Der mysteriöse Tod eines Finanzmanagers

Spurenlage im Fall Poschinger von Camphausen nicht eindeutig

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Für die meisten Zeitungsleser ist der Fall um den ermordeten Münchener Finanzmanager Dirk Poschinger von Camphausen (36) eindeutig und klar. Weil er seinen fast neuen Audi A8 Quattro günstig verkaufen wollte und ihn mit seiner Privatadresse im Internet inserierte, wurde der adelige Kaufmann abgefangen, verschleppt und umgebracht. Die inzwischen in U-Haft sitzenden drei Verdächtigen (was die Polizei bisher weder bestätigt noch dementiert hat) hatten es auf den schweren Wagen ihres Opfers abgesehen. Soweit die nach außen kolportierte These am Wochenende. Doch so einfach ist die Sache offenbar nicht, denn im Polizeipräsidium München sind bei der Mordkommission noch einige Fragen offen. Die dringlichsten, die sich die Fahnder stellen, sind folgende:

Wie jeden Morgen fuhr Dirk Poschinger von Camphausen auch am Donnerstag, 14. Januar, gegen 9.30 Uhr von München-Bogenhausen in Richtung Schwabing, wo er als Direktor bei dem Investmentberater EQT arbeitete. Doch an seinem Arbeitsplatz kam der 36-Jährige nie an, auch telefonierte er vormittags entgegen der üblichen Praxis nicht mit seiner Frau. Das und die Tatsache, dass er an diesem Tag Geschäftstermine verstreichen ließ, sorgte für Unruhe. Schließlich ging seine Frau am Nachmittag zur Polizei, um Vermisstenanzeige zu erstatten. Daraus ergibt sich Frage 1. Warum wurde der Fall sofort mit besonderer Dringlichkeit bearbeitet und von der Schutzpolizei sogar die Mordkommission eingeschaltet? Unter alltäglichen Umständen wird bei einem 36-Jährigen angenommen, dass er sich - aus welchen Gründen auch immer - freiwillig nicht meldet und Termine verstreichen lässt. Zwar wird eine Anzeige aufgenommen und auch das Auto des Vermissten in die Fahndung eingespeist. Allerdings erfolgt eine Suche allenfalls "im Rahmen der Streife" und nicht als gesonderte Aktion. Schon gar nicht mit einer Mordkommission. Bleibt anzunehmen, dass Frau Poschinger von Camphausen auf der Wache Angaben machte, die den Verdacht eines Gewaltverbrechens gegen ihren Mann rechtfertigten. Doch welche Angaben waren das?

Frage 2, die im Präsidium gewälzt wird, beschäftigt sich mit dem schwarzen Audi selbst. Der Wagen mit Frankfurter Kennzeichen wurde am Freitag, 15. Januar, von einer Streife im Südwesten Münchens entdeckt. An dieser Stelle stoßen die Kriminalen in der Mordkommission auf einen Widerspruch, der bisher - zumindest offiziell - nicht gelöst ist. Sollte die These, die Täter hätten es auf den zum Verkauf angebotenen Wagen des Managers abgesehen, stimmen, warum haben sie ihn dann nicht gestohlen, sondern in München abgestellt? Dieser Umstand führt direkt zu Frage 3, die nach dem Lieferwagen, in dem die Leiche des Managers gefunden wurde. Wieso stellten die Täter das Fahrzeug in der Nähe des Audis ab? Und was war der Anlass zur Überprüfung des Transporters? Sollten die beiden Autos unbedingt gefunden werden? Frage 4 beschäftigt sich mit der ominösen Internet-Anzeige, in der Poschinger von Camphausen seine Privatadresse plus den Grund des Verkaufs (Umzug in die USA) nannte. In solchen Fällen versuchen die Ermittler, aus Sicht der Täter zu denken, was in aktueller Sache zu folgender Überlegung führt: Die Privatadresse des Opfers kann für die Täter keine besondere Rolle gespielt haben, weil man sich an einem völlig anderen Ort getroffen hatte. Dass der 36-Jährige auf dem Weg von Bogenhausen zu seinem Schwabinger Arbeitsplatz abgefangen wurde, gilt als eher unwahrscheinlich, weil die Strecke zu keinem Zeitpunkt durch einsames Gebiet führt, sondern mitten durch die Stadt. Ein "Besuch" der Täter bei der Privatadresse des Managers hätte für sie u. U. den Vorteil gehabt, nicht nur den Wagen (etwa bei der Probefahrt) stehlen zu können, sondern bei einem Überfall an der Wohnungstür auch noch Schmuck, Bargeld und Wertgegenstände zu erbeuten.

So deutet für die Kripo vieles darauf hin, dass Internetanzeige und der Tod des Bankers nicht im Zusammenhang stehen, sondern Zufall sind. Dirk Poschinger von Camphausen hatte trotz seines Alters von 36 Jahren bereits eine beachtliche Karriere hinter sich. U. a. arbeitete er auch für die amerikanische Morgan-Stanley-Bank mit Sitz in New York City, die im Zuge der Finanzkrise 2008 ihren Status als Investmentbank aufgab. In den USA stand ihm eine weitere, äußerst lukrative Aufgabe bevor, die der aus der Besitzerfamilie des Schlosses Neu-Egling stammende Mann in Kürze antreten wollte.