Die Demokratie globalisieren

Eine globale Kampagne zur Demokratisierung der Vereinten Nationen

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Laut dem ehemaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali kann die Demokratie nur bewahrt werden, indem man sie globalisiert. Wie das zu realisieren wäre, dazu hat sich das Komitee für eine demokratische UNO (KDUN) Gedanken gemacht und eine Allianz aus Nichtregierungsorganisationen, Politikern, Künstlern und engagierten Bürgern geschmiedet, die im April und Mai erstmals mit einer internationalen Kampagne an die Öffentlichkeit trat.

Kernstück der Kampagne ist ein Aufruf für die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (United Nations Parliamentary Assembly - UNPA). Die Liste der Erstunterzeichner, die zum Auftakt der Kampagne am 23. April der Öffentlichkeit präsentiert wurde, umfasst mehrere hundert Persönlichkeiten. Die vertretenen Namen spiegeln deutlich die Seriosität und Relevanz des Vorhabens. Rund 400 Abgeordnete aus 70 Ländern finden sich dort, mehrere Nobelpreisträger, Träger des Right Livelihood Award, Akademiker, Schriftsteller und Wissenschaftler: Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Günter Grass und Arthur C. Clarke, der Ehrenpräsident des Club of Rome, Ricardo Dietz-Hochleitner, der Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel (Autor des Buches „Die Reform der UNO“), die ehemalige Grünen-Vorsitzende und Europaabgeordnete Anglika Beer, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, die libanesische Politikerin Bahia Hariri, die Schauspielerin Emma Thompson und viele weitere.

"Die Vereinten Nationen werden wahrscheinlich auf zwei Säulen ruhen müssen: Eine bestehend aus einer Versammlung von gleichberechtigten Regierungsvertretern der einzelnen Länder, vergleichbar mit dem heutigen Plenum, und die andere bestehend aus einem Kreis, der von der Weltbevölkerung direkt gewählt wird und dessen nationale Delegationen in etwa der Größe der jeweiligen Länder entsprechen", sagte Vaclav Havel beim Millenium-Gipfel in New York vor sieben Jahren.

Die Vorarbeiten zur aktuellen Kampagne, so KDUN-Vorsitzender Andreas Bummel, reichen nun auch mehr als sieben Jahre zurück. Bummel selbst publizierte 2004 im Horizonte-Verlag das Strategiepapier „Internationale Demokratie entwickeln“, in dem er aufzeigt, wie es möglich wäre, die UNO Schritt für Schritt von einer bisher lediglich Regierungsinteressen vertretenden Institution zu einer demokratisch legitimierten Einrichtung umzuwandeln, in der auch gewählte Vertreter eine Stimme haben und das globale Allgemeinwohl im Blick haben.

„Die Vereinten Nationen und die anderen internationalen Regierungsorganisationen können nicht länger ein Exklusivklub der Regierungsbeamten bleiben. Die Zeit ist reif, um den Menschen in internationalen Belangen eine größere Mitsprache zu geben“, forderte Bummel beim Vision-Summit in Berlin am 4. Juni.

Das EU-Parlament als Vorbild

Über Artikel 22 UN-Charta soll den UN zunächst eine Parlamentarische Versammlung als Nebenorgan beigeordnet werden. Der taktische Grund für dieses Vorgehen liegt darin, dass für die Einrichtung eines solchen Nebenorgans eine einfache Beschlussmehrheit in der UN-Generalversammlung ausreicht. Für eine Änderung der UN-Charta nämlich wäre eine Zustimmung der Vetomächte im UN-Sicherheitsrat erforderlich. Laut Bummel ist zu befürchten, dass insbesondere die USA unter der Bush-Regierung, sowie Putins Russland Einwände erheben und das Vorhaben blockieren könnten. Tatsächlich ist die Unterstützung aus diesen Ländern derzeit auch noch ziemlich gering. „Auf die Vetomächte kommt es jetzt nicht an. Unser Fokus liegt auf Mittelmächten und kleinen Staaten“, so der Aktivist.

Anfangs sollen die nationalen Parlamente Abgeordnete entsenden, später dann sollen die Weltparlamentarier von der Bevölkerung direkt gewählt werden können. Gerade in den nichtdemokratischen Staaten könne es mitunter Jahrzehnte dauern, bis reale freie Wahlen stattfinden könnten, so Bummel im Interview mit Telepolis (Ein demokratisches Parlament auf Weltebene ist notwendig). Bis dahin wäre es die Aufgabe der demokratischen Abgeordneten, mäßigend auf Scheinabgeordnete einzuwirken.

Strukturelles Vorbild ist das EU-Parlament. So sollen auch auf globaler Ebene die Abgeordnetenzahlen, orientiert an den Bevölkerungszahlen der jeweiligen Länder, gestaffelt werden. Eine Ober- und eine Untergrenze soll verhindern, dass bevölkerungsreiche Länder wie China das Parlament dominieren, während kleinere – etwa Luxemburg – völlig untergehen würden.

Um das Projekt bekannt zu machen und nicht zuletzt um neue Unterstützer und Sponsoren zu gewinnen, traten die Initiatoren und ihre Mitstreiter Ende April mit zahlreichen Veranstaltungen in aller Welt an die Öffentlichkeit. Pressekonferenzen fanden in Dar as Salam, Berlin, Vancouver, Madrid, Mumbai und weiteren Weltstädten statt.

Die internationale Presse reagierte weitgehend positiv auf das Vorhaben. So erinnerte George Monbiot bereits am 24. April im britischen Guardian daran, dass Bestrebungen zu einem Weltparlament bereits auf Tennyson 1842 zurückgehen. Er weist auf die Problematik der bestehenden Global Governance hin, die ohne demokratische Legitimation agiere und bezeichnet das derzeitige System als „eine Tyrannei, die die Sprache der Demokratie spricht“. Die Frage sei nicht mehr, ob Entscheidungen global getroffen werden müssten, sondern wie man sicherstellen könne, dass sie demokratisch getroffen würden.

Der israelische Friedensaktivist Shimri Zameret verglich die Ansätze im britischen Independent mit der erfolgreichen Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes. Der Schweizer Tages-Anzeiger stellte fest, „dass es sich keineswegs um ein abwegiges oder illusorisches Anliegen handelt“ und erinnert an die „lange Tradition“ der Idee eines Weltparlaments. Weiter heißt es: „Das Uno-Parlament wäre insofern nicht der Endpunkt einer Uno-Reform, sondern würde zum heute fehlenden Motor einer grundlegenden Umgestaltung der Weltorganisation im 21. Jahrhundert.“

Eine Mehrheit des Schweizer Nationalrates hatte sich bereits 2005 in einem offenen Brief an Kofi Annan für eine UNPA ausgesprochen:

Eine Parlamentarische Versammlung bei den UN würde eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen. Die Vertretung der Bevölkerung und die Beteiligung der Zivilgesellschaft in der Organisation würde das Vertrauen der Bürger in die Vereinten Nationen fördern und deren Akzeptanz und Legitimation stärken.

Diese Überlegungen decken sich mit Annans eigener, in seinem Strategiepapier „In größerer Freiheit“ getroffenen Aussage, es müsse „das Geburtsrecht jedes Menschen sein, darüber zu entscheiden, von wem“ er regiert werde.

Entscheidungen werden zunehmend global, aber ohne demokratische Legitimierung getroffen

Während wichtige Nachrichtenorgane in England, der Schweiz, Kanada, ja sogar in Saudi-Arabien und Südkorea über die Kampagne berichteten, fiel die Resonanz ausgerechnet in Deutschland, dem Sitz der tragenden Organisation, eher spärlich aus. Die Frankfurter Rundschau berichtete als einzige unter den etablierten überregionalen Zeitungen. Die Presseveranstaltung in den Räumlichkeiten der Bundespressekonferenz in Berlin war eher schlecht als recht frequentiert, so dass Andreas Bummel auf Nachfrage folgendes Fazit zieht, das nach gemischten Gefühlen klingt:

Die Kampagne für ein UN-Parlament ist langfristig angelegt. Auf Anhieb ist es nur selten möglich, mit einem neuen Thema wie diesem die breite Öffentlichkeit zu erreichen und Schlagzeilen zu machen. Die Bemühungen für den Internationalen Strafgerichtshof wurden auch erst nach Jahren in den großen Medien aufgegriffen. Mit unserem Kampagnenauftakt wurde die politische Unterstützung demonstriert, die der Vorschlag heute schon hat. Bei den Veranstaltungen in aller Welt im April und Mai haben sich Dutzende Parlamentarier aktiv engagiert, von den hunderten Unterzeichnern des Aufrufs ganz abgesehen. In Fachkreisen kommt man an der Initiative nicht mehr vorbei. Das ist eine gute Ausgangslage.

Es bleibt die Frage, wohin der Weg geht. Das Konzept des KDUN scheint einen wichtigen, zukunftweisenden Ansatz zu präsentieren. Dass viele Einzelheiten noch offen gehalten werden, ist nur logisch bei einem so großen Vorhaben, das letztendlich die Weltpolitik gerechter und vor allem auch transparenter machen soll. Der Aufruf der Kampagne betont, dass eine UNPA nicht einfach eine neue Institution sein würde: "Als Stimme der Bürger wäre sie Ausdruck und Vehikel eines Verständnis- und Bewusstseinswandels in der internationalen Politik.“

Ex-UN-Generalsekretär Boutros-Ghali äußerte sich Mitte Mai in einem Grußwort an die Kampagne folgendermaßen:

Dass Entscheidungen zunehmend global getroffen werden müssen, ist unausweichlich. Eine Folge ist aber, dass die Demokratie auch innerhalb der einzelnen Staaten an Bedeutung verliert, wenn der Prozess der Demokratisierung nicht auf internationaler Ebene fortgeführt wird. Wir müssen die Demokratisierung der Globalisierung voranbringen, bevor die Globalisierung die Grundlagen nationaler und internationaler Demokratie zerstört.

Die Etablierung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen sei ein unverzichtbarer Schritt geworden, um eine demokratische Kontrolle der Globalisierung zu erreichen.

In diesen Tagen findet in Heiligendamm der G-8-Gipfel statt. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass dieses Zusammentreffen keine demokratische Legitimation besitzt, dass die acht stärksten Nationen über Wohl und Wehe der Welt entscheiden. Was auffällt ist, dass die Diskussion in den Medien sich mehr auf die Abschottung der Staatsmänner und –frauen gegenüber der Bevölkerung, sowie auf kolportierte terroristische Gefahren konzentrieren, anstatt auf Inhalte. Genau um diese aber sollte es bei einem Weltparlament gehen. Um Inhalte, bei denen die Weltbevölkerung ein Mitspracherecht hat. Denn medienwirksame Bilder haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie von dem, was wirklich wichtig ist, ablenken.