Bildausschnitt: Adam und Eva (von Lucas Cranach dem Ălteren, um 1518); Herzog Anton Ulrich Museum
Evolutionsbiologe Carel van Schaik und Historiker Kai Michel ĂŒber die Geschichte der Legitimation der Ungleichheit zwischen Frauen und MĂ€nnern (Teil 2)
Mit ihrem Buch Die Wahrheit ĂŒber Eva [1] leisten Carel van Schaik und Kai Michel einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Geschlechterrollen. Liegt die Benachteiligung der Frau in der Biologie oder in der Kultur begrĂŒndet? Telepolis sprach mit den Autoren (Teil 1 des GesprĂ€chs: Geschlechterrollen: Alles ist flieĂend [2]).
Im Nachvollzug dessen, was die GeschlechterverhÀltnisse ins Ungleichgewicht brachte, rekurrieren Sie auf die Bibel. Warum?
Carel van Schaik und Kai Michel: In unserem letzten hatten wir die Bibel als ein "Tagebuch der Menschheit" [3] gelesen. Wir interpretierten sie ĂŒber weite Strecken als KrisenbewĂ€ltigungsversuche der Menschen, sich mit den neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen, die sie plagten, seitdem sie sesshaft lebten und Landwirtschaft betrieben: also Seuchen, Hungersnöte, Kriege, wachsende Armut der einfachen Menschen und Ungerechtigkeit.
Die entfalteten ihre volle Wirkmacht erst ĂŒber die Jahrtausende hinweg. Bereits bei dieser LektĂŒre hatte uns der Widerspruch beschĂ€ftigt, dass in der Bibel zahlreiche starke Frauen auftraten, die Genesis andererseits gleich auf den ersten Seiten eine BegrĂŒndung lieferte, warum Frauen den MĂ€nnern untertan sein sollten.
Als wir bei Veranstaltungen oft gefragt wurden, wie sich wĂ€hrend der Evolution eigentlich die GeschlechterverhĂ€ltnisse darstellten, und wir realisierten, dass es da eine Leerstelle im öffentlichen Diskurs gab, beschlossen wir, der Sache nachzugehen. Wir erwĂ€hlten uns Eva als FĂŒhrerin.
SchlieĂlich nennt schon Adam sie "Mutter alles Lebendigen"; sie ist deshalb fĂŒr uns eine passende Verkörperung der Evolution, auch wenn es bei dieser keine Ur-Eva gibt, sondern eben nur die "Evalution", die schier endlose Abfolge von Evas.
Aber noch wichtiger: Die Bibel ist nun mal fast 2000 Jahre lang das mÀchtigste Buch gewesen, nichts hat die Kultur des sogenannten "christlichen Abendlands" so tief und so nachhaltig geprÀgt wie das angebliche Wort Gottes. Die Geschichte von Eva avancierte in der christlichen Welt zur MeistererzÀhlung der Misogynie. Und der Vatikan ist noch heute das Fort Knox des Patriarchats.
"Eine religiöse Enteignung der Menschen gewesen, welche die Frauen besonders hart traf"
Wie ist denn ein geschichtlicher und sozialer Zusammenhang zwischen Monotheismus, patriarchalen Strukturen und Verteufelung der weiblichen SexualitÀt nachzuweisen und wie spielen diese Faktoren zusammen?
Carel van Schaik und Kai Michel: Haben Sie gesehen, wie viele Seiten wir in unserem Buch brauchten, um das zu erklĂ€ren? Versuchen wir es in aller KĂŒrze: Das Patriarchat ist keine Erfindung des Monotheismus, es ist viel Ă€lter. Wir finden es mehr oder minder ĂŒberall, wo man zur intensiven Landwirtschaft ĂŒberging. Auch war das alte Israel sicher nicht patriarchaler als die anderen antiken Gesellschaften.
Aber der Monotheismus verleiht ihm den göttlichen Segen. Denn wo ein einziger Gott die Welt eingerichtet hat, muss ja auch das Patriarchat göttlich gewollt sein. Dahinter steckt ein bis heute zu beobachtendes PhÀnomen: Man ist kulturblind! Man verkennt die geschichtliche Gewordenheit der VerhÀltnisse. Wenn die Welt patriarchal ist, muss Gott das so intendiert haben - das ist die Antwort der Bibel.
Bemerkenswerterweise unterlief in der griechischen Welt den frĂŒhen Wissenschaftler und Philosophen ein Ă€hnlicher Attributionsfehler, der ebenfalls zum victim blaming fĂŒhrte: Sie missdeuteten die noch stĂ€rkere patriarchale Verfasstheit der griechischen Gesellschaften als natĂŒrliche Ordnung der Dinge und begrĂŒndeten das damit, dass Frauen von Natur aus mangelhafte MĂ€nner seien. Die Bibelautoren bastelten sich dann aus altem Material die Geschichte zusammen, dass die Frauen selbst schuld an ihrer UnterdrĂŒckung tragen, weil ihre Urmutter Eva gegen das göttliche Gebot verstoĂen habe.
Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Fatal wirkte sich aus, dass der neue Monotheismus jener SphÀre angehört, die wir als Herrschaftsreligion beschreiben, also jener Religion von oben, die zuallererst dazu dient, Herrschern Legitimation zu spenden. Das neue am Monotheismus ist, dass er versucht, die traditionellen Glaubenswelten, all die anderen Gottheiten, Geister und die mannigfaltigen Praktiken der Alltagsreligion, zu verbieten.
Das ist eine religiöse Enteignung der Menschen gewesen, welche die Frauen besonders hart traf, weil Jahwe, der als ehemaliger Sturm- und Kriegsgott zum Staatsgott geworden war, in Bereichen wie Heilung oder Schwangerschaft erhebliche Defizite besaĂ.
Aber wirklich misogyn wurde das alles erst, als diese Ideen in eine völlig andere Lebenswelt - die griechisch-römische Welt - wechselten, dort mit der ebenfalls frauenherabsetzenden Philosophie und Wissenschaft verschmolzen und schlieĂlich sogar zur Herrschaftsreligion des Römischen Reichs wurden.
Fortan behaupteten alle Sinnsysteme - Religion, Philosophie und Wissenschaften -, dass Frauen das zweite Geschlecht seien, und Gesetze zementierten das. Damit war die Patrix komplett - und ein fĂŒr ĂŒber anderthalb Jahrtausende schier unĂŒberwindliches System etabliert, in dem Frauen unterdrĂŒckt, ausgebeutet und zu Opfern schlimmster Gewalt wurden. Dass auch viele andere darunter litten, ist völlig klar, Stichwort Despotie. Aber die Frauen traf es systematisch und mit gröĂter HĂ€rte. Der Frauenhass wurde systemerhaltend.
Carel van Schaik. Foto: (C) Ruben Hollinger
"Jede sexuelle Regung war ein Wirken des Bösen und musste bekÀmpft werden"
Ăbertreiben Sie da nicht? Und was hat das mit der Verteufelung der weiblichen SexualitĂ€t zu tun?
Carel van Schaik und Kai Michel: Nein, wir glauben nicht. Aber das ist der Punkt. Alle patriarchalen Gesellschaften versuchen die weibliche SexualitÀt unter Kontrolle zu bringen. In manchen geschieht das noch rabiater als in der christlichen Welt. Hier aber spielt das eine zentrale Rolle.
Warum sich ein Gott ĂŒberhaupt fĂŒr SexualitĂ€t interessiert, haben wir in unserem letzten Buch erklĂ€rt. Die Verteufelung der weiblichen SexualitĂ€t ist aber nun ein sehr christliches PhĂ€nomen, das im apokalyptischen und das heiĂt hier vor allen dĂ€monologischen Denken wurzelt und mit dem augustinischen Phantasma der ErbsĂŒnde, die durch den Geschlechtsverkehr ĂŒbertragen wird, verschmilzt.
Einfach gesagt, wird die nicht unter Kontrolle zu bringende SexualitÀt damit zum Bösen im eigenen Körper, zur Versuchung teuflischer MÀchte erklÀrt. Und das, was die sexuelle Erregung auslöst - wir haben es hier mit einer reinen MÀnnersicht zu tun -, die Frauen also vor allem, gilt damit als Werkzeug des Teufels.
Mittels Eva habe der Teufel Adam zum Bösen verfĂŒhrt und damit die ganze Menschheit ins UnglĂŒck gestoĂen - das ist fĂŒr lange Zeit der zentrale Herrschaftsmythos des Christentums gewesen und die Legitimation fĂŒr MĂ€nner, Frauen zu kontrollieren und zu unterdrĂŒcken. Aber mehr noch: Jede sexuelle Regung war damit eine Versuchung, ein Wirken des Bösen und musste bekĂ€mpft werden. Ganz natĂŒrliche menschliche BedĂŒrfnisse wurden also verteufelt.
Das Erleben sexueller Erregung wird damit zum negativen Gottesbeweis: Denn jeder Mensch spĂŒrt so das gewaltige Wirken des Teufels in sich. Und wo es einen Teufel gibt, muss es auch einen Gott geben. Das meinen wir mit systemerhaltend: Da es an allgemein erfahrbaren positiven Gottesbeweisen fehlt, wird die zur SĂŒndhaftigkeit erklĂ€rte menschliche SexualitĂ€t zur unverzichtbaren SĂ€ule des Glaubens.
Kai Michel. Foto: (C) Ruben Hollinger
"Das Patriarchat ist weder eine christliche oder gar biblische Erfindung noch ein christliches Alleinstellungsmerkmal"
Aber all das ist eine sehr christliche Sicht. In puncto Bevormundung von Frauen, bzw. Frauenfeindschaft stehen andere Religionen [4] dem Christentum wohl kaum nach.
Carel van Schaik und Kai Michel: Da haben Sie recht. Uns ging es jedoch darum, unsere Hausaufgaben zu machen und zu verstehen, was unsere eigene Kultur so massiv patriarchal kontaminierte und mit welchen kulturellen Altlasten wir hier zu kĂ€mpfen haben. Denn aus dem Christentum hat sich unsere ganze kulturelle Vielfalt, die Wissenschaften inklusive, entwickelt. Viele der Narrative setzten sich im sĂ€kularen Gewand fort. Im 19. Jahrhundert etwa tauscht die Patrix ihre religiösen StĂŒtzen gegen wissenschaftliche aus.
Das gelingt so leicht, weil diese eine lange gemeinsame Vergangenheit haben und die Misogynie bestens kultiviert, also tief in die Kultur eingeschrieben war. Die DÀmonisierung der SexualitÀt schreibt sich auch unter wissenschaftlichen Vorzeichen fort. Vieles, was wir beschreiben, ist aber nicht allein dem Christentum vorbehalten.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das Patriarchat ist weder eine christliche oder gar biblische Erfindung noch ein christliches Alleinstellungsmerkmal, wohl aber sehen wir es hier in besonders starker Penetranz. Wie kann es denn sein, dass es noch im 21. Jahrhundert Institutionen gibt, die Frauen zu Wesen mit minderen Rechten erklĂ€ren, andere sexuelle Orientierungen diskriminieren und sich immer noch anmaĂen, die menschliche SexualitĂ€t zu kontrollieren?
"Ironischerweise ist es gerade das biologische Erbe, das den Feminismus befeuert"
WĂŒrden Sie den Hypothesen der Genderforschung zustimmen, wie etwa, dass es eine mĂ€nnliche und eine weibliche Semantik gibt und die Naturwissenschaften und somit auch die Biologie von einer mĂ€nnlichen Sicht geprĂ€gt sind?
Carel van Schaik und Kai Michel: Da haben wir nicht wirklich Neues zu sagen. Ja, die Wissenschaften sind Teil der Patrix gewesen wie all unsere anderen Institutionen auch. Und sie sind deshalb zutiefst mĂ€nnlich geprĂ€gt. Deshalb war es etwa fĂŒr den Feminismus der 1970er/80er Jahre noch eine Ăberlebensnotwendigkeit, sich nach anfĂ€nglich starkem Interesse an der Evolution einer sehr patriarchal geprĂ€gten Biologie zu verweigern, die weibliche Erfahrungen und Expertise abgewertet, wenn nicht negiert hatte und noch immer patriarchale Phantasmen pflegte.
Doch hier hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan. Frauen - aber auch viele MÀnner - haben das Wesen der Wissenschaften von innen heraus massiv verÀndert. Da steht sicher noch lÀngst nicht alles zum Besten. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen haben die Spielregeln und die Bedingungen immer noch eine mÀnnliche Schlagseite.
Das wird zu wenig gesehen: Viele sagen, es herrsche doch heute Gleichberechtigung. Aber viele Bereiche unserer Kultur sind noch mal mehr, mal weniger patriarchal kontaminiert. Unser Buch versteht sich deshalb als Versuch, das aktuelle Wissen ĂŒber die menschliche Evolution und die kulturellen Irrwege zur VerfĂŒgung zu stellen, um mitzuhelfen, RestbestĂ€nde der Patrix zu identifizieren und sie als kulturelle Altlasten zu entsorgen.
TrÀumen wir nicht alle von einer möglichst fairen Gesellschaft ohne Diskriminierungen? Und da erscheint es uns eine, sorry, frohe Botschaft zu sein, festzustellen: Von unserer psychologischen Grundausstattung haben wir alle kein Problem mit Gleichberechtigung.
Ironischerweise ist es gerade dieses biologische Erbe, das den Feminismus befeuert: Die Wut, die Frauen empfinden ĂŒber die Ungerechtigkeiten, die sie erleben, das ist ja unsere alte, egalitĂ€re Natur, die sich immer regt, wenn man selbst oder die eigene Gruppe benachteiligt wird.
WĂ€re alles nur kulturell, gĂ€be es also keine menschliche Natur, hĂ€tten sich Frauen schon lĂ€ngst klaglos ihrem Schicksal gefĂŒgt und wĂŒrden die Paschas dieser Welt anhimmeln. Tun sie aber nicht! Vor der Biologie mĂŒssen wir keine Angst haben. Im Gegenteil. Es lebe die Evalution!
Ăber die Autoren:
Carel van Schaik, geboren 1953 in Rotterdam, ist Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe. Er erforscht die Wurzeln der menschlichen Kultur und Intelligenz bei Menschenaffen. Er war Professor an der Duke University in den USA und von 2004 bis 2018 Professor fĂŒr biologische Anthropologie an der UniversitĂ€t ZĂŒrich, wo er als Direktor dem Anthropologischen Institut und Museum vorstand. UnlĂ€ngst legte er das Standardwerk "The Primate Origins of Human Nature" vor. Carel van Schaik ist ein korrespondierendes Mitglied der Royal Netherlands Academy of Sciences. Er lebt in ZĂŒrich.
Kai Michel, geboren 1967 in Hamburg, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Er hat von "GEO" ĂŒber Die Zeit bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung fĂŒr die groĂen deutschsprachigen Medien geschrieben. Gemeinsam mit Carel van Schaik las er die Bibel aus einer evolutionĂ€ren Perspektive als "Tagebuch der Menschheit", mit dem ArchĂ€ologen Harald Meller legte Kai Michel den Bestseller "Die Himmelsscheibe von Nebra" vor. Er lebt als Buchautor in ZĂŒrich und im Schwarzwald.
URL dieses Artikels: https://www.heise.de/-6017531
Links in diesem Artikel: [1] https://www.rowohlt.de/buch/carel-van-schaik-kai-michel-die-wahrheit-ueber-eva-9783498001124 [2] https://www.heise.de/tp/features/Geschlechterrollen-Alles-ist-fliessend-6010976.html [3] https://www.rowohlt.de/buch/carel-van-schaik-kai-michel-das-tagebuch-der-menschheit-9783499631337 [4] https://www.heise.de/tp/features/Sex-Islam-und-Demokratie-3455199.html