Der Weltverbesserer
Klimaschutz, Gesundheitsförderung, Haushaltskonsolidierung - Bürgermeister Michael Bloomberg hat für alle New Yorker Probleme ein Programm. Anfang Oktober war er einen Tag lang in Berlin
Am 5. Oktober betritt Michael Bloomberg, einer der reichsten und mächtigsten Männer Amerikas, um 11 Uhr das Rote Rathaus. Am Portal nimmt ihn Klaus Wowereit in Empfang, der an diesem Sonntagmorgen neben seinem smarten Amtskollegen aus New York ausgezehrt und übernächtigt wirkt. Dabei ist Bloomberg eben erst mit einem Privatjet in Tegel gelandet und seine innere Uhr noch auf fünf Uhr morgens Eastern Time eingestellt. „So etwas ist er gewohnt“, erklärt einer seiner Begleiter.
Als der frühere Aktienhändler 1981 damit begann, eine eigene Finanzdaten-Agentur aufzubauen, musste er viel Zeit im Flugzeug verbringen, um Kunden in aller Welt zu akquirieren. Heute gehört die Firma „Bloomberg LP“ zum Kernbestand eines global agierenden Medienkonzerns mit mehr als 10.000 Beschäftigten. Das Privatvermögen des Firmengründers wird auf 20 Mrd. $ geschätzt. Bei seiner ersten Kandidatur für das Amt des New Yorker Bürgermeisters investierte Bloomberg 2001 über 75 Mio. $ Eigenkapital in den Wahlkampf. Mit Erfolg.
New York City im Jahr 2030
Nachdem sich der Mann aus New York ins Goldene Buch Berlins eingetragen hat, überreicht er Wowereit sein Gastgeschenk, einen Apfel aus Glas. Das ist eine Anspielung auf den Spitznamen seiner Heimatstadt – Big Apple – und zugleich ein Symbol für Bloombergs ehrgeizigstes Vorhaben: Er will die 8-Millionen-Metropole umweltfreundlicher, sauberer, grüner machen.
Die Emission von Treibhausgasen soll in den kommenden Jahren trotz rasant wachsender Einwohnerzahl um 30% sinken. Das Planungsamt der Stadt hat deshalb Ende 2006 ein Paket mit 127 Einzelmaßnahmen – den PlaNYC 2030 – auf den Weg gebracht. Man will Industriebrachen in Parks verwandeln, eine Million Bäume pflanzen, das Netz der Fahrradwege ausbauen und sämtliche 12.000 Taxis der Stadt – die berühmten Yellow Cabs – mit Hybridantrieben ausstatten. Das wichtigste Einzelvorhaben ist die Einführung einer Manhattan-Maut nach Londoner Vorbild. Mit den Einnahmen durch den Straßenzoll soll der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs finanziert werden. Dieser Plan liegt allerdings aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten mit dem New Yorker Staatsgericht seit einem halben Jahr auf Eis.
Doch Bloomberg hat es gelernt, seine Visionen von Stadtentwicklung gegen Hindernisse und Widerstände durchzusetzen. Take Care New York – so hieß das Aktionsprogramm, das er 2002 initiierte, um etwas gegen die Gesundheitsgefahren im urbanen Alltag zu unternehmen. Im Mittelpunkt stand die Einführung eines Rauchverbots an allen Arbeitsplätzen einschließlich der Gastronomie. Der Bürgermeister handelte sich damit wütende Proteste von Rauchern, Kneipenwirten und Lobbyisten ein.
Da er zur selben Zeit die Grundsteuern erhöhte und Sparmaßnahmen verhängte, um den Haushalt der Stadt zu konsolidieren, stürzten seine Umfragewerte in den Keller. Ein Berufspolitiker hätte in solch einer Situation wahrscheinlich klein beigegeben, doch der Quereinsteiger Bloomberg ließ sich nicht beirren. Das gehört zu dem Verständnis von „leadership“, das er mit seinem Freund Arnold Schwarzenegger, dem Gouverneur von Kalifornien, teilt.
Erfolgsstory Rauchverbot
Tatsächlich wird das Rauchverbot in den New Yorker Bars und Restaurants heute ohne Murren akzeptiert. Die Warnungen vor einem Kneipensterben haben sich als unbegründet erwiesen. Die Umsätze des Gastgewerbes sind gestiegen und den Beschäftigten geht es besser, weil sie nicht mehr acht oder zehn Stunden am Tag zugequalmt werden. Mit Raucherräumen habe man dagegen schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt Bloomberg beim Sektempfang in Wowereits Büro. Aufgrund der Luftzirkulation breite sich der Tabakrauch unweigerlich in der gesamten Gaststätte aus.
Gegen Mittag trifft sich Bloomberg mit dem Lungenspezialisten Gerhard Sybrecht von der Uniklinik Saarland. Sybrecht ist Mitglied der Ärztevereinigung European Respiratory Society, die dem New Yorker Bürgermeister in diesem Jahr einen Ehrenpreis für seine Verdienste auf dem Gebiet der Tabakkontrolle zuerkannt hat. Die Preisverleihung ist der offizielle Anlass für Bloombergs Berlinbesuch.
Bei einer kurzen Ansprache auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor verweist er auf die Erfolge seiner Gesundheitspolitik: Während die Raucherquote von 1992 bis 2002 konstant geblieben sei, hätten sich in den Jahren danach mehr als 300.000 New Yorker das Rauchen abgewöhnt. Der Anteil der rauchenden Teenager sei um über 50% zurückgegangen. Die wenigen Zuhörer, die sich im Nieselregen auf dem Platz des 18. März verlieren, klatschen zaghaft in die Hände. Munter werden sie erst, als Bloomberg daran erinnert, was die USA Deutschland zu verdanken haben, und er last but not least Heidi Klum aufzählt.
Nach ihm geht Paul Breitner ans Mikrofon und legt die Stirn in Sorgenfalten: Er wolle Bloomberg ja nicht zu nahe treten, aber ein Rauchverbot mache die Stimmung beim Oktoberfest kaputt; da solle man doch lieber an die Eigenverantwortung appellieren. Breitner klingt heute noch so wie vor 30 Jahren, als er für den Drehtabak Samson Reklame machte.
Popularität ohne Populismus
Anschließend flaniert der Tross aus New York die Festmeile zum Tag der Deutschen Einheit entlang. „Hier gibt’s an jedem dritten Stand Bier. Das ist bei unseren Straßenfesten anders“, bemerkt Bloomberg beiläufig und beißt in eine German Bratwurst. Die Security-Leute halten ihm Journalisten und andere Bittsteller vom Leibe. „Stimmt es, dass Ihr Chef mit der U-Bahn zur Arbeit fährt?“, frage ich einen der bulligen Bodyguards im Maßanzug. „Ja, das stimmt. Er fährt vier- bis fünfmal am Tag mit der U-Bahn. Es ist schon vorgekommen, dass er sich in einen vollbesetzten Waggon drängt und wir stehen draußen“, erzählt der Leibwächter mit vorwurfsvollem Unterton. Erklärend fügt er hinzu: „Der Mayor liebt den Kontakt zu den Leuten. Außerdem ist es die schnellste Art, in New York von einem Ort zum andern zu kommen.“ In der Anekdote klingt die Mischung aus Volksnähe und Eigensinn, Moralismus und Pragmatismus an, die als charakteristisch gilt für Bloombergs Politikstil.
In dem Zelt der Kampagne Freier Atmen in Deutschland absolviert Bloomberg einen Lungenfunktionstest. „Für einen 66jährigen nicht schlecht“, kommentiert er das Ergebnis, „mit meiner Lunge habe ich keine Probleme, mit der New Yorker Presse umso mehr“.
Der Scherz leitet über zu einer kurzen Pressekonferenz. Die Medienvertreter aus den USA fragen Bloomberg nach seinen Zukunftsplänen. Der hatte einen Tag vor seinem Abflug bekannt gegeben, für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen. An sich kann ein Bürgermeister nur ein einziges Mal wieder gewählt werden – das hat die Mehrheit der New Yorker in einem Referendum so entschieden. Bloomberg will diese Regel außer Kraft setzen, weil er keinem anderen Lokalpolitiker zutraut, mit den Folgen der Finanzkrise für die Stadt fertig zu werden.
„Kann er es sich wirklich leisten, solch eine Diskussion loszutreten und dann einen Tag später nach Europa zu fliegen?“ Das frage ich einen Kollegen von der New York Daily News. Seine Antwort: „Bloomberg macht, was er für richtig hält, und das nimmt ihm zu Hause kaum jemand übel. Im Gegenteil. Die Zustimmungsquote liegt bei 70%. Das ist ein sensationeller Wert.“ Es scheint die Distanz zum Populismus zu sein, der das Stadtoberhaupt seine Popularität verdankt.
Hassfigur der Waffenlobby
Draußen vor dem Zelt setzt sich der Konvoi der Limousinen in Bewegung. Weil die Straße des 17. Juni für den normalen Verkehr gesperrt ist, nehmen wir mit einem Fahrradtaxi die Verfolgung auf. „Michael Bloomberg?“, fragt der Fahrer, „wollte der nicht Präsident werden!?“ Dieselbe Frage haben sich sämtliche Kommentatoren der US-Presse gestellt, als Bloomberg im Sommer letzten Jahres seinen Austritt aus der republikanischen Partei bekannt gab. Geld genug für den Wahlkampf hätte er gehabt. Und dass seine Ambitionen über die Lokalpolitik hinausgehen, daraus hat Bloomberg nie einen Hehl gemacht.
Seine Reformpläne für New York, wie zum Beispiel seine Initiative für eine strengere Waffenkontrolle, waren immer auch ein Fingerzeig Richtung Washington, wie man es besser machen könnte. Der Kampfverband der Waffenlobby, die einflussreiche National Rifle Association, hat Bloomberg deshalb als Krake karikiert, die mit ihren zahlreichen Tentakeln Amerikas Freiheit zu erdrosseln droht. Anfang des Jahres beendete er die von ihm selbst genährten Spekulationen um seine Präsidentschaftsambitionen mit der Frage: „Wie kann ein 1,70 Meter großer, geschiedener, jüdischer Milliardär, der als Unabhängiger kandidiert und aus New York kommt, überhaupt eine Chance haben?“
Es ist kurz vor 15 Uhr. Im Messezentrum an der Jafféstraße herrscht hektische Betriebsamkeit. 19.000 Lungenärzte aus ganz Europa haben sich hier zu einer mehrtägigen Fachkonferenz versammelt. Im Saal 1.2a hält Bloomberg eine Grundsatzrede. Er hat einen Hang zu Selbstironie und Sarkasmus, aber er ist kein Entertainer. Sein Redemanuskript ist gespickt mit Fakten und Zahlen. „1,6 Mio. Europäer sterben jährlich an den Folgen des Rauchens“, sagt er, „Stellen Sie sich einmal vor, was passieren würde, wenn jedes Jahr eine Stadt wie Warschau oder Wien durch eine SARS-Epidemie oder eine Grippewelle ausgelöscht würde.“
Seine Zuhörer fordert Bloomberg dazu auf, sich nicht allein um die Therapie von Lungenkrankheiten zu kümmern, sondern die Anstrengungen für eine wirksame Prävention zu verdoppeln. Und an seine deutschen Gastgeber richtet er den Appell, die Chance des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu nutzen und sich für ein umfassendes Rauchverbot in der Gastronomie einzusetzen. Er wird mit stehenden Ovationen verabschiedet.
Die Stadt als Spektakel
Danach geht es weiter zum Prenzlauer Berg. In der Christinenstraße empfängt ihn der dänische Künstler Olafur Eliasson in seinem Berliner Atelier. Im Juni hatte Eliasson einen künstlichen Wasserfall unter der Brooklyn Bridge und an drei anderen markanten Stellen des East River installiert. Bloomberg war von Beginn an von dem Kunstprojekt fasziniert.
Was den Politiker und den Künstler miteinander verbindet, ist die Begeisterung für eine mit den Mitteln der High Tech inszenierte und restaurierte Natur. Bei Bloomberg kommen jedoch noch andere, handfestere Erwägungen hinzu. Er möchte langfristig die Abhängigkeit New Yorks von der Wall Street verringern und setzt deshalb verstärkt auf die Biotechnologie, die Unterhaltungsindustrie und vor allem auf den Tourismus.
Spektakuläre Kunstaktionen haben sich in seiner Amtszeit als ideales Medium erwiesen, um mehr Besucher in die Stadt zu locken. Als das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude im Februar 2005 mehr als 7.000 mit Stoffbahnen behängte Tore im Central Park aufstellen ließ, soll der Touristenstrom über 250 Mio. $ in die Kassen der Stadt gespült haben. Auch von den New York City Waterfalls erwartet man sich Mehreinahmen in Millionenhöhe.
Innovation Exchange
Kurz nach 19.00 Uhr trifft der Tross aus New York in der Unternehmensrepräsentanz der Telekom am Werderschen Markt ein. Bloomberg und seine Lebensgefährtin, die Bankerin Diane Taylor, zeigen nicht die geringsten Anzeichen von Ermüdung. Die beiden sind Ehrengäste beim Speakers Dinner der europäischen Lungenärztevereinigung.
Noch einmal begründet der ehemalige Medienunternehmer, warum er sich so intensiv mit der Tabakindustrie auseinandersetzt, und zwar nicht nur als Bürgermeister, sondern auch als Privatmann. Gemeinsam mit Bill Gates hat er im Juli eine halbe Milliarde $ für den Kampf gegen die Zigaretten zur Verfügung gestellt. Zum Einsatz kommen sollen die Stiftungsgelder vor allem in Ländern wie China, Indien und Russland, weil hier in naher Zukunft mit den meisten Tabaktoten zu rechnen ist. Wenn er über sein Engagement als Philanthrop spricht, lässt Bloomberg weder missionarischen Eifer noch persönliche Betroffenheit anklingen. Vielmehr scheint es für ihn schlicht um eine Frage von Aufwand und Ertrag zu gehen. Er ist davon überzeugt, dass er nirgendwo sonst mit seinem Vermögen mehr für die Menschen tun kann als im Bereich der Prävention.
Noch bevor der Nachtisch gereicht wird verlassen die Gäste aus New York den Festsaal. Sie wollen noch am selben Abend nach England weiterfliegen. Morgen will Bloomberg mit Premier Brown zusammenkommen, um Maßnahmen zur Eindämmung der Finanzkrise zu beraten. Danach wird er seinen Freund Boris Johnson treffen, den Bürgermeister von London. Anfang des Jahres haben die beiden Politiker das Programm „Innovation Exchange“ gestartet. Seitdem pendeln Experten zwischen London und New York hin und her, um sich über neue, viel versprechende Strategien des Stadtmanagements auszutauschen.
„Gibt es in Berlin nicht auch Innovationen, von denen andere Städte lernen könnten?“, fragt ein schwedischer Veteran der Pneumologie mit fröhlich krächzender Stimme in die Runde. Seine deutschen Kollegen sehen sich schweigend an und geraten ins Grübeln.