Der paneuropäische Haushaltsdiktator

Seite 2: Rechtliches Niemandsland

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Vorbild für die "nationale" Umstrukturierung des ESM bildet somit offensichtlich die berüchtigte Eurogruppe, den informellen "Zusammenschluss" der europäischen Finanzminister, die bei den Treffen die Grundzüge der europäischen Finanzpolitik im Geheimen ausarbeiten.

Hierbei handelt es sich um ein rechtliches Niemandsland, in dem der deutsche Finanzminister das Sagen hat. Der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis hat die Zustände in diesem rein machtpolitisch geprägten Entscheidungsgremium folgendermaßen charakterisiert: Die Finanzminister seien "komplett" von Schäuble dominiert. Die Gruppe agiere "wie ein äußerst gut gestimmtes Orchester", wobei Schäuble als deren "Dirigent" agiere.

Was konkret ist also diese Institution, der von Berlin zu einem zentralen europäischen Transmissionsriemen deutscher Machtpolitik ausgebaut werden soll? Der 2012 geschaffene ESM ist Teil der Institutionen (Euro-Rettungsschirm), mit denen die Eurokrise bewältigt werden sollte.

Der permanente Krisenmechanismus hat vor allem die Aufgabe, die europäischen Krisenstaaten durch Bürgschaften und Kredite zu stützen. Die Finanzmittel des ESM werden allen Eurostaaten bereit gestellt, wobei die Bundesrepublik mit rund 26 Prozent für den höchsten Anteil aufkommt - gefolgt von Frankreich (20 Prozent), Italien (18 Prozent) und Spanien (11 Prozent).

Ähnlich der Eurogruppe, würde in dem ESM sich somit die nackte machtpolitische Arithmetik durchsetzen, die Berlin favorisiert, ohne dass noch Rücksicht auf europäischen Proporz genommen würde, der ja Gegenstand von Verhandlungen in den EU-Institutionen ist. Den Vorsitz des ESM hat, im Gegensatz zur deutschlandweit verhassten EZB des Mario Draghi, ein Deutscher: Klaus Regling. Ein Mann ganz nach Schäubles Geschmack. Das Newsportal Lobbycontrol charakterisierte Regling 2009 folgendermaßen:

Mit Klaus Regling ist ein weiterer knallharter Monetarist in der Gruppe, der auch schon in der Finanzbranche arbeitete (für Moore Capital Strategy Group, einen Hedge-Fond). Außerdem gehört der deutschen Gruppe Jan Pieter Krahnen an, der neben seiner Tätigkeit als Professor an der Goethe Universität Frankfurt Direktor des Center of Financial Studies ist und im Beirat der DZ Bank sitzt.

Lobbycontrol

Gegenüber den absurd anmutenden Privilegien, die die "Mitarbeiter" des ESM genießen, nimmt sich selbst die hermetisch abgeschlossene Welt der Brüssler Bürokratie wie ein Hort der Demokratie aus. Zuallererst hat sich der ESM die totale Immunität für seine Tätigkeit gewährt. Die Immunität des ESM und seiner Mitglieder kann praktischerweise nur durch den ESM aufgehoben werden.

Immunität

Nochmals: alle Funktionsträger des ESM - vom Gouverneur, über den Direktor, den Geschäftsführer, bis zu sonstigen Bediensteten - genießen Immunität "hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen". Und dieses Konstrukt möchten Schäuble und Weidmann zum Herzstück der deutschen Krisenpolitik in Europa ausbauen. Zudem ist der ESM samt seiner Funktionsträger von jeglichen direkten Steuerlasten befreit. Klaus Regling als Chef des ESM hätte dies eigentlich nicht nötig: er verdient 324 000 Euro im Jahr (Merkel muss sich mit 190 000 Euro begnügen).

Die von Schäuble intendierte Stärkung des ESM, von der SZ als pseudodemokratische Übertragung von Verantwortung an die "nationalen Regierungen" verkauft wird, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als das genaue Gegenteil: als die Ausformung einer postdemokratischen bürokratischen Monstrosität, die sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht und hinsichtlich ihrer weitreichenden finanz- und wirtschaftspolitischen Machtfülle keinerlei Rechenschaft ablegen müsste.

Und genau dieses Bürokratische Monster soll der Verfügungsgewalt des alten, verbitterten Mannes übergeben werden, der mit seinem Krisendiktat Europa nicht nur sozioökonomisch, sondern auch politisch ruiniert hat (Der Zerfall des deutschen Europa). Damit schreitet Berlin den Bereits eingeschlagenen Weg weiter voran, der den krisengeschüttelten europäischen Kontinent in die Postdemokratie führt (Willkommen in der Postdemokratie).

Selbst die bescheidenen Mindeststandards bürgerlicher Demokratien werden in der Eurokrise von Berlin geschleift, um das kurzfristige bornierte nationale Durchzusetzen. Mittels des ESM würde Schäuble somit tatsächlich direkte Zugriffsmöglichkeiten auf den Kernbereich staatlicher Souveränität von Eurostaaten, auf die Haushaltspolitik, erhalten.