Der paneuropäische Haushaltsdiktator
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Finanzminister Schäuble arbeitet daran, Berlin die Kontrolle über die Haushaltspolitik der EU-Staaten zu verschaffen
Wieder mal startet die Bundesregierung einen Vorstoß, um die ökonomische Dominanz der Bundesrepublik in Europa mit zusätzlichen politischen Interventionsmöglichkeiten im gemeinsamen Währungsraum anzureichern. Deswegen wünschte sich Bundesfinanzminister Schäuble einen europäischen "Haushaltswachhund mit Zähnen", wie es das Wall Street Journal (WSJ) formulierte.
Kontrolle über den Euro-Rettungsfonds
Mitte Oktober initiierte Schäuble einen abermaligen Versuch, die direkte Kontrolle über den Kernbereich der staatlichen Souveränität der EU-Länder - die Haushaltsplanung - zu erlangen. Diesmal soll es der Euro-Rettungsfonds ESM sein, der stärker dafür genutzt werden solle, Haushaltsentwürfe von Eurozonen-Ländern zu kontrollieren, wie die FAZ erläuterte. Schäuble sei der Ansicht, dass die EU-Kommission hierzu nicht länger geeignet sei.
Dahinter steckt natürlich die Weigerung der EU-Kommission, sich allen Weisungen Schäubles unverzüglich zu fügen. Der deutsche Finanzminister nimmt es den obersten Brüssler Bürokraten immer noch übel, dass sie den Krisenländern Spanien und Portugal in diesem Jahr keine Strafzahlungen verpassten, nachdem sie die europäischen Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts mal wieder überschritten haben.
Zur Erinnerung: Die EU-Kommission hat ab 2013 umfassende Vollmachten zur Haushaltsüberwachung der Eurostaaten erhalten, wobei sie inzwischen sogar Strafzahlungen gegen Haushaltssünder verhängen kann. Die EU-Kommission ist hierzu aber nicht verpflichtet. Die Verhängung von Strafgeldern bleibt im Ermessensspielraum der Kommission.
Und wer hat diese gar nicht mal so alten Regeln durchgesetzt? Selbstverständlich sind diese Vorgaben auf Druck Berlins eingeführt worden, um das Spardiktat besser umsetzen zu können, das die Bundesregierung der Eurozone oktroyierte. Der damalige Verhandlungssieg Berlins war aber nicht vollkommen.
Die 2013 in Kraft getretenen Regelungen zur Haushaltskontrolle wurden im Zuge erbitterter Auseinandersetzungen zwischen den Euroländern festgelegt: Deutschland wollte automatische Strafzahlungen bei der angestrebten Haushaltskontrolle durch die EU-Kommission, während die Mehrheit der Eurostaaten sich gegen jedwede Einschränkungen ihrer staatlichen Souveränität sperrte. Als Kompromiss kam man darin überein, die Strafzahlungen zu einer politischen Ermessensfrage der Kommission zu machen.
"Alle haben sich an die Regeln zu halten"
Europas Krisenpolitik wird somit von einem innereuropäischen, nationalen Machtkampf geformt - wobei der Krisengewinner BRD tendenziell am längeren Hebel sitzt. In der EU-Bürokratie tobt somit immer ein Kampf zwischen deutschen Sparkommissaren, die ihren Sparfetisch ausleben wollen, und südeuropäischen Keynesianern, die den Krisenländern konjunkturelle Impulse verschaffen wollen.
Sobald Deutschlands oberster Haushaltswächter das Gefühl hat, eine Institution oder die Regeln der Eurozone nicht mehr vollauf kontrollieren zu können, fordert er neue Institutionen oder Regelungen, um die Kontrolle über die Europäische Krisenpolitik zu verstärken. Dies wird dann - im bewährten schäublerischen Neudenk - als regelkonformes, prinzipientreues Verhalten bezeichnet. Die Eurozone könne nur funktionieren, wenn "sie Regeln hat und diese Regeln auch befolgt werden", zitierte das WSJ den deutschen Finanzminister.
Alle haben sich an die Regeln zu halten, die Schäuble höchstselbst entlang der aktuellen deutschen Interessenlage immer wieder neu festlegt. Dies ist eine verquere Logik, die perfekt zum Exportüberschussweltmeister Deutschland passt (Der Exportüberschussweltmeister), dessen Konjunktur auf Exportüberschüssen und somit auf Schuldenexport beruht - und dessen Öffentlichkeit sich prompt über die durch diese Politik fabrizierten Schuldenberge im Ausland empört.
Deutschland ist also mit der Art und Weise, wie in Brüssel die neuen Regeln befolgt, unzufrieden, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) ausführte:
Die Bundesregierung merkt seit längerem an, dass sie es für falsch hält, wenn die Europäische Kommission ihren politischen Spielraum bei der Bewertung der Haushaltslage von Euro-Ländern aus ihrer Sicht zu weit dehnt. Erst recht, wenn es darum geht, die Lage in Krisenländern zu bewerten, die sich vorübergehend mit Krediten aus dem Euro-Rettungsfonds ESM finanzieren. Auch die Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Bewertung der Krisenländer stand wegen möglicher Interessenkonflikte in der Kritik.
Auf gut Deutsch: Die bislang von Berlin durchgesetzten Regelungen reichen Berlin noch nicht aus, da die EU-Kommission ihren Ermessensspielraum ausnutzt und das schäublerische Spardiktat nicht rücksichtslos genug durchsetzt. Und wie sehen nun die neuen Regeln aus, die Schäuble - in Kooperation mit dem unvermeidlichen Jens Weidmann von der Bundesbank - der deutschen Eurozone verpassen möchte?
Vorstoß der Bundesbank: ESM als "Währungsfonds"
Während Schäuble die EU-Kommission kritisierte, lancierte die Bundesbank ihren Vorschlag einer abermaligen Regeländerung in der Eurozone: Der Euro-Rettungsfonds ESM solle weiter "gestärkt" werden, indem diesem die Kompetenzen und Aufgaben der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank EZB übertragen werden, mit der sich ja Berlin im Dauerstreit befindet.
Dieser Vorstoß Schäubles und der Bundesbank würde die europäischen Institutionen schwächen und die Verantwortung für Entscheidungen über die europäische Währungspolitik wieder "nationalen Regierungen" übertragen. Der ESM würde so zu de facto zu "einem Europäischen Währungsfonds" ausgebaut, so die SZ. Und eben dies ist schon eine alte Idee Schäubles von 2010, die er aber damals noch nicht durchsetzen konnte.
Neben einer stärkeren Haushaltskontrolle samt verbindlichen Strafzahlungen für "Schuldensünder" soll der ESM die konjunkturelle Entwicklung, sowie "Schuldentragfähigkeit" der europäischen Krisenländer ermitteln, um hieraus den "konkreten Finanzbedarf zu ermitteln". Im Klartext: Der schäublerische ESM soll den gewählten Regierungen der Eurozone konkrete haushaltspolitische Vorgaben machen, sowie praktischerweise die Umsetzung dieser Programme überwachen.
"Der ESM würde die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen", so zitierte die FAZ Schäuble. Deswegen arbeitet Schäuble derzeit unter Hochruck daran, die entsprechenden Regeln für sich maßzuschneidern.
Bislang hat die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission diesen Drecksjob übernommen, den Deutschlands Finanzminister nun im ESM dauerhaft institutionalisieren und unter seine Kontrolle bringen will. Die Bundesbank und das Finanzministerium wollen somit die EU-Institutionen auch formell entmachten, die in der Krise ohnehin zu reinen europäischen Fassaden verkamen, hinter denen knallharte nationale Konflikte toben.
Laut SZ begründen Schäuble und Weidmann ihren Vorstoß mit der Tatsache, dass die "Eigentümer des ESM", die europäischen Nationalstaaten, die Kredite für die Krisenländer zu Verfügung stellten. Im Klartext: Wer zahlt, der hat das Sagen.