Deutschlands Autoindustrie – Totalschaden mit Ansage

Gestresster Mann im Office

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Bürokratie lähmt, Ideologie ersetzt Strategie. China und die USA ziehen davon. Deutschland schaut hinterher. Ein Gastbeitrag (Teil 1).

Einst Weltmarktführer, Technologieexporteur, Wunderwerk der Ingenieurskunst. Namen wie Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW standen für deutsche Präzision, Qualität und Innovationskraft.

Heute ist davon nicht mehr viel übrig – außer Nostalgie und der wackeligen Hoffnung, der nächste "Technologiezyklus" möge doch bitte gnädiger ausfallen.

Die Totgeburt einer Industriepolitik

Doch die Realität ist brutal: Die deutschen Autobauer haben den Anschluss an die Zukunft sehenden Auges verpasst – und zwar freiwillig. Während Tesla innerhalb weniger Jahre vom belächelten Start-up zum wertvollsten Autokonzern der Welt aufstieg, kämpften die deutschen Hersteller mit halbherzigen Plug-in-Hybriden.

Während BYD und andere chinesische E-Auto-Konzerne längst Milliardenumsätze machen, schafft es Volkswagen nicht einmal, ein konkurrenzfähiges Betriebssystem für seine Elektroautos zu liefern – das Prestigeprojekt Cariad gilt intern längst als milliardenschwerer Pannenfall.

Zugleich geht der Strukturwandel nicht spurlos an den Arbeitsplätzen vorbei: Allein 2024 sank die Zahl der Beschäftigten in der Autoindustrie um 4,6 Prozent – von 780.000 auf 744.000. Besonders Zulieferer sind hart getroffen: Dort gingen zehn Prozent der Jobs verloren – das entspricht dem niedrigsten Stand seit 1995.

Was früher Vorsprung durch Technik war, ist heute Rückstand durch Bürokratie

Eine Ladestation für Elektroautos braucht in Deutschland teilweise über 60 Genehmigungen, verteilt auf Dutzende Behörden. Die Genehmigung einer Produktionsstätte in China, so ein VW-Manager, dauere etwa ein halbes Jahr – in Deutschland oft mehrere Jahre.

Wer heute eine Batteriefabrik bauen will, muss sich durch ein Dickicht von Vorschriften kämpfen, in dem allein der Umweltbericht mehrere hundert Seiten umfasst – ohne Garantie auf grünes Licht. Welcher rational denkende Mensch lässt sich heute noch auf solch einen Irrsinn ein?

Der EU-Bürokratiewahn tut sein Übriges. So sorgt die neue Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) dafür, dass selbst Mittelständler hunderte Stunden in ESG-Berichte investieren müssen – statt in Innovation. Die geplante Euro-7-Abgasnorm droht dem Verbrennungsmotor früher, als vom Markt gefordert, den Stecker zu ziehen – mit immensen Kosten für Zulieferer und Hersteller.

Während Peking und Washington Milliarden in strategische Industriepolitik investieren, beschäftigt sich Berlin mit:

Gender-Formularen, die neuerdings in öffentlichen Förderanträgen die "Diversity-Strategie" eines Unternehmens abfragen und Förderparcours, in denen Unternehmen zwar Gelder aus Fördertöpfen wie der "Klimaschutz-Offensive Mittelstand" oder dem "Bundesprogramm Energieeffizienz in Gebäuden" beantragen können – aber nur, wenn sie bereit sind, sich durch 30-seitige Anträge, Einspruchsfristen und Prüfverfahren zu kämpfen, die jeden Pragmatismus im Keim ersticken.

Das Ergebnis: Der deutsche Staat behindert, wo er fördern will – und überfordert, wo er entlasten müsste.

China: Der neue Motor der Welt

Während in Deutschland jahrelang darüber gestritten wurde, ob E-Mobilität überhaupt der "richtige Weg" sei – oder ob nicht doch synthetische Kraftstoffe irgendwann alles retten könnten –, hat Peking längst geliefert. Ohne Umwege. Ohne Diskussionen. China hat nicht nur Produktionskapazitäten aufgebaut, sondern sie konsequent hochskaliert.

BYD betreibt heute über 30 Fabriken für Elektroautos, Batterien und Komponenten, darunter Megawerke in Shenzhen, Xi'an und Changsha. Tesla errichtete seine Gigafactory in Shanghai in weniger als zwölf Monaten – von der Genehmigung bis zur Serienproduktion. Ein Tempo, das in Deutschland illusorisch ist.

Auch bei Rohstoffen ist China längst Weltmacht. Über 70 Prozent der globalen Lithium-Raffinierung, mehr als 60 Prozent der Kobaltbearbeitung und eine dominierende Rolle bei Nickel und Seltenen Erden sichern dem Land eine Schlüsselstellung in der Batterieindustrie.

Konzerne wie Ganfeng Lithium oder China Molybdenum sichern sich gezielt Minen in Afrika, Südamerika und Südostasien. In Europa dagegen stecken selbst symbolische Projekte wie Vulcan Energy’s Lithiumwerk in Brandenburg oder Zinnwald Lithium in Sachsen nach wie vor im Planungs- und Prüfungschaos.

Der Abbau hat nicht begonnen – der Widerstand aber längst. Während sich deutsche Autokonzerne in Richtungskämpfen, peinlichen Softwarepannen und Technologiestreitereien verheddern, hat China Marken aufgebaut, die heute weltweit konkurrenzfähig sind.

BYD ist inzwischen der größte E-Autohersteller der Welt und hat Tesla beim Absatz in China überholt. XPeng liefert hochautomatisierte Fahrzeuge mit intelligenter Software zu Preisen, die deutsche Entwickler erblassen lassen. NIO betreibt bereits über 2.000 Batteriewechselstationen – während das Konzept in Deutschland nach wie vor als "interessant, aber langfristig" abgetan wird.

Und Geely, Eigentümer von Volvo und Polestar, bringt mit Zeekr eine Premium-Elektromarke auf den europäischen Markt, die technologisch hochmodern und preislich aggressiv positioniert ist.

Ein BYD Seal mit über 500 Kilometern Reichweite und solider Ausstattung kostet in China rund 25.000 Euro – ein Preis, von dem ein VW ID.4 oder Mercedes EQB nur träumen können. Der Grund dafür liegt auf der Hand: China produziert nicht nur günstiger, sondern auch schneller, entschlossener und strategisch weitsichtiger. Subventionen werden gezielt eingesetzt, Infrastruktur zentral geplant, Lieferketten staatlich koordiniert und abgesichert.

Während Europa noch über Umweltverträglichkeitsprüfungen für potenzielle Lithiumminen diskutiert, kontrolliert China längst die gesamte Wertschöpfungskette – vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Europa hingegen liefert Strategiepapiere, Roadmaps und Förderprogramme – vorzugsweise mit Antragsformularen in dreifacher Ausführung.

USA: Markt mit Zöllen – und mit Zukunft

Die USA haben längst erkannt, was auf dem Spiel steht – und handeln. Nicht im Konjunktiv, sondern mit knallharter Industriepolitik. Der Markt wird nicht dem freien Spiel überlassen, sondern gezielt geschützt und strategisch gefördert.

Mit Zöllen auf chinesische Elektroautos senden die USA ein klares Signal: Wer verkaufen will, muss hier produzieren. Gleichzeitig lockt der Inflation Reduction Act mit über 370 Milliarden Dollar an Subventionen – darunter 7.500 Dollar Steuergutschrift pro Elektroauto (nur bei lokaler Produktion), 35 Dollar pro kWh Zellproduktion für Hersteller sowie massive Infrastrukturförderung.

Dieser Mix aus Abschottung, Anreizen und Standortbindung funktioniert. Der US-Markt ist für die deutschen Hersteller alternativlos – allein 2023 werden dort über eine Million Fahrzeuge von VW, BMW und Mercedes verkauft.

Die deutschen Konzerne ziehen die Konsequenzen:

  • Mercedes-Benz investiert 1 Mrd. Dollar in das Werk Tuscaloosa, inklusive einer neuen Batteriefabrik.
  • BMW steckt 1,7 Milliarden Dollar in Spartanburg, wo bis 2030 sechs E-Modelle pro Jahr produziert werden sollen.
  • VW baut den ID.4 in Chattanooga - und prüft neue Zellfabriken in Nordamerika.

Das ist keine Expansion mehr – das ist strategische Verlagerung.

Standort Deutschland? Ein wachsender Kostenfaktor, gegenüber Investoren immer schwerer zu rechtfertigen. Während Berlin grüne Industriepolitik plant, liefern die USA: "Build here – sell here – get paid here."

Und die deutschen Hersteller?

Folgen – aus wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Standort Deutschland: Ein Land stranguliert sich selbst

Deutschland ist teuer. Zu teuer. Wer hierzulande industriell produzieren will, steht unter Dauerbeschuss – von allen Seiten. Energiepreise auf Rekordniveau, Lohnkosten im internationalen Spitzenfeld, eine Steuer- und Abgabenlast weit über dem OECD-Durchschnitt.

Und dazu eine politische Führung, die oftmals in ihrer Parallelwelt der Ideale und Leitplanken agiert – während die Realwirtschaft kollabiert. Einige Zahlen zur Erinnerung:

  • Die Industriestrompreise in Deutschland liegen 2023 bei durchschnittlich 22 Cent pro Kilowattstunde – mehr als doppelt so hoch wie in den USA (~10 ct/kWh) und weit über dem EU-Durchschnitt.
  • Die Lohnnebenkosten klettern auf über 40 Prozent, während gleichzeitig ein massiver Fachkräftemangel herrscht.
  • Die Gesamtsteuerbelastung für Kapitalgesellschaften liegt in Deutschland bei über 30 Prozent - in Irland bei 12,5 Prozent, in den USA je nach Bundesstaat teilweise unter 25 Prozent.

Und während die Unternehmen ums Überleben kämpfen, beschäftigt sich die Politik mit ideologischen Projekten. Ein Beispiel?

Das Gesetz zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten (LkSG), das Unternehmen ab 2023 verpflichtet, in jeder Vorstufe der Lieferkette menschenrechtliche Risiken zu prüfen – und das bei globalen Zuliefernetzwerken mit teils tausenden Komponenten. Praktisch nicht umsetzbar. Rechtlich hoch riskant. Bürokratisch ein Alptraum.

Oder die Gebäudeeffizienz-Verordnung, die Investoren aus der Industrie davon abhält, überhaupt neue Produktionsstätten zu planen – weil sie nicht wissen, ob sie in fünf Jahren noch die gleichen Heizsysteme, Energiequellen oder Bauvorschriften nutzen dürfen.

Oder der Flickenteppich von Umwelt-, Sozial-, Energie- und Steuerauflagen, der jede strategische Industrieentwicklung lähmt. Wer in Deutschland eine Fabrik bauen will, braucht nicht nur Investoren, sondern auch Geduld, Rechtsberatung und gute Nerven.

Die Folge: Wer ökonomisch denkt, produziert woanders. Wer strategisch denkt, verlagert seinen Firmensitz.

Linde zeigt, wie es geht

Linde macht es vor: 2023 verlegte der Industriegasriese Linde plc seinen juristischen Sitz von Großbritannien – und ursprünglich Deutschland – nach Irland.

Der offizielle Grund: "Strukturvereinfachung" und bessere Börsenkompatibilität mit den USA. Der wahre Grund:

  • Niedrigere Unternehmenssteuern
  • Weniger Regulierung
  • Ein unternehmerfreundliches Umfeld

Die Börse feierte den Schritt - der Aktienkurs stieg. Und die deutschen Wirtschaftspolitiker? Hielten sich mit Kritik zurück. Zu offensichtlich war, dass Linde mit dem Wechsel nur das tat, was viele vermuteten: sich aus der Umklammerung deutscher Bürokratie und Steuerpolitik zu befreien.

Was Linde kann, können andere auch. Und sie werden es tun. Nicht aus Lust. Sondern aus Not.

Die Frage ist längst nicht mehr, ob – sondern nur noch wann.