Deutschland: "Gespaltenes Verhältnis zum Christentum"

Seite 2: Ein "langer Abschied vom Christentum"?

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Ob an all diesem tatsächlich ein "langer Abschied vom Christentum" abzulesen ist, ist kein unstrittiges Fazit.

Man müsste genauer trennen zwischen der deutlich nachlassenden Relevanz der Kirchen, wie sie auch von Kirchenmitgliedern eingestanden wird, und bestimmten christlichen "Wiederauferstehungserscheinungen", wie sie etwa der französische Schriftsteller Houellebecq bei den französischen Katholiken herausstellt, die sich in öffentlichen Debatten etwa zur "Ehe für alle" im Nachbarland sehr deutlich bemerkbar gemacht haben.

Die Zahl der Katholiken werde zunehmen, sagte Houellebecq in einem Spiegel-Interview im Oktober voraus: "Tatsache ist, dass gläubige Katholiken mehr Kinder in die Welt setzen. Und sie vermitteln den Kindern ihre Werte."

Nun ist der französische Schriftsteller zwar ein Leser von Soziologen, aber selbst kein Soziologe, der empirisch vorgeht. Seine Voraussage ist nicht wissenschaftlich begründet. Aber es könnte vielleicht auch so kommen. Der Abschied vom Christentum wird von Allensbach vielleicht etwas voreilig verkündet aufgrund von Schlüssen, die in ihrer Aussagekraft für die Zukunft nicht unbedingt so viel verlässlicher sind als die Beobachtungen Houllebecqs in Frankreich.

Es sei kleinmütig, allein schon leere Kirchen für den Untergang des Christentums zu halten, schreibt Jörg Lauster in seiner Kulturgeschichte des Christentums: "Das hieße, das Christentum kleiner zu machen, als es ist. Das Christentum ist mehr als ein Dogma, und es ist auch mehr als die Institutionen, die es hervorgebracht hat."

Wie haltbar die großdimensionierte Erkenntnis aus Allensbach vom Abschied des Christentums ist, dass es "gleichsam von innen ausgehöhlt wird", muss sich erst noch zeigen. Etwas Vorsicht ist angebracht. Wie sich auch an der Frage nach dem Wettbewerber auf dem "Markt um emotionalen Halt" zeigt.

Der schärfste Mitbewerber: Die Ökobewegung

Da stellt sich nämlich etwas überraschend heraus, dass der größte Konkurrent die Ökologiebewegung ist. Warum? Weil nur 50 Prozent der Befragten im Dezember 2017 christliche Werte als "sehr wichtig oder wichtig" angaben, aber 74 Prozent "Nachhaltigkeit" für "wichtig" oder "sehr wichtig" halten. Auch unter den befragten Protestanten und den Katholiken gab es höhere Zustimmungswerte für "Nachhaltigkeit".

Für Thomas Petersen kommt dies einem religiösen Bekenntnis sehr nahe, da sich in der Ökologiebewegung religiöse Elemente zeigen: der "Veggie Day" als Essvorschrift, der Satz "Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch" als Endzeiterwartung, der Satz "Die Natur schlägt zurück" als quasi-himmlische Strafe. Dazu nennt er "Abgaben für Flugreisende, um sich 'CO2-neutral' zu machen" als moderne Form des Ablasshandels.