Der neue saudische Kronprinz: Fun, Neoliberalismus und Kriege
Mohammed Bin Salman und die Gefahr des Überreizens
Dem BND war der Prinz nicht geheuer. Ende 2015 machte eine Einschätzung des deutschen Auslandsgeheimdienstes die Runde in den Medien: Die wirtschafts- und außenpolitische Machtkonzentration auf den Vize-Kronprinzen Mohammed Bin Salman berge "latent die Gefahr (...), dass er bei dem Versuch, sich zu Lebzeiten seines Vaters in der Thronfolge zu etablieren, überreizt".
Saudi-Arabien wurde vom BND als "destabilisierender Faktor" bezeichnet und dem Land eine "impulsive Interventionspolitik" unterstellt (siehe BND: Saudi-Arabiens Außenpolitik zu "impulsiv"). Der strategische Verbündete Saudi-Arabien war über die veröffentlichte Einschätzung "regelrecht erzürnt" und die Bundesregierung verärgert. Es wurde zurückgerudert.
Das sagt einiges über die Empfindlichkeiten des Hauses Saud und über die Abhängigkeit der deutschen Regierungspolitik von den reichen Herrschern. Es zeigt sich außerdem, dass auch der BND seine weitsichtigen Momente hat.
Der Prinz ist nun, anderthalb Jahre später, fast schon König. Sein 81-jähriger Vater Salman, Sohn (Ibn) von Abd al-Aziz Al Saud, hat die Thronfolge geändert und seinen Sohn Mohammed Bin Salman, Kürzel MBS, zum Kronprinz bestimmt. Der für Fragen der Thronfolge zuständige Rat hat den Entschluss mit 31 von 34 Stimmen am frühen Mittwochmorgen bestätigt.
Machtkampf gegen den Prinzen der Finsternis
Bei einer Herrschaftsform, der im 21.Jahrundert noch das altertümliche Beiwort "absolutistisch" zugeschrieben wird, machen 3 Abweichler hellhörig, sie müssen sich einer gewissen Rückendeckung sicher sein, um solche Dissidenz zu wagen. Wie groß sie tatsächlich ist, bleibt Orts-und Familienfremden verborgen. Aber es gibt Spekulationen darüber, dass die Machtbasis nicht ganz so solide ist, wie nach außen dargestellt.
Man darf nicht unterschätzen, wie groß die Medienmacht des Hauses Saud ist, das über Satellitenkanäle, Online-Medien mit großer Reichweite und wichtigen Zeitungen verfügt und in Washington wichtige Think-Tanks mit Geld füttert. Als Antidot zum weit versprühten Dot der saudischen Medien ist der Angry Arab eine gute Adresse. Er beschreibt die Machtbasis als eng. Der sanfte Übergang ist ein Bonbon für Medien.
Die Strippen zum tiefen Staat
Dafür spricht, dass der Neuregelung der Thronfolge, die MBS außerdem noch den Posten des Vize-Premierministers eingetragen hat, ein längerer Machtkampf vorausgegangen war, dessen Ziel nicht nur der BND voraussah. Im Oktober 2016 konnte man in der New York Times darüber lesen. Das vorläufige Resultat sieht so aus, dass Cousin Mohammed bin Nayef von MBS in ein vergoldetes Retiro geschickt wurde.
Der Innenminister, berüchtigt für ein brutales Vorgehen gegen sämtliche Gefährder der Herrschaft, weswegen der "Prince of Darkness" ("notorious for filling Saudi prisons with dissidents and activists") angeblich von westlichen Geheimdiensten geschätzt wurde, musste den mächtigen Ministerposten räumen und den ersten Platz in der Nachfolge des Königs. Der gut vernetzte Mohammed bin Nayef behält aber, wie Madawi Al-Rasheed konstatiert, die "Strippen zum tiefen Staat".
Ob der Machtkampf auf anderen Ebenen weiter ausgetragen wird, ist die eine Frage, die sich nach der Revision der Thronfolge stellt. Pro forma kompensiert wurde der Machtverlust des Familienzweigs Nayef - Mohammed bin Nayef war nicht nur Kronprinz und Innenminister, sondern auch stellvertretender Premierminister - durch die Bestellung eines anderen Bin Nayef als Innenminister: Abdulaziz bin Saud bin Nayef. Er ist wie sein Portrait im saudischen Medium al-Arabiya offenlegt, noch ohne erkennbares politisches Profil. Eine Spielfigur.
An Profil mangelt es dem neuen Kronprinzen MBS nicht, wobei bei dem 31-Jährigen noch die Ambitionen, werbesprachlich die Claims, die Zacken und Kanten modellieren.
Stabilität mit eisernem Besen und Entertainment
Er ist als Verteidigungsminister für die militärische Intervention im Jemen verantwortlich, das sehr nach Desaster aussieht, mit fürchterlichen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung des saudi-arabischen Nachbarstaates und der Aussicht auf einen endlosen Konflikt. Als de-fakto-Richtliniengestalter der saudischen Außenpolitik ist Mohammed Bin Salman zudem Drahtzieher, zusammen mit den ihm eng verbündeten VAE, der Golfstaaten-Front gegen Katar.
Darüber hinaus ist er als Vorsitzender der wichtigsten saudischen Wirtschaftsorganisation der Protagonist des Projekts 2030, welches das Land aus der Abhängigkeit von Öleinnahmen befreien soll, bei der die Privatisierung der Ölgesellschaft Saudi Aramco eine große Rolle spielt.
Man kann aus alldem das grobkörnige Fazit ziehen, dass diese ehrgeizigen Projekte mit "stabilen Verhältnissen" im Konflikt stehen. Zwar wird von MBS gerne behauptet, dass er ein Modernisierer sein sollte/könnte, aber da überwiegt der Wunsch, die Hoffnung, der Wunderglaube oder die Liebe zur PR. Dass die saudischen Staatsbürger mit seiner Nominierung eine Woche länger Feiertage haben, ist ein Indiz dafür, dass auch er mit dem Rezept Wohltaten Unruhen, so gut es geht, verhindern will.
Er wird wie andere zu diesem Instrumentarium greifen, um mit "Entertainment" für politische Ruhe im Mainstream zu sorgen. Als "Fun und Neoliberalismus" etikettiert die bereits genannte Saudi-Arabien-Kennerin Madawi al-Rasheed einen der vier Wege, die MBS einschlagen werde. Die anderen drei sind: der Kampf, eine Regionalmacht zu werden, die der Türkei, Iran und Israel gleichrangig ist - ohne über die komplizierten Wechselwirkungen Bescheid zu wissen, meint al-Rasheed.
Zum anderen werde MBS eine "symbiotische Politik" mit US-Präsidenten Trump pflegen - bei Vernachlässigung Europas, so Madawi al-Rascheed, was den Konkurrenzkampf der europäischen Bewerber um wirtschaftliche, rüstungstechnische Aufträge anheizen wird, insbesondere durch den Brexit.
Als erste unmittelbare Folge sagt die Autorin voraus, werde die Politik der eisernen Faust im Land verstärkt weitergeführt.
Unklar ist, inwieweit Mohammed Bin Salman als Kronprinz weiter Fun-Anekdoten aus der "Saudi-Rich-Welt" beisteuern wird, wie zum Beispiel im Oktober 2016, als ihm eine Yacht gefiel, die er dann spontan erwarb, für angeblich 500 Millionen Dollar. Die russischen Besitzer sollen noch am selben Tag ausgezogen sein. Derweil zuhause im Wüstenreich das Budget auf mehr Austerität getrimmt wurde, wie es der Independent hinterträgt.