Der exotische Beat der Nanoröhrchen
Kohlenstoff-Nanoröhrchen können eine Alternative zu den konventionellen elektronischen Drähten sein
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature vom 9. August verdeutlichen Physiker aus den Niederlanden und den USA die entstehenden Muster, wenn sich elektronische Wellen durch ein Nanoröhrchen bewegen. Sie legen die ersten komplett experimentell gewonnen Bilder der dem Elektron zugeordneten Wellenlänge in einem Nanoröhrchen vor. Dabei stellte sich wieder einmal heraus, dass die Nano-Welt exotisch ist.
Die Nano-Welt ist extrem klein (1 Nanometer = 1 Milliardstel Meter). Für die Elektronik, Robotik, Sensorik und Prozesstechnik ist die Nanotechnologie gerade deswegen interessant, weil elektrischer Transport durch einzelne Atome möglich ist. Denkbar sind winzige Drähte, in der Größe einiger Zehntausendstel eines menschlichen Haares. Kohlenstoff-Nanoröhrchen gelten als ideales Material.
Elementarer Kohlenstoff ist ein billiges und häufiges Material. 1985 entdeckten Sir Harold W. Kroto, Richard E. Smalley und Robert F. Curl die Fullerene, eine neue Modifikation des Kohlenstoffs (außer Grafit und Diamant). Die Moleküle sind in der Form eines Fußballs aus Sechs- oder Fünfecken aufgebaut. Die drei Forscher erhielten dafür 1996 den Nobelpreis für Chemie.
1991 entdeckte Sumio Iijima in Japan dann die aus einer oder mehreren konzentrischen, zylinderförmigen Grafitlagen bestehenden Kohlenstoff-Nanoröhrchen. Bei ihnen sind die Kohlenstoffatome wie ein Gerüst von Sechsecken zu lang gestreckten Hohlzylindern geformt. Sie sind die kleinsten röhrenförmigen Gebilde, die es in der Natur gibt, ihr Umfang beträgt nur einige Nanometer. Trotz ihrer Zwergengröße sind sie ausgesprochen reißfest, elastisch und ermüdungsfrei - kurz, sie begeisterten die Materialwissenschaft restlos. Es sind zudem besonders ihre elektrischen Eigenschaften, die die Elektronik revolutionieren könnten, denn sie haben bei kleinstem Durchmesser eine sehr hohe elektrische Leitfähigkeit. Darüber hinaus sind sie je nach Helizität (Schraubensinn, Richtung von Spin und Impuls zueinander) entweder metallisch und damit elektrisch ideal leitend, oder halbleitend. Sie können folglich sowohl als elektronische Bauteile wie als Drähte eingesetzt werden.
Exotische Nano-Welt
Es gibt viele Spekulationen, was mit Nanotechnologie zukünftig alles möglich sein wird, die Utopien, die in der Zwergenwelt angesiedelt werden, sind schier unendlich, aber es zeichnet sich ab, dass mit Nano-Elektronik in absehbarer Zeit auf jeden Fall bessere und leistungsfähigere Rechner gebaut werden können. Mit Nano-Bestandteilen lassen sich kleinere, leichtere und schnellere Geräte herstellen, die außerdem in der Produktion weniger umweltbelastend sein werden (Vgl. Nano - die elementare Revolution).
Bei aller Begeisterung sind dennoch viele Aspekte der Nano-Welt noch nicht eingehend untersucht und immer wieder erweist sich, dass in der Winzigkeit offensichtlich andere Gesetze herrschen als in der normalen Welt. Immer noch sind viele Details nicht verstanden, was sich erst kürzlich zeigte, als Wissenschaftler der Harvard-University das kleinste Loch der Welt bohrten. Wie es aussieht, verhalten sich zudem flüssige Mengen auf Molekularebene anders als in bisher erforschter Masse größeren Maßstabs (Vgl. Einheiteneinteilung in der Nanotechnologie muss überprüft werden).
Auf einen weiteren außergewöhnlichen Aspekt ist jetzt ein internationales Forscher-Team gestoßen. Serge G. Lemay und Kollegen (darunter auch Richard E. Smalley, einer der Entdecker der Fullerene) von der Delft University of Technology in the Netherlands sowie der Rice University, Houston, Texas, haben mithilfe des Rastertunnelmikroskops (Scanning Tunneling Mircoscopy, STM) die Landschaft der Elektron-Wellen abgebildet. Das Rastertunnelmikroskop bildet die lokalen Zustandsdichten der Elektronen ab und ermöglicht die genaue Positionsbestimmung einzelner Atome. Es hat eine Metallnadel, mit der es die zu untersuchende Probe in einem engen Raster abfährt. Der zwischen Nadel und Probe fließende Tunnelstrom zeigt die jeweiligen Entfernungen. Die "Bumps" (Höhen) und "Grooves" (Tiefen) der elektronischen Struktur werden aufgezeichnet. Aus den gespeicherten Bewegungen der Spitze kann dann ein dreidimensionales Bild der Probenoberfläche erstellt werden, das alle Gipfel und Täler der elektronischen Wellen-Landschaft abbildet.
Kohlenstoff-Nanoröhrchen haben zwar einen sehr geringen Umfang, häufig sind sie aber verhältnismäßig lang. Serge G. Lemay und seine Kollegen haben für ihre Beobachtung ein metallisches Röhrchen zerschnitten und ein Segment von 34 Nanometern Länge gewählt, um den quantenmechanischen Status genau studieren zu können.
Wir präsentieren hier Messungen der zweidimensionalen Struktur der individuellen Wellenfunktionen in metallischen, einwandigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen mit dem Rastertunnelmikroskop; diese Messungen zeigen räumliche Verteilungsmuster, die direkt aus der elektronischen Struktur einer einfachen Grafit-Lage heraus verstanden werden können und die eine elegante Illustration von Blochs Theorem auf dem Niveau der individuellen Wellenfunktionen darstellen. Wir haben außerdem Energie abhängige Interferenz-Muster in den Wellenfunktionen beobachtet und sie dazu benutzt, direkt die lineare Energie-Dispersions-Relation des metallischen einwandigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen zu vermessen.
Der Beat der Elektronenbänder
Theorien hatten die Vorhersage gemacht, bisher hatte sie jedoch niemand real überprüfen können. Das Team um Serge G. Lemay stellte nun fest, dass das komplizierte Muster der beobachteten elektronischen Wellen-Landschaft das Resultat der Interferenz zwischen den Elektronen ist, die sich in zwei verschiedenen Elektronenbändern bewegen. Die Interferenz verursacht eine Variation in der Wellen-Intensität dem Nanoröhrchen entlang, die von längerer Wellenlänge ist als der darunter liegende Abstand im atomaren Gitter.
Diese Struktur ist ungewöhnlich. Wie David Goldhaber-Gordon von der Harvard Society of Fellows und Ilana Goldhaber-Gordon vom Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts in ihrem Begleitartikel in der gleichen Nature-Ausgabe erläutern, haben normale Metallsubstrate nur ein Elektronenband. Wie vorher schon erwähnt, war diese Zweiband-Konfiguration in Nanoröhrchen theoretisch vorher gesagt, aber nie so direkt belegt worden.
Die zwei verschiedenen Elektronenbänder führen zu einem "Beat" der Intensität. Goldhaber-Gordon vergleichen das mit dem Effekt, wenn der gleiche Ton simultan auf zwei Seiten einer Geige gespielt wird. Die neuen Erkenntnisse sind wesentlich für die Weiterentwicklung der Nano-Technologie. Goldhaber-Gordon ziehen das Fazit: "Diese Eigenschaften lassen vermuten, dass Nanoröhrchen bald fähig sein könnten, Elektronen über viele Mikrometer zu leiten und das macht aus ihnen eine realistische sowie sehr viel kleinere Alternative zu den konventionellen elektronischen Drähten."