Deutsche Militärunterstützung für die PKK und schiitische Milizen?
Verteidigungsministerin von der Leyen steigt in den Kampf gegen den "Islamischen Staat" ein
Es gibt eine kleine, aber beachtenswerte Unschärfe in der Meldung, wonach "Deutschland den Kurden im Irak doch mit Rüstungsgütern helfen will", die der Spiegel gestern nachmittag übermittelte. Im Bericht heißt es, dass die Verteidigungsministerin von der Leyen bereits "konkrete Lieferungen an die irakische Armee" prüfe. Das wirft die Frage auf, an wen nun das Militärmaterial genau adressiert ist, an die Kurden oder die irakische Armee? Wer denn jetzt nun eigentlich der Bündnispartner des Deals ist, wer profitiert davon und wie wirkt sich das auf die Machtverhältnisse aus, welche Partei wird da ergriffen, mit welchen Konsequenzen?
Immerhin die dramatische Entschlossenheit, die von der Leyen nun publikumswirksam demonstriert - "ihr Haus prüfe intensiv", "die Planungen laufen unter Hochdruck", "kaum jemand ist in die Pläne eingeweiht" etc. - bleibt, was die Dimension der geplanten militärischen Unterstützung angeht, auf dem deutschmöglichen Boden. Im Vergleich zu Forderungen, die in Frankreich oder Großbritannien aufkommen, gibt man sich mit Lieferversprechen zurückhaltend.
Die Lieferung tödlicher Waffen schließt die Verteidigungsministerin laut Spiegelbericht "zunächst" aus. Die Rede ist davon "alle Möglichkeiten ausnutzen, die uns zur Verfügung stehen". Konkret heißt das nach Informationen des Nachrichtenmagazins: die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen aus Bundeswehrbeständen, Minensuchgeräte oder auch Helme, Schutzwesten oder Sanitätsmaterial.
Mit solchen Zusagen riskiert die deutsche Regierung nicht viel und von der Leyen kann vor Kameras und im Scheinwerferlicht zeigen, dass Deutschland das Prinzip "mehr Verantwortung" - also mehr Beteiligung an Militäreinsätzen bzw. Unterstützung von Militäreinsätzen der westlichen Bündnispartner unter Führung der USA - ernst nimmt.
Die Einmischung der Deutschen in das Schlamassel an Euphrat und Tigris hat erstmal Zeichencharakter; sie wird angestoßen von Bildern des Exodus bedrohter religiöser Minderheiten (wozu nicht nur Jesiden und Christen zählen), die zu Zigtausenden zu Fuß durch die Wüste fliehen und in den Bergen auf Hilfe warten, bedroht von Todeschwadronen brutaler Glaubensfanatiker und dem Tod durch Verdursten.
Das brachte öffentlichen Druck, auf den Merkels Regierung seit jeher reagiert, um Publikumspunkte zu holen. So handelt jetzt von der Leyen und sammelt Pluspunkte für die deutsche Außenpolitik.
Die irakische Armee, Bastion schiitischer Milizen
Aber wen unterstützt man? Die irakische Armee? Mag sein, dass sich dies durch den neuen Premierminister al-Ebadi ändert, langfristig möglicherweise, wenn alles so gut geht, wie man sich das von einem mehr integrativ agierenden Regierungschef erhofft, aber gegenwärtig besteht die irakischen Armee in ihrem funktionstüchtigen Kern hauptsächlich aus schiitischen Milizen.
Viele Sunniten sind aus Frust gegenüber Malikis sektiererischen Bevorzugungen ausgestiegen. Zu beachten ist darüberhinaus, dass auch das Mosaik der unterschiedlichen schiitischen Gruppierungen bzw. Milizen innerhalb der irakischen Armee keinen homogenen Block bildet; es gibt Rivalitäten, die ihre Auseinandersetzungen mit Waffengewalt austragen und nicht zu vergessen, Milizen wie Asaib Ahl-Haq, die Iran eng verbunden sind und während der US-Besatzung gegen US-Truppen gekämpft haben. Wie auch die Miliz des Schiitenführers Muktada as-Sadr.
Gegenwärtig schafft der gemeinsame Feind, der islamische Staat und dessen Dschihadtruppen, neue, überraschende Zweckbündnisse - wie von der USA-Regierung kamen auch aus der iranischen Führung deutliche Signale, dass man sich einen anderen Premierminister als al-Maliki wünschte. Was dann auch von den iranischen "Proxies", den Badr-Brigaden u.a. aufgenommen und als Unterstützung für al-Ebadi ins Parlament weitergetragen wurde.
Lokale Agenden
Al-Ebadi unterhält auch gute Beziehungen zu den USA, er war zu Anfangszeiten der amerikanischen besatzung des Iraks Mitglied der Interimsregierung - man beachte zum Verhältnis USA-al-Ebadi den plakativ überzogenen, aber interessanten Regime-Change-Artikel, der von einem Journalisten, Eli Lake, verfasst wurde, der früher als Vertreter von Neocon-Positionen bekannt war.
Daran läßt sich ablesen, was alles in Bewegung geraten ist, wie Karten neu gemischt werden, als einigermaßen solider Schluss lässt sich daraus ziehen, dass Bündnisse ziemlich beweglich sind. Grob auf eine einfache Formel gebracht: die Einheiten, die der Westen politisch und mit Militärmaterial unterstützen will, wie die irakische Armee, sind bei näherer Betrachtung zusammengesetzt aus Machtfilialen. Sie folgen ihrer eigenen an lokalen Interessen gebundenen Agenda, die deutsche Politiker nicht gut kennen.
Dass der Irak zerfällt, ist ein Risiko, das derzeit eine höhere Wahrscheinlichkeit hat als der Erfolg integrativer Bemühungen. Sollte das viel zitierte "Momentum" weiter in die Richtung Auflösung tendieren, dann wäre auch ein Schiitenstaat im Süden ein politisches Ziel, das von Gruppierungen und Milizen mit größerer Vehemenz verfolgt wird.
Angesichts politischer Konstellationen, die sich aus dem Konflikt westlicher Bündnispartner mit Iran und der Partnerschaft mit Saudi-Arabien ergeben, sind Auseinandersetzungen nicht auszuschließen, in deren Folge aus Teilen der irakischen Armee wieder Gegner werden.
Aktuelle militärische Erfolge gegen den IS sind der PKK zu verdanken
Ist es ohnehin riskant, Waffen bzw. militärische Unterstützung in ein Krisengebiet zu liefern, so ist auch die Unterstützung der Kurden eine Positionierung mit Folgen. Liest man die Einschätzungen des Leiters der amerikanischen Militäroperationen, Lt. Gen. William Mayville, im Joint Chiefs of Staff des Pentagons an - hier und hier, so ist die Wirkung der US-Luftangriffe gegen die IS-Verbände begrenzt.
Die neuen Korridore, die für die Flüchtlinge aufgemacht wurden, und die Abwehr von Angriffen seitens der Dschihadisten, sind kurdischen Streitkräften zu verdanken, die mit der PKK verbunden sind. "The PKK took Mahmour", heißt es in einem Bericht von McClatchy, wo die Rolle der syrischen Kurden, die unter YPG firmieren, im Kampf gegen die IS-Kämpfer gebührlich herausgestellt wird.
Auf das Vorhaben des deutschen Verteidigungsministeriums bezogen, heißt das, dass aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Organisation von der militärische Unterstützung proftitieren wird, die von der EU, den USA, Großbritannien, der Türkei und dem Irak auf der Liste terroristischer Organsiationen geführt wird. Ein Kommandeur der PKK, der sich in Arbil aufhielt, kommentierte dies gegenüber McClatchy mit einem Lachen:
Es handelt sich um eine spezielle Situation und jeder ist klug genug, um zu wissen, dass wir nicht wie Daash (arabischer Name für die IS-Kämpfer, Einf. d. A.) sind. Wir kämpfen nur für eine kurdische Heimat und Freiheit für unser Volk. Wir sind nicht wie diese Tiere. Unsere Ziel ist gerade nur politisch.
Wie es den Anschein hat, sind die Regierungen im Westen, in den USA, in Großbritannien und in Frankreich, wo sich Außenmninister Fabius sehr für die Aufrüstung der Kurden stark macht, aus einem Dämmerschlaf erwacht und erkennen, was möglicherweise auch großen Teilen der Bevölkerung erst durch die Berichte über die verfolgten Jesiden und Christen klar wurde: Wie stark der Islamische Staat geworden ist (einen prägnanten Überblik liefert der britische Journalist Patrick Cockburn, hier auf Deutsch zusammengefasst und hier in Englisch).
Verständlicher Entschluss, unbegriffene Konflikt-Dynamik
So ist der Entschluss, jetzt Farbe zu bekennen und auf der guten Seite einzugreifen, einerseits verständlich, zumal man angesichts der Brutalitäten der IS leicht tut, einmal wieder deutlich Gut von Böse zu unterscheiden. Aber anderseits ziemlich riskant, weil damit der Krieg noch mehr geschürt wird.
Der Krieg gegen den Islamischen Staat findet auf einem Schauplatz statt, in dem viele konkrete Interessen auf dem Spiel stehen, die sich nicht schön nach Gut und Böse sortieren lassen und die die Unterstützer mithineinziehen. Auf einen einfachen, anschaulichen Dreisatz bringt das der Informed Comment von Juan Cole zu den Aussichten al-Ebadis:
Wenn al-Ebadi al Maliki aus dem Weg geräumt hat, muss er sich wahrscheinlich mit den Kurden gegen den Kalifen Ibrahim (Al-Baghadi) verbünden und versuchen, die Sunniten wieder für eine Kooperation zu gewinnen.
Danach wird er wahrscheinlich mit den Kurden in Konflikt geraten (Stichwort: Kirkuk).
Der Krieg ist keinesfalls zu Ende.
In dieser Situation aufrüsten? Noch sind es keine bestätigten Nachrichten, aber die Spatzen pfeifen längst vom Dach, dass die militärische US-Hilfe, die über die CIA an die Kurden geliefert wird, nicht nur aus leichten Waffen besteht. Eine ganze Zeit lang wurden zuvor Waffenlieferungen, die die US-Regierung nun eingesteht, verdeckt geleistet.
Die deutsche Militärhilfe besteht "zunächst" nicht aus tödlichen Waffen, so die Botschaft aus dem deutschen Verteidigungsministerium. Das Misstrauen, dass es dabei nicht bleibt, ist groß.
Dazu müssen nur die Rufe aus den USA lauter werden und der IS mehr Anhänger gewinnen und sich als schwieriger Gegner erweisen.