Deutsche Dschihadisten in Nordsyrien gefangen
Die SDF fordern die Bundesrepublik auf, ihre Dschihadisten nach Hause zu holen
Die Tage des sogenannten Islamischen Staates (IS) scheinen gezählt. Immer mehr IS-Anhänger ergeben sich den Syrian Democratic Forces (SDF) in Nordsyrien, darunter auch zahlreiche Deutsche. In einem Filmbericht des Weltspiegel am Sonntagabend wird von mehr als 60 Deutschen und ihren Kindern gesprochen. Reporter vom NDR und SWR reisten nach Nordsyrien in die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien, um mit einem inhaftierten deutschen IS-Terroristen zu sprechen.
Fared S. (29) lebte in Bonn, bevor er sich 2014 dem IS anschloss. Fared S. wurde in Deutschland durch ein Propagandavideo des IS bekannt, wo er vor 90 Leichen syrischer Soldaten und Mitarbeitern eines Gasfeldes posierte. Vor einem Jahr wurde er auf der Flucht in die Türkei von den kurdischen Einheiten YPG geschnappt. Der Schlepper, der ihn in die Türkei bringen sollte, hatte ihn verraten. S. arbeitete zunächst wegen seiner Sprachkenntnisse an der türkischen Grenze und nahm die Dschihadisten aus der Türkei in Empfang. Wegen des Videos wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen, er galt als der meistgesuchte deutsche IS-Terrorist.
Am 31. Januar nahmen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) einen 28-jährigen Sachsen fest, der für den Dschihadisten-Geheimdienst Amniyat tätig gewesen sein soll. Markus L. war mit seinen drei Ehefrauen aus der Provinz Deir el-Zor in ein Lager nahe der irakischen Grenze geflohen.
Die beiden deutschen Ehefrauen Leonora (19) und Sabina (34) gaben gegenüber AFP an, L. hätte nicht an Kämpfen teilgenommen, sondern hauptsächlich als Techniker für den IS gearbeitet. Andere Medien berichteten dagegen, er habe der IS-Religionspolizei Hisba und später dem Dschihadisten-Geheimdienst Amniyat angehört und sei als Folterer dort hervorgetreten. Leonora kam mit 15 Jahren zum IS nach Syrien, heiratete dort Markus L. und lebte die meiste Zeit über in Rakka.
In Sachsen ist vor allem die Muslimbruderschaft sehr aktiv, die bekannt ist für ihre radikal-islamistischen Ziele und deren prominenter Anhänger der türkische Präsident Erdogan ist. In sechs Monaten hat die Muslimbruderschaft unter dem Namen "Sächsische Begegnungsstätte" neun Standorte erworben und breitet sich nun auch in Thüringen und Brandenburg aus.
Die SDF fordern u.a. die Bundesrepublik auf, ihre Dschihadisten nach Hause zu holen, jedoch sind die Herkunftsländer kaum daran interessiert, sich die damit verbundenen Probleme nach Hause zu holen. Etwa 2.700 Dschihadisten aus 46 Ländern befinden sich derzeit in den Gefängnissen der nord-ostsyrischen Selbstverwaltung, mehr als 800 stammen aus westlichen Staaten. Lediglich Indonesien, Russland, Marokko und der Sudan stellten bislang Auslieferungsanträge bei der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien.
Keine Garantien im Falle eines türkischen Angriffs
Der außenpolitische Sprecher der PYD, Salih Muslim, wies zudem auf die Gefahr hin, die bei einem möglichen Einmarsch der Türkei drohe: "Wenn die türkischen Truppen die Lager erreichen, in denen die IS-Kämpfer inhaftiert sind, dann können wir nicht garantieren, dass diese Gefangenen nicht von den Türken freigelassen werden." Muslim forderte auch die Vereinten Nationen zu Handeln auf. Erst vor wenigen Tagen gab die YPG bekannt, dass in Hajin bei Deir ez-Zor acht IS-Dschihadisten aus Deutschland, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan, der Ukraine, Russland und den USA festgenommen wurden.
"Feige Prinzipienlosigkeit" nennt der österreichische Standard das Verhalten der europäischen Staaten: "900 IS-Kämpfer aus der EU könnten also bald von islamistischen Milizen befreit werden und untertauchen. Dann sind sie wohl mehr unser Problem als das der Kurden. Denn diese Menschen wurden nicht im Nahen Osten radikalisiert, sondern in Europa. Sie waren schon Islamisten, als sie in den Kampf zogen. Ihre Netzwerke haben sie hier."
Die Bundesstaatsanwaltschaft ermittelt zwar derzeit gegen 15 weitere deutsche Dschihadisten wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", die in Nordsyrien inhaftiert sind, darunter auch der deutsche Staatsbürger aus Dortmund, Lucas G. (31), unternimmt aber bislang keine Anstrengungen, eine Auslieferung zu erwirken.
Frankreichs Innenminister hat nun zugesichert, 130 französische Dschihadisten in den nächsten Wochen zurückzuholen und strafrechtlich zu verfolgen, während die Bundesrepublik sich bisher weigert, offiziell diplomatischen Kontakt aufzunehmen, um die deutschen Kriegsverbrecher zurückzuholen.
Ebenfalls ins Netz ging der SDF der mutmaßliche irische IS-Terrorist Alexandr B., der sich unter fliehenden Zivilisten befand. Es wird vermutet, dass er IS-Schläferzellen aufbauen wollte. B. bestreitet eine Zugehörigkeit zum IS. Er hätte lediglich den Muslimen helfen wollen. Auf die Flucht begab er sich angeblich aufgrund der katastrophalen Versorgungslage der Bevölkerung am Ende der Herrschaft des IS, es hätte kein Mehl auf dem Markt gegeben, Fleisch sei unerschwinglich gewesen. Die Bevölkerung hätte Gras anstelle von Gemüse essen müssen.
IS fordert Fluchtkorridor in die Türkei
Die Tage des IS sind gezählt, obwohl er Zivilisten als lebendige Schutzschilde benutzt, was das Vorgehen der SDF erheblich verlangsamt. Trotzdem gelingt es den SDF, fast täglich viele Zivilisten vom IS zu befreien, darunter viele jesidische Frauen und Mädchen, die 2014 aus dem Shengal entführt und auf Sklavenmärkten verkauft wurden. Sehr eindrücklich schildert die heute vierzigjährige Bese Hemed Temir aus Shengal der Nachrichtenagentur ANHA ihr Martyrium, das stellvertretend für tausende Frauen steht.
Trotzdem sind mittlerweile die letzten Dschihadisten rund um das Dorf Bagouz eingekesselt. Daher fordert der IS, - wen wundert es - einen "Sicherheitskorridor" in die Türkei, um von dort aus nach Idlib zu gelangen. Die SDF lehnten dies ab. Die Forderung des IS bestätigt die von Salih Muslim geäußerten Befürchtungen, dass die Gefahr bestehe, bei einem Einmarsch der Türkei könnten die inhaftierten Dschihadisten freikommen.
Es wäre fahrlässig zu denken, dass mit der Befreiung der letzten Dörfer in Ostsyrien die Gefahr des IS gebannt wäre. Im Irak, in Syrien und in den türkisch besetzten Gebieten rund um Afrin und Idlib stehen islamistische Milizen, in die sich IS-Terroristen und al-Qaida-Mitglieder eingereiht haben, bereit, sich neu zu formieren.