Der alte neue Herrscher
Tschetschenien: Mit dem Präsidentenamt hat Kadyrow seine Macht zementiert - bleibt also alles beim Alten?
Er hat schon lange die Zügel in der Hand gehalten, jetzt ist er auch offiziell verantwortlich, für das, was in Tschentschenien passiert: Am 2. März wurde Ramsan Kadyrow, der Sohn des ermordeten tschetschenischen Präsidenten Ahmad Kadyrow vom Parlament in Grosny zum Präsidenten gewählt – einen Tag nachdem der russische Präsident Wladimir Putin ihn als Kandidaten vorgeschlagen hatte und ohne Gegenstimme. Überraschend kam das nicht.
Es war mehr eine Frage der Zeit, denn das Mindestalter für die Wahl des tschetschenischen Oberhaupts beträgt laut Verfassung 30 und dieses Lebensalter hat Ramsan Kadyrow im vergangenen Oktober erreicht.
Ruhiges, blühendes Tschetschenien
Kadyrow jr. wird den von ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit reklamierten Normalisierungsprozess weiter fortsetzen. Anlässlich seines Wahlsieges erklärte er erneut , dass er das Land in eine „ruhige und blühende Gegend“ verwandeln werde. Allerdings hinterlassen Ankündigungen wie: „Ich werde alles tun, um das Werk meines Vaters würdig fortzusetzen, sodass sich die Einwohner sicher fühlen und in Würde leben und es keinen internationalen Terrorismus und Wahhabismus gibt“ – einen üblen Beigeschmack. Denn seit Jahren führt Kadyrow eine mehrere tausend Mann starke und berüchtigte Kampftruppe, die Kadyrowzi, die Menschenrechtsorganisationen für Verschleppungen, Vergewaltigungen, Folter und Morde verantwortlich machen.
Doch pünktlich zu seinem Amtsantritt hat Kadyrow auch das Thema Menschenrechte für sich entdeckt. Für den 1. März hatte er eine Menschenrechtskonferenz in Grosny anberaumt. Führende russische Organisationen wie die „Helsinki Gruppe“ und die „Bewegung für Menschenrechte“ blieben der Veranstaltung jedoch fern, weil sie dem „existierenden Unrechtsregime“ nicht auch noch den Anstrich von Legitimität verleihen wollten.
Auch EU-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg, der Tschetschenien einen dreitägigen Besuch abstattete, misstraute dem schönen Schein sanierter Straßenzüge in der tschetschenischen Hauptstadt und zeigte sich gegenüber der Presse überzeugt, dass die Polizeikräfte nach wie vor Folter anwendeten und sich dies nicht auf Einzelfälle beschränke, sondern Teil des Systems sei. Zu einem ähnlichen Ergebnis war Human Rights Watch in einem Bericht im vergangenen November gekommen.
Der Häuptling schart seine Gefolgsleute um sich
Wie in der Nowaja Gaseta vom 12. März zu lesen war, hat Kadyrow seit geraumer Zeit damit begonnen, treue Gefolgsleute und Verwandte in wichtige Positionen zu hieven: Neuer Premierminister ist Cousin Odes Baisultanow, ehemals stellvertretend für Wirtschaftsangelegenheiten zuständig. Muslim Kutschijew, Vizepräsident des Ahmad Kadyrow Fonds, wurde Bürgermeister von Grosny. Da etwa zwei Drittel der Tschetschenen in der Hauptstadt leben, ist dieses Amt eines der wichtigsten Posten im Land.
Außerhalb Grosnys erlebte ein mit Entführungen in Verbindung gebrachter Kämpfer seinen plötzlichen Aufstieg: Musa Dadajew avancierte zum Verwaltungschef des Distrikts Achkoj-Martan. Seinen Bruder Ibragim, auf wunderbare Weise aus dem Gefängnis entlassen, fiel gleich mehrere Stufen die Polizeihierarchie hinauf und ist seit Januar Kommandeur des Achmad Kadyrow Polizeiregiments.
Alles wie gehabt in Tschetschenien?
Kadyrow steht für den von Moskau angeordneten Normalisierungsprozess und gilt dem Kreml offenbar für so verlässlich, dass man ihm sein neues Amt überließ. Unter allen Regionalherrschern der Russischen Föderation genießt er eindeutig eine Sonderstellung: Er ist der Einzige, der sich immer wieder auf einer russlandweiten Ebene äußern darf, auch zu Themen, die nicht in seinen Machtbereich fallen.
Vielleicht wird er aber doch für manche Überraschung sorgen. Es ist gut möglich, dass er künftig mit mehr Selbstbewusstsein von Russland Geld fordern wird, für den Wiederaufbau und dafür, dass Tschetschenien weiter ein Teil Russlands bleibt. In Gesprächen mit der Presse lässt er keine Gelegenheit aus, auf die Ölreserven der Kaukasus-Republik zu verweisen.
Sie werden von der staatlichen Energiegesellschaft Grosneftegas ausgebeutet, an der der russische Konzern Rosneft einen Anteil von 51 Prozent hält. Kadyrow hat in der Vergangenheit immer wieder Ansprüche auf mehr Mitsprache angemeldet. Und nicht nur die Einnahmen interessieren ihn, er hätte auch gern die Ölverarbeitung im Land, um Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu bekommen. Denn die Arbeitslosenquote ist hoch, nach seinen Angaben liegt sie bei 76 Prozent.
In einer interessanten Analyse - "The Chechen Gamble" - verweist Sergej Markedonow, Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen des Instituts für Politische und Militärische Analyse in Moskau, noch auf einen weiteren Aspekt.
Die Konzentration von regionaler Macht in einer Hand und das Fehlen von gegenseitiger Kontrolle könnte in jeder beliebigen Region [gemeint sind die russischen Regionen; Anm d. Verf.] zu einem separaten Staatsystem führen, das sich der Kontrolle des Kreml entzieht. Und es wird dort niemanden geben, der sich diesem Staatssystem widersetzt. In der Republik [gemeint ist Tschetschenien; Anm. D. Verf] bilden die separatistischen Rebellengruppen die einzigen Gegner der lokalen Behörden. Doch die sind derzeit verstreut und schwach, sowohl was ihre politische Ideologie als auch ihre militärische Kraft betrifft.
Markedonow zitiert auch den im Ausland lebenden tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer Achmed Sakajew, der meint, dass Kadyrow eine Politik der Dekolonialisierung betreibt, denn das Leben in der Kaukasus-Republik nähere sich immer enger den traditionellen tschetschenischen Regeln an. Und er stellt die Frage, wie treu Kadyrow Russland bleiben wird, wenn dort 2008 ein neuer Präsident gewählt wird. Denn die Loyalität Kadyrows beruhe auf einer persönlichen Loyalität zu Putin und nicht zu den russischen Institutionen.