Der schmutzige Gipfel
Beim Europäischen Rat in Brüssel haben die EU-Oberen wieder einmal tief in die Trickkiste gegriffen
Weshalb der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag als Erfolg gefeiert wird, wissen nur die Teilnehmer selbst: Das Konjunkturpaket beseitigt nur Symptome, nicht aber Ursachen der aktuellen Krise; die zumindest verbal existierende Klimapolitik wird aufgeweicht und der Lissabonner Vertrag durchgesetzt - mit Ködern für die irische Bevölkerung und Abstrichen am Abkommen selbst.
Eine "wirklich historische" Übereinkunft hätten die EU-Spitzen erzielt, meinte der französische Präsident und amtierende Ratsvorsitzende Nicolas Sarkozy am Freitag in Brüssel. Dabei haben die 27 Staats- und Regierungschefs - wieder einmal - keinen Grund, auf ihre Beschlüsse stolz zu sein. Abgesehen davon, dass so ganz nebenbei eine weitere Runde der Militarisierung der Gemeinschaft eingeleitet wurde, blieb die Brüsseler Runde insbesondere bei der Verminderung des Kohlendioxidausstoßes weit hinter den Erwartungen - und den Notwendigkeiten - zurück. Der verabschiedete europäische Klimaplan sieht vor, die CO2-Emission in der Union bis zum Jahr 2020 um ein Fünftel gegenüber 1990 zu senken. Das soll durch deutliche Energieeinsparungen und die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien geschehen.
Im kommenden Frühjahr will die EU mit einem weltweiten Klimaschutzabkommen das Ziel sogar auf 30 Prozent setzen. Beitragen soll dazu auch der ab 2013 verschärfte Emissionshandel, nach dem Unternehmen für "Verschmutzungsrechte", die über den staatlich vorgegebenen Rahmen hinaus gehen, zur Kasse gebeten werden. Dass es dabei jedoch gerade für die größten Dreckschleudern umfangreiche Sonderregelungen gibt, mag man in der Öffentlichkeit nur ungern sagen.
Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder der BUND sehen daher die "historische Übereinkunft" ganz anders: "Die Klimaziele der EU sind nun in Frage gestellt", meinten mehrere Gruppierungen in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Die EU habe ihre bisherige Zusage, die eigenen CO2-Minderungsziele im Falle eines internationalen Abkommens von derzeit minus 20 auf minus 30 Prozent anzuheben, relativiert, indem sie ein neues Gesetzgebungsverfahren dafür ankündige. Die EU-Staaten könnten rund zwei Drittel ihrer Emissionsminderungen durch Zukauf von Verschmutzungsrechten aus dem Ausland erbringen. Dies beschränke das bisherige Minderungsziel so weit, dass ein klimafreundlicher Umbau der Wirtschaft nun ausbleibe. Gerade dass Osteuropa Emissionsrechte für seine Kohlemeiler weitgehend kostenlos erhalte und die energieintensive Industrie nahezu komplett von der Versteigerung der CO2-Zertifikate ausgenommen würde, führt den Klimaschutz ad absurdum.
Ähnlich sieht es mit dem Konjunkturpaket aus. Die auf 200 Milliarden Euro abgespeckte Finanzhilfe, für die die EU-Kommission noch konkrete Vorschläge vorlegen muss, kann die weitere Verschärfung der Finanz- und Wirtschaftskrise kaum aufhalten. Zumal es an deren eigentlichen Ursachen, der Deregulierung der Finanzmärkte, der einseitigen monetaristischen Orientierung der EU-Finanzpolitik und vor allem der Anhäufung von liquidem Kapital in wenigen Händen keinerlei Abstriche gab. Ganz im Gegenteil. Der Lissabonner Vertrag, der diesen Kurs zur Richtschnur für die EU macht, ist auf dem Brüsseler Gipfel seiner Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten einen großem Schritt näher gekommen: Irland hat sich bereit erklärt, ein zweites Referendum durchzuführen.
Dazu hatten die EU-Oberen wieder einmal tief in die Trickkiste gegriffen. Zwar hatte ausgerechnet Charlie McCreevy seine Landsleute gegenüber der Kritik aus der Brüsseler Europa-Zentrale und aus europäischen Hauptstädten in Schutz genommen. "Die Iren haben Nein zum Vertrag von Lissabon gesagt. Und diese Entscheidung muss auch von unseren europäischen Partnern respektiert werden", hatte der von der grünen Insel stammende Politiker in einem Interview mit dem Magazin Hot Press am Freitag vor einer Woche erklärt. Das Pikante daran: McGreevy ist nicht nur ehemaliger irischer Finanzminister, sondern sitzt für das Land als Binnenmarkt-Kommissar in Brüssel und müsste daher auf eine schnelle Ratifizierung des neuen EU-Vertrags drängen.
Wirtschaftskrise könnte die Iren zu einem Ja bewegen
So richtig ernst gemeint war der Vorstoß von McGreevy natürlich nicht - und nach dem Gipfel hörte man von dem Kommissar nichts mehr, was auf eine Achtung der demokratischen Entscheidung der Iren schließen ließe. Zumal die "Respektierung des Nein" für McGreevy wie die Dubliner Regierung vor allem hieß, die EU-Partner sollten Sonderregelungen für die Insel billigen. Schon die Volksabstimmung über den bisher gültigen Nizza-Vertrag brachte erst im zweiten Anlauf - und nachdem für Irland Ausstiegsklauseln aus der gemeinsamen Sicherheits- und Steuerpolitik genehmigt wurden - die Zustimmung der Bevölkerung. Seit dem Nein der Iren zum Lissabonner EU-Vertrag - Mitte Juni hatten 53,4 Prozent der Bevölkerung das Dokument abgelehnt - hatten Brüssel und die EU-Regierungen nach einer Lösung gesucht, wie das Abkommen doch noch in Kraft gesetzt werden könnte. Nach Artikel 6 der Schlussbestimmungen tritt der Vertrag am 1. Januar 2009 in Kraft - allerdings nur, wenn bis zu diesem Zeitpunkt alle Ratifikationsurkunden hinterlegt worden sind. Ende November hatte der Reformvertrag im schwedischen Parlament eine deutliche Mehrheit bekommen - damit ist "Lissabon" in 25 von 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert.
Seit Monaten kamen Forderungen aus Brüssel, Dublin solle erklären, wie es nun vorgehen wolle. Ursprünglich war die "Anhörung" bereits für den letzten EU-Gipfel Mitte Oktober geplant. Seinerzeit hatte Irlands Außenminister Micheál Martin die Brüsseler Runde aber kurzfristig versetzt: "Im Dezember dürften wir in der Lage sein, etwas Genaueres zu sagen und die nötigen Schritte auf dem Weg zu unserem Ziel eines vollständigen Engagement in der Union zu skizzieren", hatte Martin seine EU-Partner auf den jüngsten Gipfel vertröstet. Dabei dürfte sich die Situation kaum geändert haben. Zumal sich mit der ersten Rezession in dem Land seit 25 Jahren und der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise die Sorge der Iren vor Sozialabbau und ungezügelter Marktwirtschaft, für die der Lissabonner Vertrag nach ihrer Ansicht die rechtlichen Grundlagen schafft, weiter gewachsen ist. Anfang des Monats meldete die irische Statistikbehörde eine Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent - der höchste Wert seit zehn Jahren.
Makabererweise ist es nun wiederum eine Krise, die einem Ja zum Durchbruch verhelfen könnte. Seit dem Sommer - und damit nach der ersten Abstimmung - hat sich die wirtschaftliche und soziale Situation in Irland nochmals kräftig verschärft. Trotz der Ablehnung des Lissabon-Vertrags ist vielen Iren aber gut im Gedächtnis, dass das einst rückständige Land nicht zuletzt dank massiver Subventionen zu einem Musterknaben aufgepäppelt wurde (das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stieg allein zwischen 1988 und 1999 von 64 auf 119 Prozent des EU-Durchschnitts). Jüngsten Umfragen zufolge wären derzeit nur noch 39 Prozent der Iren strikt gegen das Reformwerk. 43 Prozent würden zustimmen - wenn die genannten Bedingungen erfüllt seien. Voraussichtlich im Oktober kommenden Jahres soll ein zweites Referendum stattfinden.
Neben der sozialen Frage war für viele Iren auch die Furcht vor einer Souveränitätsabgabe an Brüssel für das Nein ausschlaggebend. Die Veröffentlichung diverser Ausnahmeregelungen, die am vergangenen Wochenende die Irish Times in einer ganzen Serie von Texten noch einmal auflistete, war wohl eher für die EU-Partner als für die Iren selbst gedacht. So sollten die irische Außen- und Verteidigungspolitik sowie das Steuersystem unabhängig bleiben und Irland weiter über einen Kommissar in Brüssel verfügen. Gerade letzteres aber war der kritischste Punkt, stellt das Verlangen doch eine zentrale Reformklausel des Lissabonner Vertrags in Frage. Dort war festgelegt worden, dass ab 2014 rotierend nur noch zwei Drittel der Mitgliedstaaten einen Kommissarsposten bekommen. Dass in Brüssel nun dieser Forderung zugestimmt wurde und alle Staaten weiter einen Kommissarsposten behalten sollen, zeigt, wie wichtig der EU die neoliberale Weichenstellung mit dem Lissabonner Vertrag ist. Charlie McCreevy dürfte mit diesem Ausgang des Gipfels sehr zufrieden sein.