Der Weg zum Klimaziel 2050 beginnt jetzt
Die Energie- und Klimawochenschau: Dena-Studie zum Klimaziel 2050, erste Diesel-Fahrverbote, gerichtliche Auseinandersetzungen um Klimaziele
In 65 deutschen Städten wurde der Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel 2017 überschritten. Das geht aus den endgültigen Messdaten des Umweltbundesamtes hervor, die Ende Mai veröffentlicht wurden. Die höchstbelasteten Städte sind München mit 78µg/m³, Stuttgart mit 73µg/m³ und Köln mit 62 µg/m³. 2016 hatten noch 90 Städte die Grenzwerte überschritten.
Auch bei den Städten mit der dreckigsten Luft hat die Belastung leicht abgenommen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes sind Diesel-PKW mit 72,5 Prozent die Hauptverantwortlichen für den NO2-Ausstoß.
Derweil hat Hamburg erste Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge auf zwei stark befahrenen Straßen verhängt, was auf Kritik von unterschiedlicher Seite stößt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hamburg hält punktuelle Fahrverbote für nicht ausreichend, um die Bürger vor hohen Stickoxidbelastungen zu schützen, sieht in den Verboten allerdings ein wichtiges umweltpolitisches Signal.
Aus Nordrhein-Westfalen meldete sich Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu Wort, dass mit den Verboten die Stickoxide nur anders in der Stadt verteilt würden. Er glaubt außerdem, in Nordrhein-Westfalen weiterhin ohne Fahrverbote auszukommen. Bislang finden sich viele Städte des Ruhrgebiets auf der Liste des Umweltbundesamts. Auch der niedersächsischen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) beteuerte, dass es in seinem Bundesland keine Fahrverbote geben werde.
Eine innovative Lösung des Dieselproblems stellte der CEO von Fiat Chrysler, Sergio Marchionne, am Freitag auf einer Aktionärsversammlung vor. Demnach werde der italienisch-amerikanische Autohersteller bis 2021 aufhören, Diesel-PKW zu verkaufen. Kleinlaster und -busse sollten aber weiterhin auch mit Dieselantrieb produziert werden.
Noch sinnvoller als auf Dieselfahrzeuge zu verzichten wäre es wohl, Autofahren wenn möglich zu vermeiden. Ein interessanter Vorschlag kommt hierzu vom SPD-Vizevorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel. Durch eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten sollten mehr Reisende zum Umstieg auf die Schiene bewegt werden. Bislang gilt im Fernverkehr der normale Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Schäfer-Gümbel regt zusammen mit Verkehrsexperten eine Senkung des Steuersatzes auf sieben Prozent an. CDU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Zahl der Bahnkunden bis 2030 zu verdoppeln.
Weitere Maßnahmen zur Förderung des Bahnverkehrs fordert seit geraumer Zeit der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Dazu zählt beispielsweise eine Senkung der Trassengebühren, von der auch der Güterverkehr auf der Schiene profitieren würde.
Transformation des Energiesystems jetzt einleiten
Im Verkehrssektor hinkt Deutschland schon seit Jahren seinen Klimazielen hinterher, doch auch in anderen Sektoren hakt es. Dass Klimaziel für 2020 hat die Regierungskoalition quasi schon aufgegeben. Nun ermahnt die Deutsche Energie-Agentur (dena) die Bundesregierung, schon jetzt auf ein klares Klimaziel für das Jahr 2050 hinzuarbeiten. Bislang wird ein Zielkorridor von 80 bis 95 Prozent weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 angestrebt.
"Je nachdem, welches Ende des Korridors realisiert werden soll, ergeben sich aber bereits für die Ausrichtung auf das Jahr 2030 unterschiedliche Weichenstellungen", stellt die dena fest, die soeben die Leitstudie "Integrierte Energiewende" veröffentlicht hat. Die bundeseigene Agentur hält eine Reduktion um sowohl 80 als auch um 95 Prozent grundsätzlich für möglich, aber eine integrierte Betrachtung für notwendig.
"Ein "Weiter so" reicht nicht aus: Selbst bei einer anspruchsvollen Fortschreibung aktueller Entwicklungen, beispielsweise beim Zubau der erneuerbaren Energien, würde nur eine Treibhausgasminderung von rund 62 Prozent im Jahr 2050 erreicht. Da sich die möglichen Transformationspfade und damit verbundene Treibhausgasminderungen in den Sektoren bereits 2030 deutlich unterscheiden und der obere Rand des Korridors sehr weitreichende Strategien erfordert, muss in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zu den angestrebten Klimazielen fallen", heißt es in der Studie.
Die Agentur hat vier Szenarien betrachtet: Eine verstärkte Elektrifizierung einmal mit dem Zielwert von 80 und einmal 95 Prozent, sowie ein Technologiemixszenario mit den unterschiedlichen Klimazielen. Für alle Szenarien ist es notwendig, die erneuerbaren Energien stärker auszubauen (um bis zu 8,5 GW pro Jahr) und den Energieverbrauch erheblich zu senken.
Entscheidende Energieträger wären die kostengünstige Windkraft an Land sowie die Photovoltaik. Bei der Wasserkraft und der Biomasse sieht die dena hingegen kaum Ausbaupotenziale. Der notwendige Zubau der Wind- und Solarenergie läge damit in etwa auf dem Niveau der letzten fünf Jahre. Bei schwindenden Flächenpotenzialen sowie teilweise geringer gesellschaftlicher Akzeptanz sei dies jedoch eine Herausforderung. Die Politik ist gefordert, die Ausbaukorridore zu vergrößern und auf Länderebene mehr Flächen zu sichern. Flankiert werden müsste dieser Ausbau durch Maßnahmen zur Versorgungssicherheit etwa durch Speicher, Verbrauchsmanagement und Gaskraftwerke. In letzteren könnten synthetische Brennstoffe zum Einsatz kommen.
Grundlegende Veränderungen ergeben sich auch für einzelne Industriebereiche wie die chemische Industrie oder die Automobilhersteller. Hier müssten langfristig verlässliche Anreize zur CO2-Vermeidung geschaffen werden, damit Unternehmen entsprechende Investitionen tätigen. Seit längerem bekannt ist, dass im Gebäude- und im Verkehrssektor viel mehr getan werden muss als heute, wobei in letzterem ein Umstieg auf elektrische Fahrzeuge nicht ausreichend ist, sondern neue Mobilitätskonzepte erforderlich wären. Energiesteuersätze für Kraftstoffe sollten sich einheitlich an der CO2-Intensität orientieren. Beim Güterverkehr auf der Straße sollten neue Antriebe gefördert werden, beispielsweise Oberleitungshybrid-LKW.
Auf die Industrie entfällt 2050 nur noch ein beschränktes Emissionsbudget. In diesem Zusammenhang diskutiert die dena die Abspaltung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Das Verfahren stößt in Deutschland auf wenig Akzeptanz und wurde im Kraftwerksbetrieb wieder verworfen. Die dena hofft aber auf technische Verbesserungen, um die Restemissionen der Industrie mittels CCS senken zu können.
Alle Szenarien sind mit Mehrkosten gegenüber einem "Weiter so" verbunden. Setzt man auf einen breiten Technologiemix und eine Emissionsreduktion von lediglich 80 Prozent, so lägen diese bei etwa 1,2 Billionen Euro, in einem 95-Prozent-Szenario mit weitgehender Elektrifizierung bei 2,2, Billionen Euro. Allerdings sind Beschäftigungseffekte und andere wirtschaftliche Auswirkungen nicht einberechnet, ebensowenig werden sie in Relation zu den Folgekosten des Klimawandels gesetzt.
Klimaklagen gegen die Niederlande und gegen die EU
Das zähe Ringen um die Kohlekommission lässt daran zweifeln, ob die Bundesregierung derzeit willens und in der Lage ist, die Weichen für das Jahr 2050 zu stellen. Immerhin soll die Kohlekommission Presseberichten zufolge am Mittwoch vom Bundeskabinett eingesetzt werden, 31 Mitglieder haben und am 26. Juni zu ihrer ersten Sitzung zusammentreffen. Die Kommission soll sich innerhalb dieses Jahres auf ein Ausstiegsdatum einigen.
Wo Regierungen sich mit ihren Klimazielen oder deren Einhaltungen als zu langsam erweisen, bestreiten Bürger zunehmend den Rechtsweg. Im Juni 2015 entschied ein Gericht in Den Haag zugunsten von 886 Klägerinnen und Klägern gegen den niederländischen Staat. Die Kläger beschuldigten die Regierung, wissentlich gegen das globale Ziel zu verstoßen, die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten. Das Gericht hatte angeordnet, dass die Regierung innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Emissionsreduktion von mindestens 25 Prozent gegenüber 1990 erreichen müsste.
Die niederländische Regierung ist nun gegen das Urteil in Berufung gegangen, mit dem Argument, dass die Richter mit ihrer Entscheidung in die Demokratie eingegriffen hätten. Obwohl die Regierung nach dem Urteil von 2015 umfangreiche Klimaschutzmaßnahmen angekündigt hatte, ist bislang wenig geschehen. Ein Urteil im Berufungsverfahren wird nun am 9. Oktober erwartet.
Der niederländische Fall war Vorbild für zahlreiche andere, noch laufende Klimaklagen. Erst am 24. Mai haben zehn Familien aus fünf EU-Staaten, Kenia und Fidschi sowie eine Jugendorganisation aus Schweden Klage gegen die Europäische Union eingereicht. Die Familien sehen sich direkt vom Klimawandel betroffen und in ihren Grundrechten verletzt und vertreten die Auffassung, dass das Klimaziel der Europäischen Union und die damit verbundenen Maßnahmen für 2030 zu schwach seien.
Die Kläger sind u.a. Landwirte, die Einbußen aufgrund von Hitze und Dürren haben und ihre Existenz gefährdet sehen. Auch eine Familie von der Nordseeinsel Langeoog, die mit dem steigenden Meeresspiegel konfrontiert ist, zählt zu den Klägern. Von der EU fordern sie, die Emissionen bis 2030 mindestens um 50 bis 60 Prozent gegenüber 1990 zu senken statt wie bisher vereinbart um 40 Prozent.