Die Dynamik ist sehr vertraut

Interviews mit Noam Chomsky über die Terroranschläge als Buch erschienen

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Jeder, der wenig Vertrauen in die von den USA angeführte "Anti-Terror Koalition" hat, wird in den Gesprächen von Chomsky mit handfesten Fakten bestätigt. Will man Probleme lösen, so muss ihre Wurzel benannt werden. Chomsky zeigt, welche Wiedersprüche und Ignoranz im Westen und den USA dominieren. Seine Hoffnung ist, dass die historische Dimension der Anschläge diese Scheuklappen und Denkverbote zur Debatte stellt und die Gewaltspirale beenden. Denn, wie gesagt, die Lösungen liegen auf der Hand, nur die Probleme werden verschwiegen.

Wer sich auf leicht lesbare Art den Analysen Chomskys nähern will, sei auf eine Mitschrift seines Vortrags The New War Against Terror vom 24. Oktober am MIT verwiesen. Manche der Interviews finden sich auch auf Zmag. Die Interview-Sammlung ist unter dem Titel "9-11" bei Seven Stories Press erhältlich: als Paperback für 8,95 Dollar, in diversen herunterladbaren Formaten für 4,20 Dollar. Zudem gibt es bereits ein kostenloses eBook, welches die Themen von "9-11" weiter entwickelt: "Responses to 9-11", ebenfalls bei Seven Stories Press.

"An attack against Afghanistan will probably kill a great many innocent civilians, not Taliban but their victims, possibly enormous numbers in a country where millions are already on the verge of death from starvation. It will also answer bin Laden's most fervent prayers, as Washington is hearing from foreign leaders, specialists on the region, and presumably its own intelligence agencies. Such an attack will be a massive crime in itself, and will very likely escalate the cycle of violence, including new acts of terror directed against the West, possibly with consequences even more horrifying than those of September 11. The dynamics are, after all, very familiar." - Noam Chomsky kurz vor dem Angriff der USA

Noam Chomsky stand insgesamt 14 Interviewpartnern Rede and Antwort. In der Mehrzahl handelte es sich um europäischen Medien. Sie wurden in 7 Kapiteln zusammengefasst, um Wiederholungen zu vermeiden und das Thema zu gliedern. Hauptpunkte sind der Krieg gegen den Terror, Usama bin Ladin, amerikanische Außenpolitik sowie deren langfristige Auswirkungen. Im Anhang findet sich die Liste aller, vom amerikanischen 'Department of State' benannten terroristischen Organisationen sowie die Definition einer solchen Organisation.

Diese Definition bietet einen guten Einstieg: Chomsky kritisiert, dass sie im Rahmen der "Koalition gegen Terrorismus" von den USA diktiert wurde und bereits alle falschen Konsequenzen und eine historische Ignoranz beinhalte. Punkt Eins der in"'9-11" abgedruckten Checkliste des Außenministeriums lautet: "Die Organisation muss ausländisch sein."

Das Verdienst von Chomsky beruht nicht allein auf dem Erinnern von unangenehmen Tatsachen, er reflektiert auch pointiert, wie in der Medienrealität diese unangenehmen Tatsachen verschwiegen und schöngeredet werden. Seine Lebensaufgabe als Aktivist wird treffend in der Einleitung zitiert: "Diese Tatsachen sind vollständig aus der Geschichte eliminiert worden. Man muss sie praktisch von den Hausdächern schreien."

Was sind diese Fakten? Nun, da wäre jener Staat, der in den 80er Jahren als bislang einziger vom Weltgericht wegen internationalem Terrorismus verurteilt wurde, das Urteil jedoch ignorierte und sein Vorgehen noch eskalierte. Das Opfer Nicaragua rief daraufhin den UN-Sicherheitsrat an, dessen Resolution, man möge doch internationales Recht beachten, am Veto besagten Staates scheiterte. Eine ähnliche Resolution scheiterte jahrelang auch in der UN Generalversammlung, wiederum am Veto des mittlerweile "üblichen Verdächtigen" sowie Israel. In Nicaragua kamen damals Zehntausende von Menschen um, wirtschaftlich hat sich das Land vom Bürgerkrieg noch immer nicht wirklich erholt. Die USA selbst, so Chomsky hart, seien "ein führender terroristischer Staat". Die USA weigerten sich auch in mehreren Fällen, international gesuchte Terroristen auszuliefern, um sich durch die Nähe jener Personen zum amerikanischen Geheimdienst keine Blöße zu geben. Oder, so ein anderes Beispiel von Chomsky, die Bombardierung der Pharma-Fabrik in Sudan, weil dort angeblich Biowaffen im Auftrag von bin Ladin hergestellt würden, was sich aber nicht beweisen ließ.

Chomsky verweist darauf, dass der angebliche "neue" Krieg gegen den Terror keineswegs neu ist. Schon vor 20 Jahren habe Ronald Reagan den "internationalen Terrorismus" zum Kern der Außenpolitik gemacht, um diesen "Krebs", der die Zivilisation zerstört, zu eliminieren. Dabei sei man in außergewöhnlicher Härte gegen den Terrorismus vorgegangen, habe aber gleichzeitig terroristische Regime unterstützt. Chomsky sagt, dass die Frage, wie man den Terrorismus bekämpfen sollte, eigentlich klar sei. Er verweist beispielsweise auf die Terroranschläge der IRA in London, als man auch nicht einen Krieg ausrief und Belfast bombardierte, sondern versuchte, die Kriminellen zu fangen und vor Gericht zu stellen.

Man kann Chomsky einen unverbesserlichen Optimisten nennen. Er hofft, die historische Dimension des 9. September werde die bisherige und zukünftige Politik derart in Frage stellen, dass die historische Problemlage erkannt und benannt werden kann. Nur so wäre zu vermeiden, dass die Welt noch tiefer mit Scheuklappen und Denkverboten in die bereits betretene Sackgasse rennt. Kritisch gegenüber amerikanischen Positionen ist eine Bedingung für die nachhaltige Bekämpfung internationaler Verbrechen, auch Terrorismus genannt.

Zu den digitalen Formaten von "9-11"

Wer die langen Lieferzeiten über den Atlantik vermeiden will, kann sich das Buch auch herunterladen als eBook. Der Unterschied zu einer normalen Textdatei liegt einzig und allein darin, dass eBooks mehr oder weniger geschützt sind gegen kopieren, drucken und weitergeben. 9-11 ist erhältlich als Adobe eBook, Microsoft Reader und in Kürze auch Palm OS.

Ich hatte mich für Adobes eBook entschieden, weswegen vor dem Lesen erst einmal der ca. 10 MByte große Adobe eBook Reader heruntergeladen werden musste. Dieser Reader generiert beim ersten Gebrauch eine Art Stempel, der den jeweiligen Computer identifiziert. Erst jetzt lädt der Reader endlich das gekaufte eBook und versieht es sofort mit diesem Stempel.

In den "Permissions" von "9-11" steht zwar explizit, dass man es an Andere weitergeben und verleihen darf. Nur praktisch geht das nicht, da eBooks, wegen des besagten Stempels, grundsätzlich nur auf dem Computer zu öffnen sind, auf den sie heruntergeladen wurden. Auch beim Einbau einer neuen Festplatte oder gar dem Kauf eines neuen Computers müssen alle eBooks noch einmal gekauft werden.

Da es wenig Spaß macht, die 149 Seiten auf dem Bildschirm zu lesen, wollte ich mein ebenfalls in den "Permissions" zugestandenes Recht ausnutzen, 10 Seiten pro Tag zu drucken. Leider stürzte der Adobe eBook Reader bei jedem Druckversuch ab. Recht frustriert erinnerte ich den Fall des Russen Skylarov der Firma Elmsoft. Diese vertrieb ein Programm, welches den Stempel entfernt und aus dem Adobe eBook wieder eine ganz normales PDF-Datei macht. In Russland darf man sich eine Kopie von gekauften Daten anlegen, und dieses Programm ermöglichte, dieses Recht auszunutzen. Skylarov wurde bekanntlich vom FBI verhaftet, nachdem er in Las Vegas einen Vortrag über das einfache Umgehen der Sicherungen des Adobe eBook gehalten hatte (Die verbotene Copyright-Zone). Die rechtliche Grundlage dafür ist der Digital Millenium Copyright Act (DMCA), der die Umgehung von technischen Sicherungen unter Strafe stellt. Die USA sind auch hier Vorreiter, wenn es darum geht, amerikanische proprietäre Formate international durchzuboxen.

Noam Chomskys "9-11" ist schon allein in diesen Zeiten der bedingungslosen Solidarität mit den USA empfehlenswert. Es liefert, wie man dies von Chomsky kennt, massenweise Fakten, die zunehmend tabuisiert werden, für eine nachhaltige Lösung des Problems dieser internationalen Verbrechen aber benannt werden müssen. Neben dem Inhalt regt aber auch die Form des eBook zum Nachdenken an: Wie weit darf der Justizapparat der USA gehen, um ein amerikanisches Dateiformat zu schützen, auch wenn z.B. die Rechtsprechung anderer Länder private Kopien (noch) erlaubt? Dem eBook "9-11" bleibt zu wünschen, dass es oft gekauft, gelesen und vielleicht sogar gedruckt wird.