Der verschwiegene Rassismus der Philosophen
Luther, Kant, Heidegger - die Liste der rassistischen und antisemitischen Philosophen ist erschreckend lang. Ebenso erschreckend ist, dass der Rassismus der Denker noch immer totgeschwiegen wird
Martin Heideggers Philosophie ist "bis in ihre innersten Zellen faschistisch", schrieb Theodor W. Adorno. Genau an diesem Urteil scheiden sich noch immer die Geister. Heideggers "Schwarze Hefte", die nun im Februar und März 2014 in drei Bänden erscheinen und etliche Notizen Heideggers aus den Jahren 1913 bis 1975 enthalten, haben die Debatte wieder neu belebt.
Für den Philosophen Peter Trawny, Herausgeber der Schwarzen Hefte, steht fest, dass die Notizen Heideggers antisemitisch sind. So schreibt Heidegger unter anderem in diesen Heften:
Eine der verstecktesten Gestalten des Riesigen und vielleicht die älteste ist die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens, wodurch die Weltlosigkeit des Judentums gegründet wird.
Martin Heidegger
Dennoch muss man in der FAZ und anderen konservativen Blättern lesen, dass Heidegger ja gar nicht so rassistisch sei und dass er lediglich das "Weltunglück im Allgemeinen" bedauert habe. Es ist eine riesengroße Schande, dass immer noch versucht wird, dem Nazi Heidegger einen Persilschein auszustellen.
Dabei ist Heidegger keineswegs ein Einzelfall: Viele der hochgejubelten deutschen Denker und Philosophen hegten einen unverblümten Antisemitismus und Rassismus. Um diesen Tatbestand nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hier eine kurze Liste aus dem dunklen Kapiteln der "deutschen Ideengeschichte":
Martin Luther (1483-1546) zählt zweifelsohne zu den schlimmsten Judenhassern. Der vielbejubelte Urheber der Reformation schrieb in Von den Juden und ihren Lügen (1543), dass die Juden für "1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen" seien. Anschließend fügte er hinzu:
Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, das wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein […] sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.
Martin Luther
Luther forderte die protestantischen Fürsten schriftlich dazu auf, dass sie sämtliche Synagogen niederbrennen und die Häuser der Juden zerstören sollen, um sie dann wie "Zigeuner" in Ställen wohnen zu lassen. Zudem solle man ihnen alles Hab und Gut entreißen und die jungen Männer zu körperlicher Arbeit zwingen. Am besten aber solle man sie gleich vertreiben: "Drum immer hinaus mit ihnen!", so Luther.
Während des Eichmann-Prozesses 1961 berief sich der SS-Obersturmbahnführer und Mit-Organisator der Shoa, Adolf Eichmann, mehrfach auf den Philosophen Immanuel Kant. Eichmann behauptete, er habe aus reiner Pflicht gehandelt und sei deshalb unschuldig - was aus Sicht der Ethik Kants natürlich absurd ist. Dennoch befindet sich Eichmann bei Kant in bester rassistischer Gesellschaft:
Immanuel Kant (1724-1804) vereint in sich ebenfalls einen traditionellen Antijudaismus wie auch einen modernen Antisemitismus. Kant bezeichnete die Juden als eine "Nation von Betrügern" und als "Vampyre der Gesellschaft"; außerdem unterstellte ihnen eine "Gemüthsschwäche im Erkenntnißvermögen". Im Anschluss betonte Kant, der bis heute als größter Denker der Aufklärung gefeiert wird: "Die Euthanasie des Judentums ist die reine moralische Religion." Vom Rassismus durchtränkt glaubte der Philosoph auch an eine Hierarchie der Menschen:
Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. […] Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.
Immanuel Kant
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) war in seinem Denken stark von Kant beeinflusst. Und auch der Antisemitismus Kants ist auf ihn übergesprungen, wenn Hegel behauptet: "Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele." Und in Hegels vielgelesener Phänomenologie des Geistes (1807) muss man folgendes vernehmen:
Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermordet, von seinen Göttern endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden musste.
GWF Hegel
Nicht nur gegen die Juden wetterte Hegel, sondern auch gegen andere Menschengruppen. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1837) schrieb Hegel:
Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. […] Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden." Und den afrikanischen Kontinent beschreibt Hegel als "Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichten in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist. […] Bei den Negern ist […] ist Charakteristische gerade, dass ihr Bewusstsein noch nicht zur Anschauung irgendeiner festen Objektivität gekommen ist.
GWF Hegel
Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) war ebenfalls durch und durch rassistisch eingestellt. Kein Wunder, dass führende NS-Ideologen wie z.B. Alfred Rosenberg sich häufig auf ihn beriefen. Fichte schrieb in seinem Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution (1793):
Fast durch alle Länder Europas verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen im beständigen Kriege steht, und der in manchen fürchterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judenthum. Ich glaube nicht, und ich hoffe es in der Folge darzuthun, daß dasselbe dadurch, daß es einen abgesonderten und so fest verketteten Staat bildet, sondern dadurch, daß dieser Staat auf dem Haß des ganzen menschlichen Geschlechts aufgebaut ist, so fürchterlich werde.
Derjenige Jude, der über die festen, man möchte sagen, unübersteiglichen Verschanzungen, die vor ihm liegen, zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht, ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe. Nur verkaufe man mir nicht schönen Schein für Realität! […] Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen; denn sie sind Menschen, und ihre Ungerechtigkeit berechtigt uns nicht, ihnen gleich zu werden. […] - Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.
Johann Gottlieb Fichte
Die Liste der antisemitischen und rassistischen Philosophen und Denker ließe sich endlos fortsetzen. So schrieb ein weiterer Vertreter der "Aufklärung", Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), "der Jude ist ein unersättlicher, habgieriger Betrüger, besessen von einem skrupellosen Handels- und Schachergeist". Auf französischer Seite sieht es nicht gerade besser aus: Auch die vermeintlich weltoffenen "Aufklärer" Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Denis Diderot (1713-1784) und Voltaire (1694-1778) waren durchweg antisemitisch, letzterer betitelte die Juden als "Abschaum der Menschheit", "betrügerische Wucherer" und "diebische Geldverleiher".
All diese Denker werden bis heute bejubelt und befeiert - sei es in den bürgerlichen Feuilletons, sei es, dass man zig Straßen nach ihnen benennt und ihnen zu Ehren Gedenk-Briefmarken drucken lässt. Selbst in guten Lexika oder Standardeinführungen zur Philosophie liest man nur äußerst selten ein Wort über den Rassismus deutscher Denker und Dichter. Das trifft auch auf das gerade vergangene "Richard-Wagner-Jahr 2013" zu, als der 200. Geburtstag des Komponisten allerorts gefeiert wurde.
Richard Wagner (1813-1883) schrieb in seinem Aufsatz Das Judenthum in der Musik (1850) über "das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen der Juden für uns hat". Und er fügt hinzu:
Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert.
Richard Wagner
Wagner richtet seine Schlussworte an die Juden: "Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, - der Untergang!"
In einem Brief an König Ludwig II notiert Wagner am 22. November 1881, er halte "die jüdische Rasse für den geborenen Feind der Menschheit und alles Edlen in ihr: daß namentlich wir Deutschen an ihnen zugrunde gehen werden, ist gewiß, und vielleicht bin ich der letzte Deutsche, der sich gegen den bereits alles beherrschenden Judaismus als künstlerischer Mensch aufrechtzuerhalten wußte."
Warum verliert man hierzulande kaum ein Wort über den weitverbreiteten Rassismus der Philosophen und Denker? Stattdessen werden sie auf einen Thron erhoben. Die Vorbereitungen für das "Martin-Luther-Jahr 2017", in dem 500 Jahre Reformation und Thesenanschlag gefeiert werden, laufen bereits. Auch hier wird es wohl ähnlich ablaufen wie bei Wagner, Kant (200. Todestag im Jahr 2004) und Co.: Kein Wort über die rassistischen Schattenseiten der ach so strahlenden Denker.
Bei Martin Heidegger (1889-1976) sieht die Lage etwas anders aus. Zwar versuchen etliche Schreiberlinge, Heidegger einen Persilschein auszustellen. Doch die harten Fakten zeigen schon stichpunktartig - und vor der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte -, dass Heidegger keine weiße Weste hat:
- In seiner Philosophischen Autobiographie (1977) berichtet Karl Jaspers rückblickend, dass Heidegger vor einer "gefährlichen internationalen Verbindung der Juden" warnte - eine Aussage, die von Heidegger-Anhängern oft angezweifelt wird. Doch dem Zeugnis Japsers' darf man sicherlich glauben, denn:
- Schon 1916 schrieb Heidegger: "Die Verjudung unserer Kultur u. Universitäten ist allerdings schreckerregend u. ich meine die deutsche Rasse sollte noch soviel innere Kraft aufbringen um in die Höhe zu kommen."
- In einem Brief vom 2. Oktober 1929 notiert Heidegger: "Was ich in meinem Zeugnis nur indirekt andeuten konnte, darf ich hier deutlicher sagen: es geht um nichts Geringeres als um die unaufschiebbare Besinnung darauf, daß wir vor der Wahl stehen, unserem deutschen Geistesleben wieder echte bodenständige Kräfte und Erzieher zuzuführen oder es der wachsenden Verjudung im weiteren u. engeren Sinne endgültig auszuliefern."
- Bereits im Jahr 1932 wählte Heidegger die NSDAP; am 1. Mai 1933 trat er offiziell der NSDAP als Mitglied bei - und blieb es freiwillig bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach seinem Eintritt in die NSDAP schrieb er an seinen Bruder Fritz: "Du darfst die ganze Bewegung nicht von unten her betrachten, sondern vom Führer aus und seinen großen Zielen. Ich bin gestern in die Partei eingetreten nicht nur aus innerer Überzeugung, sondern auch aus dem Bewußtsein, daß nur auf diesem Wege eine Läuterung und Klärung der ganzen Bewegung möglich ist."
- Schon kurz zuvor, am 21. April 1933, war Heidegger Rektor der Universität Freiburg geworden. In seiner Rektoratsrede vom 27. Mai 1933 mit dem Titel Die Selbstbehauptung der Deutschen Universität faselt Heidegger von einer "Verpflichtung zur geistigen Führung" und fügt hinzu: "Die geistige Welt eines Volkes ist nicht der Überbau einer Kultur, sowenig wie das Zeughaus für verwendbare Kenntnisse und Werte, sondern sie ist die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins."
- Am 3. Oktober forderte Heidegger in seiner Rede zum Semesterbeginn von seinen Studenten: "Nicht Lehrsätze und 'Ideen' seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz."
Heidegger trat am 27. April 1934 vom Amt des Rektors zurück, aber nicht, weil er die NS-Hochschulpolitik nicht mehr mittragen wollte - wie er nach 1945 behauptete, um sich reinzuwaschen -, sondern weil ihm die NS-Politik nicht weit genug ging. Heidegger wollte die deutschen Universitäten konsequent nach dem Führerprinzip umgestalten und plante eine zentrale Dozentenakademie in Berlin.
Nach dem Zweiten Weltkrieg distanzierte sich Heidegger, der inzwischen ein Lehrverbot hatte, mit keiner Silbe von seiner NS-Ideologie. Da hilft es auch nichts, dass sich die jüdische Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) für ihren Doktorvater und ehemaligen Geliebten Heidegger stark machte und ihn für seine NS-Gesinnung zu entschuldigen versuchte.
Apropos Hannah Arendt (1906-1975): Letztes Jahr erschienen mehrere Bücher über die Denkerin, zudem kam der gleichnamige Film in die Kinos. Kein Wort jedoch verlor man darüber, dass Arendt massiv dagegen protestierte, dass in den USA schwarze und weiße Kinder zusammen unterrichtet werden sollen.
In ihrem Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) behauptet Arendt, dass die "Neger" selbst mitschuldig seien am Rassismus, denn die "Rassen" Afrikas und Australiens zeugten von einer "katastrophenhaften Einförmigkeit ihrer Existenz" und seien "bis heute die einzigen ganz geschichts- und tatenlosen Menschen, von denen wir wissen, [... ] die sich weder eine Welt erbaut noch die Natur in irgendeinem Sinne in ihren Dienst gezwungen haben".
Sie fährt fort:
Der biblische Mythos von der Entstehung des Menschengeschlechts wurde auf eine sehr ernste Probe gestellt, als Europäer in Afrika und Australien zum erstenmale mit Menschen konfrontiert waren, die von sich aus ganz offenbar weder das, was wir menschliche Vernunft, noch was wir menschliche Empfindungen nennen, besaßen, die keinerlei Kultur, auch nicht eine primitive Kultur, hervorgebracht hatte, ja, kaum im Rahmen feststehender Volksgebräuche lebten und deren politische Organisation Formen, die wir auch aus dem tierischen Gemeinschaftsleben kennen, kaum überschritten. […] Hier, unter dem Zwang des Zusammenlebens mit schwarzen Stämmen, verlor die Idee der Menschheit und des gemeinsamen Ursprungs des Menschengeschlechts, wie die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes sie lehrt, zum ersten Mal ihre zwingende Überzeugungskraft, und der Wunsch nach systematischer Ausrottung ganzer Rassen setzte sich um so stärker fest.
Hannah Arendt
Arendt behauptet hier, dass die Menschen selbst schuld seien, wenn sie rassistisch unterdrückt und angegriffen werden. Mit diesem verqueren Denken könnte man natürlich auch Heidegger entschuldigen. Aber natürlich ist das absurd. Schuldig sind die Rassisten und Antisemiten selbst. Deren "Traditionslinie" ist in der deutschen Ideengeschichte erschreckend lang und konsequent. Es ist an der Zeit, dass der Rassismus von Luther über Kant bis Wagner offen thematisiert wird. Und dass Heidegger als das bezeichnet wird, was er zweifelsohne war: ein Antisemit.
Patrick Spät lebt als freier Journalist und Autor in Berlin.
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