Der deutsch-türkische Affenzirkus

Mit Auftrittsverbot für Erdogan fängt alles wieder von vorne an. Ein Kommentar

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Man muss schon mehr als naiv sein, wenn man wirklich gedacht hat, dass die deutsch-türkischen Beziehungen nach den jüngsten Spannungen im Vorfeld des Referendums und den Diskussionen rund um die Auftritte von AKP-Politikern in Deutschland sich schnell wieder normalisieren würden. Mit der Teilnahme des türkischen Staatspräsidenten Erdogan am G-20 Gipfel in Hamburg und dem Wunsch vor seinen Landleuten reden zu wollen, sind wir wieder mitten drin im Schlamassel.

Mit dem jetzt ausgesprochenen Auftrittsverbot für Erdogan fängt alles wieder von vorne an. Vertreter der AKP klagen Deutschland an, diagnostizieren mangelnde Demokratie und auch Nazi-Vergleiche dürften nicht lange auf sich warten lassen. Auch hier lebende AKP-Anhänger empören sich lautstark und sprechen von einer Doppelmoral der politischen Verantwortlichen in Deutschland.

Gleichzeitig sind sie aber sehr schweigsam, wenn in der Türkei Journalisten zum Schweigen gebracht werden und Reden bzw. Auftritte von Oppositionspolitikern im Referendumswahlkampf kurzerhand von der Regierung verboten wurden. Die eigene Doppelmoral nimmt man nie wahr, nur die der anderen. So kann man es sich in seiner ideologischen Traumwelt kuschelig machen.

Auch die deutsche Politik bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm. Man wolle endlich klare Kante zeigen, ausländischen Politikern nicht mehr die Möglichkeit geben, externe Konflikte nach Deutschland zu tragen, und die Gräben in der deutschen Bevölkerung nicht weiter vertiefen. Klingt schön, ist aber auch alles andere als glaubwürdig, denn wenn in regelmäßigen Abständen Sympathisanten der Terrororganisation PKK in Deutschland auftreten und ihre Anhänger aufheizen, ist die deutsche Politik nicht so sensibel.

Und so manche deutsche Politiker sind mittendrin, wenn es darum geht externe Konflikte nach Deutschland zu tragen, indem sie Deutschtürken aufgrund ihrer Haltung für oder gegen Erdogan in eine Schublade zu stecken.

Deutschtürken: In Wahlkampfzeiten für beide Seiten ein Objekt

In Wahrheit ist sowohl der türkischen als auch der deutschen Politik die Situation der Deutschtürken nicht von besonderem Wert, denn ansonsten würden sie nicht so agieren, nämlich auf dem Rücken der hier lebenden und sozialisierten türkeistämmigen Menschen Politik machen. Deutschtürken sind in Wahlkampfzeiten für beide Seiten ein Objekt, was sie immer wieder sehr leicht für ihre Zwecke in Stellung bringen können.

Das beherrscht nicht nur die türkische Seite, sondern auch die deutsche. Jetzt kurz vor der Bundestagswahl will man klare Haltung zeigen. Das ist was zählt. Was diese Politik auf dem Rücken der Deutschtürken für Folgen haben kann, ist erst einmal irrelevant.

Und auch Erdogan, der immer wieder betont eine Art Schutzherr der Türken in der Diaspora zu sein, interessiert sich nicht für ihre Belange. Denn ansonsten würde er nicht auf Biegen und Brechen darauf beharren, hier unbedingt zu "seinem Volk" zu sprechen, in vollem Bewusstsein, dass diese Haltung die Stimmung gegen die Deutschtürken weiter verschärft.

Erdogan wird sehr glücklich über dieses Auftrittsverbot sein, denn es ist eine gute Vorlage für ihn, dies innenpolitisch auszuschlachten, so wie er das in den letzten Monaten schon so oft gemacht hat. Und darum geht es auch in erster Linie: Wenn die eigene Politik in einer Sackgasse ist, die Fassade immer mehr bröckelt, braucht man den äußeren Feind, um mit Parolen und Slogans im Inneren den Schein eines starken und mächtigen Staates aufrecht zu erhalten. Er wird jetzt nach Außen wüten, aber insgeheim ist er dankbar für dieses Geschenk.

Das ganze Theater erinnert an pubertierende Jugendliche, die auf plumpe Art und Weise der jeweils anderen Seite demonstrieren wollen, wer der stärkere ist. Mit einer konstruktiven und nüchternen Haltung hat das nichts mehr zu tun.

Den größten Schaden davon nehmen die hier lebenden Türken, weil sie sich einerseits durch diese Stimmungsmache beeinflussen lassen, sich von der Gesellschaft, in der sie leben abwenden, und am Ende doch alleine mit der aufgeheizten Stimmung klarkommen müssen, denn der große Bruder in Ankara hat andere Prioritäten.

Eren Güvercin betreibt die Seite grenzgängerbeatz.