Deutschland: Abwanderungsland für Unternehmen

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Warum Deutschland als Industriestandort zunehmend unattraktiv wird und was helfen soll – wenn es die Lage nicht sogar noch verschlimmert.

Preisexplosionen im Energiebereich treiben den Mittelstand und die deutsche Industrie an den Rand der Insolvenz. Teilweise können sich die Betriebe nur noch mit drastischen Produktionsdrosselungen über Wasser halten. Deutschland ist der Deindustrialisierung gefährlich nahe (Folgt der Krise die Deindustrialisierung?). Und die Strategien, sie aufzuhalten, vermögen einige nicht recht zu überzeugen.

Licht am Ende des Tunnels ist vorerst nicht in Sicht. Darauf schwor die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, ihre Zuhörerschaft bei der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF, dem sie bis zu Ihrer Verurteilung wegen Veruntreuung als Direktorin vorstand) Mitte Oktober ein.

Das gilt in besonderem Maß für die deutsche Volkswirtschaft: Der IWF-Prognose zufolge weist sie im kommenden Jahr ein negatives Wachstum von 0,3 Prozent auf.

Der IWF-Bericht zeichnet folglich ein ebenso wenig erbauliches Szenario für Deutschland:

Besonders kalte Temperaturen oder eine unzureichende Verdichtung der Gasnachfrage in diesem Herbst könnten in Deutschland, der größten europäischen Volkswirtschaft, zu einer Energierationierung während des Winters führen, was drastische Auswirkungen auf die Industrie hätte, die Wachstumsaussichten des Euroraums stark beeinträchtigen würde und möglicherweise negative grenzüberschreitende Spillover-Effekte hätte.

Natürlich könnten auch die Rohstoffpreise sinken - vielleicht, wenn der globale Abschwung stärker ausfällt als erwartet -, was sich negativ auf die Exportländer auswirken würde.

IWF

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hatte in ihrem Jahresbericht vom Juni bereits vor Stagflation und Lohn-Preis-Spirale gewarnt und an die Zentralbanken appelliert, der "Zinswende" der US-amerikanischen Fed zu folgen.

Die von der EZB im Juli beschlossene Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte ging vielen Analysten dabei nicht weit genug. Sie klagten darüber, dass die damit einhergehende Abwertung des Euro die Inflation und eine Kapitalflucht hin zum US-Markt befeuerten. Auf der Jahrestagung in Washington forderte auch der IWF die Zentralbanken erneut dazu auf, die Zinsen weiter anzuheben – trotz Rezessionsgefahr.

"Factory exodus"

Das Münchner ifo-Institut rechnet mit vorübergehenden Produktionseinstellungen sowie damit, dass (große) deutsche Unternehmen ihre Produktion langfristig ins Ausland verlagern werden.

Auch die internationale Presse, so etwa das News-Portal Bloomberg, sieht Deutschland einem "factory exodus" entgegenstreben. Wie der Focus berichtet, locken unter anderem die USA mit günstigem Atomstrom deutsche Firmen an. Gleichzeitig ziehen sich ausländische Investoren zunehmend aus dem "Hochsteuerland" zurück.

Der Ökonom Daniel Stelter – auch er spricht von einer drohenden Deindustrialisierung – geht davon aus, dass eine Abwanderung deutscher Firmen – sollte sie in dieser Weise eintreten – möglicherweise endgültig sein wird. Der Wirtschaftsstandort Deutschland würde weit hinter seine internationalen Wettbewerber – etwa die asiatische Konkurrenz – zurückfallen und sich davon so schnell nicht mehr erholen.

Doch keine Deindustrialisierung?

Wer die Angst vor einer Deindustrialisierung Deutschlands beseitigen will, beruft sich in der aktuellen Debatte meist auf die deeskalierende Wirkung von Maßnahmen wie Preisdeckeln oder der Übergewinnsteuer.

Doch einige Ökonomen, darunter auch der Ex-ifo-Chef Hans-Werner Sinn, kritisieren derlei Eingriffe in Markt und Preisbildung als "dirigistisch" und verweisen dabei auf die Inflationssteuerung als originäre Aufgabe der Notenbanken.

Eine staatliche "Zuteilungswirtschaft", so lautet stark vereinfacht das Argument, sei nicht zweckdienlich bei dem Ziel, die übermäßige Nachfrage in den Griff zu bekommen und setze keine Anreize, zu sparen. Ein weiterer Aspekt ist die unverhältnismäßig hohe Belastung künftig massiv verschuldeter Generationen.

In Bezug auf die Gaspreisbremse wurden zuletzt außerdem noch ganz andere Bedenken vorgebracht: In einem Artikel vom 18. Oktober zitiert Die Zeit das Mitglied der Gaspreiskommission Isabella Weber mit den Worten, dass eine Gaspreisbremse einer Deindustrialisierung Deutschlands nicht Einhalt gebiete, sondern Vorschub leiste.

Mit der Regelung, den Unternehmen ein Kontingent von 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs zu sieben Cent pro Kilowattstunde zur freien(!) Verfügung zu stellen, könnten Unternehmen auf die Idee kommen, sich mit dem Weiterverkauf des billigen Gases auf dem Markt gesundzustoßen, anstatt die Produktion aufrechtzuerhalten, so Weber.