Deutschland sucht den Super-Flüchtling
Verantwortungsethisch ist jetzt geboten, nicht mit Schiffeversenken Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursachen der Massenflucht anzugehen
Während Thilo "Das wird ja wohl noch sagen dürfen" Sarrazin mal kurz Oberkommando der Wehrmacht spielt, Europa militärisch abriegeln will, jedes Schiff auf dem Mittelmeer aufbringen und sofern mit Flüchtlingen besetzt "die Insassen an exakt dem Punkt an der afrikanischen Küste absetzen, wo sie gestartet sind, und das Boot zerstören", besteht Humboldt-Professor Jörg Baberowski darauf, "sich die Einwanderer aussuchen zu dürfen".
Zwei 1a-Vorschläge, die allemal das Zeug haben, die Lufthoheit an den Stammtischen zu erobern - bei 60 Millionen Flüchtlingen weltweit, die von Krieg, Hunger und Elend aus ihrer Heimat vertrieben wurden, verspricht die totale Sicherung der Festung Europas zu Wasser, zu Land und in der Luft für die nächsten Jahrzehnte Vollbeschäftigung; und das Aussuchen, die Selektion an der Bahnhofsrampe, überlassen wir der TV-Jury "Deutschland sucht den Super-Flüchtling".
Wir hatten unlängst ja schon angemerkt, dass die Angst vor der großen Zahl - den angeblich 800.000 Flüchtlingen, die dieses Jahr kommen werden - völlig unberechtigt ist: auf 100 Bundesbürger käme dann sage und schreibe ein Geflüchteter. Das wird ja wohl zu schaffen sein. Wer da schon Alarm macht und den Untergang des Abendlands, der Aufklärung oder auch nur des Mindestlohns an die Wand malt, kann oder will schlicht nicht rechnen. Oder kocht halt, wie Sarrazin, sein dumpfes Süppchen von der drohenden "Islamisierung" einfach weiter.
Wenn gute Staatskunst laut Max Weber darin besteht, vernünftige Kompromisse zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu finden, dann können die letzten Wochen ein lehrreiches Beispiel sein: Es entspricht den fundamentalen Werten des christlichen Abendlands, Flüchtlingen und in Not geratenen Menschen zu helfen - und diese Gesinnung in Deutschland in Aktion zu sehen, hat die ganze Welt zu recht begeistert. Ebenso richtig im Sinne der Verantwortung ist es aber auch, die Zuwanderung unter Kontrolle zu bringen, denn natürlich kann Deutschland nicht alle Vertriebenen und Elenden dieser Welt aufnehmen.
Deshalb ist es verantwortungsethisch jetzt auch geboten, nicht mit Schiffeversenken Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursachen der Massenflucht anzugehen - und die sind nicht "Assad" und "ISIS", wie es die Medien permanent und penetrant wiederholen (hier ein wunderbare Stimme des Zorns dazu) , sondern die Außenpolitik der USA, die ISIS geschaffen hat. Um nach dem Irak und Libyen nun auch Syrien zu zerschlagen und zu entstaatlichen.
Dass weder Saddam Hussein, noch Oberst Gaddafi noch Bashar Assad gesinnungsethischen Ansprüchen an einen demokratischen Staatsführer entsprechen und es von daher geboten wäre, ihre Untertanen von diesen Herrschern zu befreien, ist unbestreitbar, aber - und hier kommt die Verantwortungsethik ins Spiel - eben nicht um jeden Preis. Wenn die Operation "Diktatorenbeseitigung" so erfolgreich ("Mission accomplished") verläuft, dass die Patienten hernach entweder tot oder auf der Flucht sind, weil ihre Länder im Chaos versinken und von durchgeknallten Milizen regiert werden - dann wird es Zeit, sich von solchen Operationen definitiv zu verabschieden.
Wer die Flüchtlingswelle wirklich stoppen will, kann an einer Fortsetzung der "Somalisierung" des Nahen Ostens kein Interesse haben - und muss aus dieser Politik aussteigen. Der US-gezüchtete Flaschengeist muss von einer internationalen Koalition unter UN-Mandat militärisch unschädlich gemacht und Friedensverhandlungen zwischen Assad, der Opposition und den Kurden initiiert werden. Und wenn sich das Empire of Chaos einer solchen Lösung verweigert, müssen es Europa, Russland, China, Iran und andere Willige eben ohne Amerika tun. Anders wird das Chaos kein Ende nehmen...
Nachtrag: Der "Guardian" meldet, dass Russland schon 2012 solche Friedensverhandlungen einschließlich eines Rücktritts Assads eingefädelt und angeboten hatte, der Westen aber abgelehnt hatte (Westen soll 2012 russischen Syrien-Friedensplan ohne Assad ignoriert haben).
Mehr von Mathias Bröckers auf seinem Blog.