Der Zynismus moderner Massenmedien
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Frankreichs Chaos-Spirale: Vor der entscheidenden Parlamentswahl gibt es im Kino Medienkritik
Auch er spielt mit in diesem Spielfilm: Emmanuel Macron, Präsident der französischen Republik. Der Zufall will, dass dieser Film jetzt kurz vor den französischen Parlamentswahlen in die deutschen Kinos kommt. Gedreht wurde er aber natürlich schon vor über einem Jahr.
Und auch Macron hat nicht wirklich mitgespielt – so weit geht die Cinephilie der Franzosen, auch ihrer Politiker, dann doch nicht – er wurde nur einfach derart geschickt hineinmontiert in den Anfang dieses Films, sodass es tatsächlich aussieht, als gäbe es einen kurzen, frechen Schlagabtausch mit der Hauptfigur, einer prominenten Moderatorin für politisches Trash-Fernsehen, also Reportagen mit Elementen von Sensationsspektakel und Exploitation.
Trotzdem ist es völlig unvorstellbar, in einem deutschen Spielfilm einen entsprechenden Ausschnitt mit Olaf Scholz oder Angela Merkel zu sehen - und wahrscheinlich ist das auch besser so.
Saftige Mediensatire
Die entscheidende Stichwahl in Frankreich ist am morgigen Sonntag. Insofern kann und sollte man "France" auch unter diesem Gesichtspunkt ansehen: Wie zeigt er Politik und vor allem deren mediale Rahmenbedingungen?
Es ist ein vor allem für die Medien nicht sehr schmeichelhaftes Bild. Die Amoralität dieser Welt und ihrer journalistischen Akteure zeigt sich schon in dieser ersten Szene, eben dieser Pressekonferenz mit Macron: Eine Frage wird gestellt, die Antwort ist egal, denn die Frage ist nur rhetorisch und dient dazu, den Präsidenten zu desavouieren.
Die Moderatorin und ihre Assistentin scherzen und lachen dem Präsidenten praktisch ins Gesicht, der angesichts der unverschämten Dreistigkeit seines Gegenübers um Fassung ringt - die Show ist gewonnen.
Später im Film fliegt die Moderatorin und Titelheldin "France" (die natürlich auch mit "Frankreich" zu identifizieren ist, s.u.) zum Beispiel nach Afghanistan zu den Taliban, interviewt dort – wie immer perfekt gestylt mit modischem Stahlhelm, Camouflage-Jäckchen und Designer-Schussweste – einen blutrünstigen Mudschaheddin und fordert ihn am Schluss auf, um des guten Bildes willen einen religiösen Schlachtruf auszurufen und dabei in die Luft zu ballern.
Das muss dann, wie es eben so ist beim Fernsehen, ein paar Mal wiederholt werden, damit es wirklich gut aussieht – es sind solche absurden Szenen, die den einen Haupterzählstrang und den grotesken Humor dieses Films ausmachen.
Bruno Dumonts neuer Film "France" ist eine saftige und grobe Effekte nicht scheuende Mediensatire. Eine Satire, die den Zynismus moderner Massenmedien kontert durch eine nicht minder kalte, nicht nur illusionslose, sondern ätzend sarkastische Betrachtung, die man sehr wohl ebenfalls auch zynisch finden kann.
Der Zuschauer kann nach und nach feststellen, dass alles, was diese "Ich"-Journalistin zeigt, inszeniert ist - man sieht sie sogar "Action!" und "Cut!" rufen, als wäre es ein Spielfilm.
Nach und nach wird auch die Sensationslust des Publikums enthüllt und die Inszenierung von Geschichten, um sie attraktiver zu machen. Solche Filmkritiker und Kinozuschauer, die der Ansicht sind, dass sein Regisseur seine Figuren und seine Geschichte unbedingt zu lieben habe, die können mit diesem Film nicht glücklich werden. Alle anderen aber umso mehr.
Die zerrissenen Versionen von Frankreich
Der zweite Erzählstrang dreht sich um die Hauptfigur. Diese Moderatorin wird von Lea Seydoux in einem der besten Auftritte ihrer Karriere glänzend verkörpert. Sie heißt France de Meurs, "Frankreich der Sitten" oder auch "Überbleibsel", "Schwachkopf" – und dieser Name ist beziehungsreich doppelsinnig.
Diese junge, so oberflächliche wie gerissene, vulgäre Powerfrau, die ihr Leben auf Instagram und ähnliche oberflächliche Dinge konzentriert, steht auch für das neue Frankreich unserer Gegenwart, zumindest für seinen neoliberal ausgehöhlten Teil.
Dumont malt ein Sittengemälde.
Im Lauf des Films, motiviert durch einen kleinen Unfall mit Blechschaden, aus dem die Verursacher ökonomisches und vor allem soziales Kapital schlagen und den Promistatus der Moderatorin ausbeuten, entwickelt sie sich zur Linksliberalen, die ihr schlechtes Gewissen entdeckt. Und der Film entwickelt sich zur Komödie.
Regisseur Dumont stürzt den Film und damit seine Hauptfigur in eine zunehmend surreale und absurde Chaos-Spirale. Aus banalen Gründen und einer gewissen alltagspraktischen Unfähigkeit verliert das Leben von France jede Struktur. Sie verkörpert etwas Größeres, weiß aber nicht, was sie tun soll, eine Frau, die die zwei in sich zerrissenen Versionen eines Landes in sich trägt, und nur durch ihre Designerkleidung zusammengehalten wird.
Darum ist "France" ein Film, der eher aussieht, wie eine Komödie, aber tatsächlich auch von der Anstrengung einer ganzen Nation handelt, ihr attraktives Lächeln zu bewahren und die Tränen der inneren Erschütterung herunterzuschlucken.
Mal sehen, wer am Sonntag weinen wird...