Der nächste festgenommene US-Spion..

und der nächste Sturm im Wasserglas? Hinter der entrüsteten Reaktion der deutschen Regierung auf die Enttarnung eines US-Agenten im Bundesinnenministerium steht eine Harmlosigkeit, die der NSA-Massenüberwachung weiter keine Grenzen setzen wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vergangenen Donnerstag, einen Tag nach der Festnahme eines BND-Mitarbeiters, der der CIA Papiere zulieferte und den NSA-Untersuchungsausschuss auspioniert haben soll, telefonierten Angela Merkel und Barack Obama miteinander. Der Spion war kein Gesprächsthema, so die New York Times. Obama wusste nichts davon und Merkel wagte es nicht, das Thema von sich aus anzusprechen, lässt sich dem Bericht der US-amerikanischen Zeitung entnehmen.

Die Gründe, die für den mutmaßlich defizitären Kenntnisstand Obamas angeführt werden, sind nicht dazu angetan, Verletzungen und Frustrationen auf Seiten der deutschen Freunde zu lindern. Der Angelegenheit wird aus amerikanischer Sicht keine große Bedeutung beigemessen, weil der Nutzen, die Deutschen auszuspionieren, begrenzt sei, wie ein ehemaliger CIA-Offizier erklärt. Die, die noch im Dienst sind, sagten der NYT gar nichts, nicht einmal irgendeine Phrase.

Dass sie nach Angaben der Zeitung auch dem US-Präsidenten nichts sagten, passt in das Bild, das der Bericht liefert, wonach man keinen "Überreaktionen" auf Seiten der Deutschen Vorschub leisten wolle. Man vermeidet tunlichst, dem Konflikt, der über die NSA-Merkel-Überwachung gärt, noch weiteren Zündstoff und Komplikationen zuzuführen und rechnet damit, dass alles im "grünen Bereich" bleibt.

Bemerkenswert im Zeitungsbericht ist die Stelle, die zeigt, dass es gerade die Harmlosigkeit im deutschen Verhalten gegenüber dem amerikanischen Partner ist, die verhindert, dass der Wunsch der Deutschen nach einem No-Spy-Abkommen realisiert wird. Bislang wird das im Fall Deutschlands nicht erwogen, so der Stand, den die NYT aus den informierten Kreisen vermittelt. Im Fall Frankreich habe man das aber erwogen, heißt es, mit der Begründung:

Die Franzosen sind dafür bekannt, dass sie besonders aggressiv hinter amerikanischen Industriegeheimnissen her sind. Im Kontrast dazu, so frühere und gegenwärtige amerikanische Vertreter, sind deutsche Agenten weitaus weniger aktiv in den USA, womit der Nutzen eines Nicht-Spionage-Abkommens mit Berlin sehr viel weniger offensichtlich ist.

Nun hat man im Großraum Berlin einen Mann entlarvt, der den US-Geheimdiensten zulieferte, ein Mitarbeiter im Bundesverteidigungsministerium. Das BKA und die Bundesanwaltschaft ermitteln wegen des Anfangsverdachts der geheimdienstlichen Tätigkeit. "Der Fall wird von informierten Kreisen noch 'ernster' eingeschätzt als der Fall des in der vergangenen Woche verhafteten BND-Beamten", berichtet die Süddeutsche Zeitung.

"Ein neuer, möglicherweise dramatischer Spionageverdacht", so der Spiegel. Dessen Bericht präsentiert jedenfalls dramatische Erst-Reaktionen deutscher Politiker auf den Fall. Das Gefühl, erneut düpiert worden zu sein, und die Forderung nach Konsequenzen zieht sich die Stellungnahmen quer durch die politischen Lager.

Es ist ein entwürdigendes Schauspiel, wenn die amerikanischen Geheimdienste nun wochenweise beim Spionieren erwischt werden. Ich rate den Amerikanern, jetzt reinen Tisch zu machen, alles offenzulegen und die Spionageaktivitäten einzustellen.

Thomas Oppermann, SPD

Hier scheint sich ein Spionage-Sumpf aufzutun, den wir austrocknen müssen. Wenn sich der neue Verdacht bewahrheitet, muss das Konsequenzen haben. Es wird immer dringlicher, dass die Kanzlerin bei der US-Regierung klare Antworten einfordert. Hans-Christian Ströbele, die Grünen

Auch der Unionsabgeordnete Philipp Mißfelder von der CDU, bislang kein ausgewiesener US-Kritiker ("unser wichtigster Verbündeter") sieht das "transatlantische Verhältnis erschüttert", spricht von einem Skandal. Regierungssprecher Seibert gab sich ebenfalls "erschüttert", wird mit der Rede von "tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten" zitiert, dem Vertrauensverlust und der erstaunlich ehrlichen Erklärung: "dass die USA vermutlich alle von ihnen gewünschten Informationen auf direktem Wege von der Bundesregierung bekommen könnten".

Die Reihe der "Wir sind erschüttert"-Zitate ließe sich leicht fortsetzen. Alle, vom Kanzleramt, den Ministerien, den Ermittlern, bis hin zu den Geheimdiensten sind in Aufregung, wie der Spiegel beobachtet. Der Ruf nach ernsthaften Konsequenzen schallt aus allen Ecken. Welche Konsequenzen genau?

Infolge der neuen ernsten Krise hat das Auswärtige Amt den US-Botschafter John B. Emerson ins Haus bestellt. Und CIA-Chef John Brennan soll gestern Nachmittag mit dem Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, telefoniert haben. Um den Schaden zu begrenzen, so der NDR. Wenn die Gespräche so laufen wie das Telefongespräch zwischen den beiden Staatsoberhäuptern, dürfte die eine öffentlich so groß geforderte Konsequenz, das No-Sp-Abkommen, in weiter Ferne bleiben.

Doch Regierungssprecher Seibert hat den USA ja bereits den Ausweg aus der Krise gewiesen: Es braucht keine US-Spione, da die USA ja alle von ihnen gewünschten Informationen auf direktem Wege von der Bundesregierung bekommen könnten. Allerdings nur, wenn sie sich ernst genommen fühlt. Ein bisschen Streichelgespräche täten für solche Ansprüche schon das Nötigste. Zum Konflikt fehlt der Regierung die Traute. Was die NSA-Massenüberwachung angeht, ist das ein denkbar schlechtes Signal.