Die Beschränkung der Mikrowelt

Vor hundert Jahren entstand die Quantentheorie - eine Diskussion im ZDF-Nachstudio beschäftigte sich damit und der Teleportation

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Der Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen bekundete jüngst in einem Interview, dass die Quantentheorie bis heute nicht verstanden sei, da sie "etwas völlig Neuartiges" ist. Das ist ein erstaunlicher Sachverhalt für eine Theorie, die von dem deutschen Physiker Max Planck immerhin vor hundert Jahren begründet und in den zwanziger Jahren von Heisenberg, Schrödinger und anderen zur Quantenmechanik ausgebaut wurde. Auch wenn viele technische Apparaturen des Alltags ohne die Quantentheorie nicht denkbar wären, so bleibt sie weit entfernt von einem Alltagsverständnis, aber auch unter Fachleuten gibt es keine Einigkeit über ihre philosophische Interpretation.

Planck und Einstein

Eine ganze Reihe von Veranstaltungen fanden anlässlich des Jubiläums in Berlin statt, wo Planck am 14.12. 1900 seinen bedeutsamen Vortrag gehalten hat. Eine war die Diskussionsrunde "Beam me up, Scotty. 100 Jahre Quantentheorie", die das Einstein Forum in Potsdam und das ZDF-Nachtstudio gemeinsam organisiert haben.

Das ZDF-Nachtstudio hat sich mittlerweile als intellektuelle Talkshow im Fernsehen etabliert, die Ausflüge in die unterschiedlichsten Wissenschaftsgebiete unternimmt und ausgewiesene Forscher- und Denker(innen) versammelt. Zum ersten Mal waren die Pforten für das Publikum geöffnet, so dass links und rechts neben dem Blickfang des Regals mit den Fotos der Geistesgrößen und den Bücherstapeln Stühle aufgestellt waren. Das Studio biete eine "postmoderne Erzählung", wie Moderator Volker Panzer vor Beginn der Aufzeichnung meinte. Um ein Bild bemüht, beschrieb er eine "Insel der Nichtbeliebigkeit", die neuen Horizonten des Wissens entgegenschwebt und Versatzstücke aus der Zivilisation hinter sich herzieht.

Die Entwicklung der Quantentheorie

Um Bilder und Metaphern sollte es auch in der weiteren Diskussion gehen. Denn die Quantentheorie dürfte eine der größten Herausforderungen für die menschliche Vorstellungskraft sein. Zum einen beruhen auf ihren beschreibbaren Effekten viele Errungenschaften der Technik von der Mikroelektronik zum Laser in CD-Spielern, zum anderen entziehen sich ihre Grundlagen jedoch der theoretischen Erkenntnis.

Jeder hat irgendwann von der Heisenbergschen Unschärferelation oder dem "Welle-Teilchen-Dualismus", von "Schrödingers Katze" oder der "Viele Welten"-Theorie gehört. Manche sehen das experimentell immer genauer überprüfbare Verhalten der Quanten nur als Ergebnis von Beobachtungen, andere sehen darin eine objektive Realität. Und diese Diskussion wird in der Fachwelt mit Verve geführt. John Maddox, der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift "Nature", bezeichnet die Behauptung, dass es in der Quantenmechanik Widersprüche gebe, als willkürlich und "böswillig", biete sie doch eine brauchbare Einsicht in die kleinsten, subatomaren Größenordnungen dieser Welt.

In Telepolis hat der Chaosforscher Otto E. Rössler eine Position umrissen, mit der er die Quantenmechanik "knacken" will (Vom Chaos, der Virtuellen Realität und der Endophysik). Der Physiker Roger Penrose wiederum sieht die Quantentheorie in ihrer heutigen Form als unfertig an, billigt ihr zugleich aber sogar Erklärungskraft für die Bewusstseinsprozesse des Gehirns zu. Wer nun der Diskussion an diesem Abend folgte, hatte den Eindruck, dass es im Großen und Ganzen eine Übereinstimmung gab und erst bei Detailfragen ein Dissenz auftrat. Beteiligt waren Anton Zeilinger, Experimentalphysiker an der Universität Wien, Hans Christian von Baeyer, Physik-Professor aus Williamsburg/USA und Autor populärwissenschaftlicher Bücher zum Thema, sowie Eva Ruhnau, theoretische Physikerin und Leiterin des Humanwissenschaftlichen Zentrums an der Universität München.

Zeilinger wurde bekannt mit einem Experiment der "Teleportation" von Quanten (Die Kunst der Teleportation). Genauer geht es um die "Quantenkommunikation" zwischen Photonen, also Lichtquanten. Eigenschaften des einen wurden bei dem Experiment über eine größere Entfernung auf ein anderes übertragen. Das neue Photon ist identisch mit dem alten, während - und das sei eine Überraschung - das alte eigenschaftslos würde. Möglicherweise werde man in einigen Jahrzehnten Moleküle in dieser Weise transferieren können, aber für alle größeren Objekte sei keine seriöse Spekulation möglich.

Zeilinger beschrieb Zeitumstände der Entdeckung des Wirkungsquantums durch Planck. Dieser stellte zuerst die These auf, dass das Licht in Quanten ausgesandt werde. Planck kombinierte die Wellentheorie von Maxwell mit der Thermodynamik von Boltzmann, wie von Baeyer ergänzte. Zeilinger präzisierte, dass "Welle" und "Teilchen" nur Bilder im Kopf seien, aber bei den Quanten handele es sich um etwas, an dem die normale Vorstellungskraft versagen würde. Es gebe mathematische Beschreibungen, die Theorie stimme mit Experimenten überein, aber auf die Bilder solle man lieber verzichten. Ruhnau widersprach insofern, als dass man mit Begriffsdichotomien wie Welle/Teilchen, kontinuierlich/diskret einen Rahmen setze, in dem dann Theorien formuliert werden. Von Baeyer wies darauf hin, dass es physikalische Begriffe wie "Energie" gebe, die von allen verstanden werden, auch wenn sie nicht definiert werden können. Das Problem der Quantentheorie sei nun, dass ihre Begriffe mit dem gewöhnlichen Alltag nichts zu tun hätten: die "Nicht-Lokalität" zum Beispiel oder die "Verschränkung" der Photonen. Ruhnau stellte das Prinzip der "Komplementarität" so dar, dass die Photonen dieselben Eigenschaften aufweisen würden, man sie nur nicht zur gleichen Zeit messen könne. Zeilinger widersprach, dass die Photonen die Eigenschaften wie Ort oder Impuls eben nicht zur gleichen Zeit hätten. Wenn man ein Messergebnis kenne, sei es besser, von Eigenschaften auszugehen.

Von Baeyer wies auf Versuche hin, die Quantentheorie mit der Informationstheorie in Einklang zu bringen (Carl Friedrich von Weizsäcker, John Wheeler), und kommentierte, dass Zeilinger hier einen neuen Vorschlag gemacht hätte für ein Prinzip, wie man die Quantenphysik neu aufbauen könne. Die kleinsten Bausteine der Welt hätten unter Umständen genau 1 Bit an Information. Zeilinger grenzt sich aber von der Quantentheorie der "Ure" bei von Weizsäcker ab, eine informationstheoretische Variante des philosophischen Atomismus:

"Die Idee ist, dass je kleiner ein System wird, um so weniger Information kann es tragen. Die kleinsten Systeme können daher nur die kleinste Informationsmenge, ein einzelnes Bit, tragen. Daraus folgen dann einige der Grundaussagen der Quantentheorie. Ich sehe die Ure als einen wichtigen Vorläufer. Dort geht es um eine allgemeine Position einer Grundlegung der Physik. Bei mir um eine Begründung der Quantenphysik aus einem fundamentalen Prinzip."

Die Frage ist eben, ob bei der experimentell bestätigten Fernwirkung der mit einander verschränkten Photone Information ausgetauscht wird oder nicht. Wenn ja, würde das Bit zur Definition gemeinsamer Eigenschaften übertragen.

Philosophische Perspektiven

Was in der Diskussion neben der Spekulation darüber, wie denn nun ein Quantencomputer) funktionieren könne, des weiteren zu kurz kam, war eine Debatte der Konsequenzen für das allgemeine Weltbild. Die Welt im Kleinen sei ein "unentwirrbares Netz immaterieller Relationen", deren Sinn unser heutiges Bewusstsein nicht "assimilieren" könne, wie der Philosoph Gotthard Günther vor Jahrzehnten meinte. Bei der komplexen Quantendiskussion geht es um eine Überlagerung von Prozessen um Bestimmtheit /Unbestimmtheit, Gesetz/Zufall, Ereignis/System, Kontinuum/Abbruch, Ursache/Wirkung, Beobachter/Beobachtetes, Subjekt/Objekt, Materie/Information, Gegenwart/Zukunft, die in der Mikrowelt einen anderen Verlauf nehmen als im makroskopischen Vergleich.

Ein Quant habe verschiedene Eigenschaften zur gleichen Zeit, trete an unterschiedlichen Orten auf, für deren Erfassung ein Rechnen in unterschiedlichen mathematischen Räumen notwendig ist. Der Beobachter kommt im Experiment ins Spiel, indem er die Meßmethode auswählt, mit dem sich entweder die eine oder die andere Eigenschaft feststellen lasse. Das Einzelereignis ist auf dieser Ebene nicht vorherzusagen, man kann nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen. Es ist kein Wunder, dass diese experimentell bestätigte Theorie durch ihren "probalistischen Charakter" (Penrose) eine Provokation für die Naturwissenschaften bedeutet.

Zeilinger ist kein Vertreter der "ironischen Wissenschaft" (John Horgan), einer Wissenschaft, die ihre empirischen Befunde nur allzugern mit einem spekulativen Überbau versieht. In dem Text Jenseits jeder Gewissheit hält sich Zeilinger mit Interpretationen zurück und schließt sich der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik (Niels Bohr, Moritz von Schlick) an, wenn er sein Fazit zieht:

"Eine interessante Fragestellung, die bis heute unbeantwortet ist, ist jedoch, warum die Quantenphysik so eigenartig ist, warum wir es hier mit einer prinzipiellen Begrenzung der Erkennbarkeit der Welt in der Weise zu tun haben, dass es sich nicht um eine Begrenzung der Fähigkeit des Menschen handelt, sondern um eine Begrenzung der Natur selbst."

Die Quantenmechanik komme zu Wahrscheinlichkeitsaussagen, so Zeilinger, nicht weil das Verhalten von Quanten nicht exakt erfassbar sei, sondern weil es in der Mikrowelt eine vermutlich nicht beherrschbare Bedingung, den objektiven Zufall, gebe, die dieses Verhalten bestimmt. Dieser Zufall gehe über die in der klassischen Physik bestimmbare Zufalls-Kategorie hinaus und stelle einen Bruch mit dem klassischen Weltbild dar. Leider konnte dieser Aspekt in der Diskussion nicht ausführlich besprochen werden.

Hinzu kommt ein Umstand, mit dem sich Zeilinger in seinen Experimenten beschäftigt hat und der zentral ist für die Eigenart der Quantenwelt. Zwei Photonen können sich in einem solchen quantenmachanischen Zustand befinden, dass sie zwar einen zufällig eintretenden Zustand zeigen, beide aber genau dieselben Eigenschaften haben. Das lässt sich experimentell auch über größere Entfernungen belegen. Zeilinger vermutet hier keine geheimnisvollen Verbindungen, keinen absolute Bestimmtheit und keine Vorstellungen von "Ganzheit", sondern letztlich eben eine unhintergehbare Bedingung der Natur selbst. Damit ist seine Sicht der Quantentheorie offenbar eine andere als die von Eva Ruhnau, die der Quantenphysik einen "holistischen" Ansatz attestierte. Es blieb unklar, was eigentlich damit gemeint ist (einzig die Esoteriker vor den Bildschirmen werden weise genickt haben).

Da Eva Ruhnau sich mit Bewusstseinsforschung beschäftigt, tauchte die Frage einer Übertragbarkeit von Erkenntnissen der Quantenphysik auf die Erklärung von Gehirnprozessen auf. Die schon erwähnten Konzepte von Penrose standen aber nicht zur Debatte, sondern ihre gemeinsam mit Ernst Pöppel durchgeführten Forschungen zum "Gegenwartsfenster" des Bewusstseins, einer Zeitspanne von wenigen Sekunden, in der verschiedene psychische Funktionen miteinander verschränkt seien. Erst mit zeitlicher Verzögerung könne das Gehirn als sein eigener kritischer Beobachter auftreten. Dass das Gehirn das System von innen ist und sich selbst beobachtet, in gewissem Sinne Subjekt und Objekt in einem ist, empfand von Baeyer als gute Analogie zur Quantenphysik, aber Tenor war auch, dass man keine direkte Beziehung zwischen Gehirnforschung und Quantenphysik ziehen könne.

Zeilinger erwähnte noch eine Beobachtung, die nicht weiter verfolgt wurde. Studenten in seinem Labor hätten einen intuitiven Zugang zu den Ergebnissen entwickelt, ohne die primitive mechanistische Vorstellung, dass da ein Teilchen durch den Apparat läuft. Da liegen natürlich Überlegungen nahe, die eine neue "Denk-Logik", eine neue Rationalität betreffen, mit der allein man diese Phänomene begreifen könne. Zeilinger bleibt da skeptisch: "Ich seh das so, dass man alte, falsche Intuitionen ablegt. Die Rationalität bleibt die gleiche. Da gibt es nur eine."

Wo sich aber Wirklichkeitsphänomene einer schnellen Einordnung entziehen, steht wie immer die Religion mit ihren mysteriösen Erklärungsmustern bereit. Einsteins sinngemäßer Ausspruch in diesem Zusammenhang, "Gott würfelt nicht", mag als historisches Zeugnis für die weltanschauliche Verunsicherung gelten. Am Ende der Diskussion tauchte - leider - die wohl unvermeidliche Gottes-Frage auf. Von Baeyer meinte, dass nicht alles Zufall sei, es gebe auch religiöse Physiker (wobei die Zahl aber im Laufe der Jahrzehnte abgenommen hat). Zeilinger war der Ansicht, man solle Naturwissenschaften und Religion nicht strikt trennen, und wünschte sich ein konsistentes Weltbild, in dem "alles" zusammenpasst. Die Suche danach könnte allerdings noch schwieriger werden als die nach der naturwissenschaftlichen Weltformel.

Dass zudem die Quantentheorie eine metaphorische Entsprechung in Lebenserfahrungen hat, dürfte jedem evident sein, der intuitive, also nicht klar herleitbare Momente bei der gedanklichen Lösung von Problemen kennt. Der berüchtigte "Quantensprung" ist in die Alltagssprache eingegangen. Der amerikanische Schriftsteller Robert Anton Wilson empfiehlt denn auch - neben der Lektüre von Verschwörungstheorien - die Rezeption der Quantenmechanik als Training für den Alltagsgebrauch, um mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit fertig zu werden.