Die Geburt von Metallica aus dem Geiste der "Raubkopie"

Warum der Austausch von Privatkopien für die Entwicklung des Thrash Metal eine entscheidende Rolle spielte

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Metallica, heute die umsatzstärkste Metalband der Welt, zählten Mitte der 1980er Jahre zur Speerspitze einer Generation neuer Acts, die sich anschickten, die etablierten Gruppen wie Saxon, Motörhead, Iron Maiden oder Accept von der Spitze zu verdrängen. Das haben Metallica auf geradezu erstaunliche Weise geschafft. Unter dem Eindruck der aktuellen Copyrightklage der Herren Ulrich & Co. gegen die mp3-Tauschbörse Napster lohnt es sich, Metallicas Weg an die Spitze etwas genauer zu untersuchen.

unautorisiertes Demotape

1982 wurde dem Heavy Metal von Branchenkennern keine große Zukunft geweissagt. Selbst der Gitarrenmusik gegenüber aufgeschlossenere Musik-Express titelte Anfang 1983 "Der Metal ist tot" - und hatte zum damaligen Zeitpunkt gar nicht so unrecht. Die Strukturen der damaligen Szene unterschieden sich erheblich von den heutigen Gegebenheiten: 1982 war die ab den späten 70ern dominierende New Wave of British Heavy Metal ziemlich ausgetrocknet.

Es gab lediglich zwei, drei Handvoll Bands mit Vertrag weltweit, von denen sich eigentlich nur noch Iron Maiden und Judas Priest in der kreativen Hochphase befanden. In Deutschland existierte nicht ein einziges Metal-Magazin und schon gar keine Radio- oder TV-Sendung zu diesem Thema. Headbanger mußten damals ungefähr ein Jahr "Formel Eins", die damalige Hitparaden-Sendung der ARD, schauen, um schlussendlich zwei Minuten lang Maiden's "Run to the Hills"-Clip zu sehen. Die einzige Möglichkeit, sich regelmäßig über Neuigkeiten zu informieren, bestand in einer halbseitigen Rubrik einmal monatlich im Musik-Express. Auch Tourneen fanden kaum statt. Betrachtet man die Charts von 1983, wird schnell klar, dass zwischen Kajagoogoo, Culture Club, Captain Sensible und Michael Jackson allerhöchstens Platz für das entsetzliche "Dream On" der greisen Hardrocker Nazareth war - das einzige auch nur annähernd zum Metal-Umfeld zu zählende Stück mit Charts-Notierung im ganzen Jahr.

Gleichzeitig gab es jedoch eine verblüffend hohe Anzahl von Fans, die nach neuem Stoff dürsteten, und nachdem die Punk-Explosion wenige Jahre vorher beispielhaft vorgeführt hatte, wie so etwas geht, bildete sich auch in der Metal-Szene rasch ein Underground mit eigenen Fanzines - in Deutschland ab 1983 Shock Power, Blitzkrieg und das heute marktführende Rock Hard, vorher musste man sich mit dem holländischen Aardschock begnügen - und unabhängigen Labels wie Neat, Combat oder Roadrunner. Die Vertriebs-Situation war allerdings denkbar schlecht. Die heute auch den Metal-Markt bestimmenden Ladenketten ignorierten mit Ausnahme von WOM das Geschehen im Underground jahrelang, und so war man bis zu den ersten kommerziellen Erfolgen von Metallica, als plötzlich jeder bessere Elektro-Laden ein Metal-Sortiment offerierte, weithin auf das Fan-Netzwerk angewiesen.

Interessanterweise wird der Metal als Underground-Form gegen Ende der 80er durch diverse TV-Sendungen wie Headbanger's Ball (MTV), Mosh (RTL) oder Hard'n'Heavy (Musicbox) in einen Dornröschenschlaf versetzt, der erst endet, als während Grunge- und Alternative-Hype die entsprechenden Features von den Sendern gestrichen werden: Sofort wiederholt sich das Spiel, es bildet sich ein Fan-Netzwerk und die True Metal-Welle (stockkonservativer Retro-Metal, der ausschließlich die 80er gelten läßt, z. B. Primal Fear, Manowar, Iced Earth, Blind Guardian wird losgetreten. Und verkauft nicht schlecht.

Metallica veröffentlichten Ende 1982 als eine der ersten Bands der neuen Generation ein selbstproduziertes Demo im Eigenvertrieb, das "No Life 'till Leather" hieß und heute als erstes Dokument der Speed/Thrash Metal-Welle betrachtet werden darf. Mittels dieses Tapes errangen Metallica weltweiten Ruhm im Underground, was letztlich zum ersten Plattendeal bei Megaforce, einem frisch gegründetem Indie-Label, führte.

Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Wie schafft man es mit einem Tape, zum "next big thing" der Szene zu mutieren? Ganz einfach: die wenigen Besitzer der Originalkassette fertigen Kopien für ihre Freunde an, die wiederum weitere Kopien tauschen. Binnen weniger Jahre gab es Hunderte von Demos verschiedenster Metal Bands und eine weltumspannende Tapetrader-Szene. Ganz abgesehen vom völkerverbindenden Effekt - man tauschte mit Headbangern aus aller Herren Länder - bildete sich über diesen schwunghaften, aber nicht komerziellen Handel die Basis für den Ruhm von Metallica und vielen anderen Thrash Bands. Denn ein Demo-Tape bot damals nur in den wenigsten Fällen guten Klang, sogar wenn man im Besitz des Originals war, von Kopien der -zigten Generation ganz zu schweigen.

Logische Folge: Beim Erscheinen von "Kill 'em All" im September 1983 standen die Headbanger Schlange, um sich die vergleichsweise gut klingende Scheibe zuzulegen - und das ohne Radio-Einsätze, Plakatierungen oder kostspielige Anzeigen-Kampagnen. Sprich: Kaum jemand hätte Metallica gekannt, wäre nicht ihr Demo-Tape höchst unautorisiert immer weiterkopiert worden. Heute verschweigen Metallica auf ihrer Homepage das "No Life 'till Leather"-Tape wohlweislich. Man könnte auch noch ein wenig über das erste Homevideo der Band, "Cliff 'em All", nachdenken, das zu 90 Prozent aus Bootleg-Videos, also "Raubkopien" besteht und nach wie vor gutes Geld in die Metallicakassen bringt...

Ein weiteres Beispiel: Das erste Slayer-Album "Show No Mercy" war als Rohmix bestimmt ein dreiviertel Jahr vor Veröffentlichung als Tape in Umlauf, was dem Ruhm der Band offenbar nicht abträglich war. Wären Rob Halford (Priest) oder Steve Harris (Maiden) damals derart auf Gewinnmaximierung bedacht gewesen wie Metallica heute, hätten ihre Manager damals das Verbot der Leerkassette gerichtlich einklagen müssen. Das ist eine weitere Konsequenz, die bisher kaum bedacht wurde: So wie der aufstrebenden Metal-Szene der frühen 80er die Tonband-Kassette ein wertvolles Hilfsmittel war, ist es Napster für junge Musiker von heute, die nicht wie Metallica über den Promo-Apparat eines Millionen-Konzerns verfügen, via Napster aber einen gewissen Bekanntheitsgrad im Underground erlangen können.

Wie wenig mp3-files den Verkäufen schaden, zeigt als aktuelles Beispiel der Dancefloor-Mann Darude, dessen Stück "Sandstorm" vor der Veröffentlichung auf CD im Netz frei zugänglich war und sich nun trotzdem in den Charts wiederfindet. Auch der Metal-Nachwuchs hat die Zeichen der Zeit erkannt. Die deutschen Hopefuls Dies Irae, selbst Metallica-Fans, bieten nicht nur ihr komplettes Debüt-Album zum kostenlosen Download an, sondern haben mit Copy Saves Music auch eine interessante Initiative gestartet, die zeigt, wie weit die Sicht der Realität vom Kontostand beeinflusst wird.

Es stellt sich also letztendlich die Frage, ob Metallica einfach nur Marionetten der Majors sind, oder ob hier nebenbei die künftige Konkurrenz eines wertvollen, frei zugänglichen Instruments beraubt werden soll...