Der letzte Diktator

Warum die Freilassung des schwer erkrankten Dimitrios Ioannidis, zu lebenslanger Haft verurteiltes Mitglied der Militärdiktatur, in Griechenland auch nach 33 Jahren Gefängnis ein Problem ist

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„Die wollen die Verantwortung nicht tragen und spielen deswegen anderen den Ball zu“, lautete der lakonische Kommentar des Anwalts zum Urteil. Kurz zuvor hatten die drei Richterinnen entschieden, der Fall müsse im November unter Hinzuziehung des Chefarztes eines Athener Krankenhauses erneut verhandelt werden.

Dabei war die Sachlage denkbar klar. Rechtsanwalt Dimitris Tsounkas hatte Haftverschonung für seinen seit 33 Jahren einsitzenden, 85 Jahre alten schwer herz- und lungenkranken Mandanten beantragt. Drei Mediziner, darunter ein Arzt der Gefängnisklinik hatten bestätigt, dass eine Behandlung von Dimitris Ioannidis absolut notwendig, von der Gefängnisklinik aber nicht zu leisten sei.

Die Junta-Mitglieder Phaedon Gizikis, George Papadopoulos und Dimitrios Ioannides (von links nach rechts)

Auch wenn in Griechenland nicht vielen Anträgen auf Haftverschonung stattgegeben wird, hätte in diesem Fall normalerweise jedes Gericht der Verlegung des Schwerkranken in ein Krankenhaus zugestimmt. Doch Brigadegeneral Dimitris Ioannidis ist eben kein „normaler Fall“. Der 1975 wegen Hochverrats zu lebenslangem Gefängnis verurteilten Häftling ist vielmehr – neben seinem ebenfalls seit damals einsitzenden Gesinnungskameraden Oberst Nikolaos Dertilis – der letzte lebende Obrist, wie die Akteure der griechischen Militärdiktatur von 1967 bis 1974 in Anlehnung an ihren Militärrang genannt werden.

Als sich 1967 in Griechenland nach langen Jahren von parastaatlichem Terror gestützten rechtsgerichteten Regierungen ein Wahlsieg demokratischer und linker Parteien abzeichnete, schlug das Militär zu. Am 21. April, eine Woche vor den für den 28. April angesetzten Wahlen ergriff eine Gruppe von Offizieren mit Oberst Georgios Papadopoulos an der Spitze die Macht. In einem Rundumschlag noch in der selben Nacht ließ Diktator Papadopoulos mehrere Tausend des Kommunismus oder anderer linker Gesinnung verdächtigter Menschen verhaften. Unzählige Kommunisten und Demokraten, echte und vermeintliche Widerstandkämpfer wurden während der sieben Jahre dauernden Diktatur ins Exil getrieben, festgenommen, gefoltert und in den berüchtigten Kerkern der Militärpolizei ESA oder den schon aus dem Bürgerkrieg (1946-49) bekannten Verbannungsinseln interniert.

Im Herbst 1973 wurde Papadoupoulos von dem bis dahin an seiner Seite stehenden Dimitris Ioannidis durch einen Putsch im Putsch abgelöst. Als Ioannidis im Juli 1974 jedoch versuchte, sich die 1960 von den Briten in die Unabhängigkeit entlassene Insel Zypern ebenfalls durch einen Putsch unter den Nagel zu reißen, ließ der Nachbarstaat Türkei Truppen einmarschieren und besetzte den Nordteil der seitdem geteilten Insel. Ioannidis musste wenig später zurücktreten. Am 24. Juli 1974 wurde der aus dem französischen Exil eingeflogene konservative Konstantinos Karamanlis – der Onkel des heutigen gleichnamigen Ministerpräsidenten – als neuer Ministerpräsident vereidigt.

Unter dessen Herrschaft wurden 1975 eine ganze Reihe, wenn auch längst nicht alle Schergen der Militärdiktatur wegen Hochverrat und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu langjährigem bis lebenslangem Gefängnis verurteilt. Bis auf Ioannidis und Dertilis sind jedoch alle damals Verurteilten mittlerweile gestorben oder frei. Diktator Papadopoulos, dessen anfängliche Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt worden war, starb nach fast 25 Jahren im Juni 1999 im Krankenhaus, in das man ihn aus gesundheitlichen Gründen verlegt hatte. Bis zuletzt hatte der Obristenführer seine Taten nicht bereut und es abgelehnt, einen Antrag auf Entlassung zu stellen oder ein Gnadengesuch einzureichen.

Auch Dimitris Ioannidis hat die von ihm begangenen Verbrechen nie bereut. Eine 2006 von Amts wegen eingeleitete Prüfung, ob der Gefangene nach über 30 Jahren Haft zu entlassen sei, wurde genau mit dieser Begründung abgelehnt.

Fast 34 Jahre Gefängnis sind eine lange Zeit und so verwundert es auch nicht, dass sich selbst manch einer derjenigen, die damals unter Einsatz ihres Lebens gegen die Diktatur gekämpft oder von ihren Schergen gefoltert wurden, heute für eine Freilassung der beiden letzten noch lebenden Obristen aussprechen.

Babis Georgoulas, Mitglied der militanten Widerstandsbewegung Rigas Feraios saß während der Militärdiktatur im selben Gefängnis, in dem Ioannidis heute inhaftiert ist:

Ein Mann von 86 Jahren ist ungefährlich, auch wenn er keinerlei Reue zeigt. Er hat den Preis für seine Taten bezahlt und ich glaube nicht, dass wir als Demokratie uns etwas vergeben, wenn er entlassen wird.

Giannis Stratis, Mitglied der kommunistischen Widerstandsbewegung „Patriotische Antidiktatorische Front, PAM“ wurde damals von der EAS gefoltert:

Heute ist Ioannidis für die Demokratie ungefährlich. Die Justiz und die Geschichte haben ihn hinreichend bestraft. Für mich wäre es nicht schlimm, wenn er heute wegen drohender unheilbarer Gesundheitsschäden entlassen würde. Die Demokratie rächt sich nicht.

Christos Peklitis, der gegen die Militärdiktatur gekämpft hat, ist sogar der Meinung, die beiden hätten längst freigelassen werden sollen:

Damit sie nicht einsitzen und den Märtyrer spielen. Trotz allem, was sie getan haben und obwohl ich immer ein Gegner ihrer Ideologie und ihrer Praxis war und bin, respektiere ich die Haltung von Papadpopoulos und Dertilis mehr als die derjenigen, die mit verschiedenen Mitteln ihre Freilassung erwirkt haben.

Die griechische Presse berichtete am Mittwoch - wenn überhaupt - nur mit Einspaltern von der Vertagung des Entscheids über den Antrag von Ioannidis auf Haftverschonung. So als wäre sein Ansinnen ein ganz normaler Fall.