Der afrikanische Patient
Zwischen Zynismus und Moralismus: Fernando Mereilles Globalisierungs-Thriller "Der ewige Gärtner"
"Some kind of Bildungsroman" nannte John Le Carré seinen Thriller "The Constant Gardener". Jetzt ist die Geschichte eines britischen Diplomaten, der den Machenschaften der internationalen Pharmaindustrie auf die Schliche kommt, hochkarätig verfilmt worden: Von "City of God"-Regisseur Fernando Mereilles mit Ralph Fiennes und Rachel Weisz. Ein Globalisierungs-Thriller, dessen moralischer Konflikt noch in seinen Unlösbarkeiten ins Herz der Gegenwart zielt.
"Diplomats have to go, where they are send." - "So do Labradors." Es sind viele solche kleinen, herrlich zynischen und darum auch treffenden Bemerkungen, mit denen John Le Carré seine pointierten Dialoge würzt, und wegen denen man die Bücher des berühmten britischen Romanschriftstellers schätzt - mindestens so sehr, wie aufgrund ihrer intelligenten und informativen Innenansichten aus Politik und Geheimdienstmilieu.
Nun versteckt sich bekanntlich, das weiß man spätestens seit Oscar Wilde, in jedem Zyniker auch ein Moralist; und nicht anders verhält es sich auch mit Le Carré und mit dem brasilianischen Star-Regisseur Fernando Mereilles, der Le Carrés Roman "The Constant Gardener" (als "Der ewige Gärtner" mal wieder unnötig unpräzis ins Deutsche übersetzt) jetzt verfilmt hat. Mereilles ist nach Anfängen als Werbefilmer durch den virtuosen Film "City of God" bekannt geworden. Gleich mit diesem Debüt gab es eine Oscarnominierung, und "Der ewige Gärtner" belegt, dass die Vorschußlorbeeren nach diesem Film ihren guten Grund hatten. Schon "City of God", der in Form eines dramatischen Popmovies von Kindern in brasilianischen Slums erzählte, schwankte zwischen kühl-skeptischer, mitunter zynischer Weltbetrachtung und dem direkten wie indirekten Appell, so könne es nicht bleiben, es ginge doch auch anders, man müsse endlich etwas tun.
Dieser Doppelcharakter ist auch "The Constant Gardener" eigen, und gerade wenn man dem Film seinen Hang zum Moralisieren vorhalten möchte, kann man sich - wie in Le Carrés Vorlage - wieder mit einem sarkastischen Scherz oder einer ironischen Distanzierung trösten.
Menschliche Guinea-Schweine
"The Constant Gardener" ist nicht zuletzt eine große, überaus gefühlvolle und leidenschaftliche Liebesgeschichte, deren tragischer Ausgang schon sehr früh feststeht: Wer genau hinsieht, erkennt schon im allerersten Bild, dass die junge hübsche Frau eine Reise in den Tod antritt: Ein Paar umarmt sich; "in ein paar Tagen bin ich wieder zurück" sagt sie, und an der Art, wie die Kamera auf dem Schattenriss seines Gesichts stehenbleibt, während sie sich aus dem Bildrahmen entfernt, wie die Farben ausbleichen und die startenden Motoren des Flugzeugs zu hören sind, erkennen wir in diesem Augenblick instinktiv, dass sie nicht wiederkehren wird. Minuten später steht es fest, und er geht ins Leichenschauhaus, um den Köper zu identifizieren.
Er, das ist Justin Quayle, ein britischer Diplomat in Afrika, der seinem Namen, der ihn als Gerechten ausweist, erst im Laufe des Films wirklich alle Ehre machen wird. Sie, das ist Tessa, die deutlich jüngere Frau des Diplomaten. Nach einer vermeintlich harmlosen Reise ins Landesinnere wird sie ermordet aufgefunden. Während Justin den mysteriösen Begleitumständen der Tat nachgeht, lernt er seine Frau erst wirklich kennen. In den Rückblicken seiner Erinnerung erzählt der Film die Geschichte ihrer Liebe, die auch zur Vorgeschichte von Tessas Tod wird. Justin erkennt peu a peu seine eigene Blindheit und vollendet voller Schuldbewusstsein Tessas - wie sich herausstellt, selbstverständlich hochhumanistisches - Werk, den Kampf gegen ein schurkisches Pharmaunternehmen, das Afrikaner als menschliche Guinea-Schweine für Medikamententests missbraucht, und dabei von der Regierung Ihrer Majestät gedeckt wird. Darüber erneuert sich im Tod die Liebe zwischen der Gutmenschin und dem Realist.
Diplomatie als Tätigkeit ständigen Gärtnerns
Zuvor hat sie es ihrem Mann nicht gerade einfach gemacht. Nur der resignative Gesichtsausdruck von Ralph Fiennes und unser Glaube an die Kraft der Liebe erklärt noch die Geduld, mit der er es aushält, wenn sie sich auf Partys danebenbenimmt, jede diplomatische Rücksicht hinter sich lässt, sozusagen mit dem Bulldozer einmal quer durch die Rhododendren bricht, die er so sorgfältig gepflegt hat. Diplomatie als Tätigkeit des ständigen Gärtnerns zu beschreiben ist ein ganz guter Vergleich: Diplomaten erscheinen da plötzlich als freundliche, etwas sonderbare Wesen, die völlig außerstande sind, kurzfristige Ergebnisse zu erzielen. Ein schöner britischer Rasen - vgl. "Asterix bei den Briten" - will tatsächlich über Jahre gepflegt sein, aber manchmal haben weder das Leben, noch die Diplomatie die Ordnung und Höflichkeit eines Five-O'Clock-Tea, die offenkundig den höchsten zivilisatorischen Maßstab für Justin bilden. Vielleicht enthüllt uns ja derzeit gerade der Blick auf Iran besonders gut, dass in all ihrer Pflanzenliebe, die die diplomatische Gärtnerei da manchmal auch ein Unkraut heranzüchtet, dass man lieber frühzeitig mitsamt seinen Wurzen vernichtet hätte - aber das ist natürlich auch wieder so ein Zynismus.
Natürlich ist es einfach, hier auch über manches zu spotten. Man könnte sagen, der Film strotze vor Ethnoklischees. In seiner Darstellung Afrikas spielt er jedenfalls überaus geschickt mit westlichen Klischees vom schwarzen Kontinent. Hier erscheint er allerdings weniger als rätselhaftes aber faszinierendes "Herz der Finsterns", das, je mehr einer eindringt, um so mehr mythische Dimensionen entfaltet, und auch nicht als nostalgisch verklärter Sehnsuchtsort a la "Jenseits von Afrika" oder "Nirgendwo in Afrika". Afrika ist hier vor allem ein Ort von Chaos und Anarchie, Verbrechen und niedere Gesinnung, und die Afrikaner sind keineswegs "edle Wilde", oder, wenn schon Bestien und Kannibalen, zumindest darin irgendwie ursprünglicher. Sondern sie sind genauso korrupt, habgierig und kriminell wie der Rest der Welt.
Freilich bildet er damit einfach nur den Blick der Europäer auf Afrika ab, und versucht sich nicht künstlich mit dem der Afrikaner gemein zu machen. Am besten ist "The Constant Gardener" trotzdem, wo er sich aus Afrika entfernt, und ins diplomatische Milieu eindringt, in die Cocktailpartys und eiskühl klimatisierten Büros der Anzugträger, die Schauplätze schneidiger Sentenzen und kurzer Smalltalks, die Karrieren machen oder beenden.
Romantische Untergangsvision Europas
Ralph Fiennes spielt Justin als verletzlichen, aber etwas naiven Großbürger mit eher zurückhaltendem Temperament, nahe an seinem Auftritt als "Englischer Patient": Ein groß Liebender, groß Leidender, dabei zögerlich, der erst am Ende aus Liebe und heimlichem Todestrieb alles aufs Spiel setzt. Rachel Weisz macht diese Liebe glaubwürdig, ebenso wie Tessas zwielichtiges Doppelleben, das sich erst nach und nach entpuppt. Einmal mehr hervorragend: Danny Huston, John Hustons Sohn in der Rolle eines opportunistischen, schwachen, gerade darum aber erfolgreichen Diplomaten.
Die leicht überbelichteten Farben, leuchten irgendwie wie auf alten Kodak-Fotografien, giftig, zugleich matt und ausgeblichen. Stilistisch erinnern die Bilder an "City of God". Gleich in den ersten Szenen zieht der Film den Betrachter hinein in die Handlung; man spürt schnell, dass der Film funktioniert und einigermaßen gut ist.
Ist das nun Moralkitsch, oder gar "pittoreske … gutartige Folklore", "sentimentalistisch" montiert, wie Peter Körte in der FAZ meinte? Nur, insofern die Beschreibung eines Gesinnungswandels bei der Hauptfigur immer einen moralischen Kern enthält. "Some kind of Bildungsroman" hat Le Carré sein Buch genannt, aber Bildung, auch die des Herzens ist nicht notwendig gleich Moralismus und kann allemal auch politisch sein. "The Constant Gardener" ist ein Globalisierungsthriller voller Paranoia, eine höchst zeitgemäße und dennoch romantische Untergangsvision Europas. Es geht in diesem Film nicht wirklich um die Darstellung der amoralischen Strategien der Pharmaindustrie, egal ob detailliert oder nur allgemein, sondern um mehr. "The white guy can not save the day" schrieb eine US-Kritikerin.
"We treat ill people, which would die anyway."
Man könnte es zudem auch umgekehrt verstehen: Mereilles/Le Carré erzählen vom Untergang des simplen Idealismus. Denn es ist ja - bei aller Sympathie für Tessas und später Justins Engagement - nicht völlig von der Hand zu weisen, wenn Danny Hustons Figur argumentiert: "We are not killing people. We treat ill people, which would die anyway." So schildert der Film ein moralisches Dilemma, und ist überdies sehr katholisch, eigentlich eher wie ein Stoff von Graham Greene, wenn er einen Menschen ins Zentrum stellt, der sich moralisch reinigt, und dann seine letzte Reinigung und Erlösung dadurch erhält, dass er sich ermorden lässt.
Trotzdem steht uns der zögerliche, letztlich den Verhältnissen ungläubig und überfordert gegenüberstehende Justin näher, als der realistische Pragmatismus seines Kollegen, aber auch als der Idealismus von Tessa: Ein Europäer, der nicht wissen will, was um ihn herum geschieht, woran er selbst beteiligt ist. Insofern erzählt "The Constant Gardener" nicht nur vom Untergang des gegenwärtigen Lebensmodells, sondern von unser aller Lage und der inneren, aber nicht existentiellen, sondern sozial und historisch bedingten Widersprüchlichkeit unserer Existenz: Wollten wir wissen, würden wir das erkennen.