 2010 habe Bünyamin Erdogan an einem Treffen von acht männlichen Personen teilgenommen, darunter seien auch Mitglieder von Al-Qaida und den Taliban gewesen:

Dabei sollten die Planungen für ein Selbstmordattentat unter seiner Beteiligung auf Angehörige der pakistanischen Armee oder der ISAF-Streitkräfte vorangetrieben Werden. Deshalb war seine Tötung am 4. Oktober 2010 nach den Regeln des Konfliktvölkerrechts gerechtfertigt und stellt kein Kriegsverbrechen dar.

Bundesanwaltschaft

War der Wuppertaler also das Ziel des amerikanischen Drohnenangriffs, weil er einen Terroranschlag verüben wollte? Oder kam Bünyamin Erdogan zufällig ums Leben, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war? Glaubt man dem Bruder des Toten, dann wurde Bünyamin grundlos das Opfer der amerikanischen Tötungs-Aktionen.