Die "Grüne Bewegung" und die Kraft zur Veränderung im Iran
Zur Geschichte der grünen Opposition, ihre Höhepunkte und die politische Apathie
Der iranisch-deutsche Regisseur Ali Samadi Ahadi erinnert in einem 80-minütigen Dokumentarfilm an die Sprengkraft von The Green Wave vor und nach den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 2009. Der Film feiert am 20. November seine internationale Premiere in Amsterdam, wird dann in Frankreich, der Schweiz und ab Januar 2011 in den deutschen Kinos gezeigt.
Einige Monate vor dem Urnengang für die Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 regte sich bei 70 Prozent der Jugendlichen unter 25 Jahren im Iran der politische Geist. Der Grund: Es gab einen aussichtsreichen, alternativen Präsidentschaftskandidaten, den Reformer Mir Hossein Mussawi, ehemaliger Premierminister von 1981 bis 1989 der islamischen Republik, der bereits im März 2009 seine Kandidatur gegen Mahmud Ahmadinedschad ankündigte. Mussawi wollte die Korruption im System beseitigen und garantierte die rein zivile Nutzung des iranischen Atomprogramms.
Die "Grüne Welle" keimt als kulturelle Revolte
Die "Grüne Welle" nahm ihren Anfang und war im Ausdruck vor allem kulturell. Junge Frauen, vor allem Studentinnen zogen sich grüne Schals über den Kopf und schminkten ihre Wimpern mit grüner Wimperntusche. Junge Männer trugen als Erkennungszeichen ihrer Anhängerschaft für Mussawi ebenso grüne Schals um den Hals.
Denn "grün" ist die Farbe des Islams, "grün" steht aber auch symbolisch für Gemeinschaft und Einheit. "Grün" sollte die neue Spannkraft der bisher apolitischen Jugend verkörpern, die das System nachhaltig mit ihrer Stimme verändern wollten. Und es waren Massen, die Mir Hossein Mussawi mit seinen Reden zu Pressefreiheit und Gewaltlosigkeit im Mai im Azadi-Stadion im Westen Teherans um sich scharte. Sie dankten ihm seinen Demokratisierungsversuch mit Slogans wie "Return to Justice". Der Traum der politisch aktiven Jugend.
Urnengang mit Hindernissen
Schon beim Urnengang fürchtete und spürten viele junge Wähler die Tücken des bestehenden Regimes. Wer Mussawi auf dem Wahlzettel ankreuzen wollte, musste erst den von der Verwaltung dafür vorgesehenen Code kennen. Eine Hürde, an der viele Wähler scheiterten.
Nachdem die Wahllokale aber trotzdem überfüllt waren, teilten die Behörden kurzerhand mit, es gebe keine Wahlzettel mehr. In der Folge wurden die Wahllokale früher als erwartet geschlossen. Gleichzeitig wurden die Web-Seiten blockiert, das Internet überwacht und eine SMS-Übertragung per Handy war nicht mehr möglich.
Bilder der "Grünen Bewegung" wurden illegal in den Westen geschickt
Der Dokumentarfilm von Regisseur Ali Samadi Ahadi zeichnet erstmals die Geschehnisse vor und nach den Präsidentschaftswahlen aus der Sicht der Akteure der "Grünen Bewegung" nach. Seine fiktive Filmsprache ist die der Animation. Über Zeichentrickszenen wird die Geschichte anhand zweier fiktiver Biographien der beiden politisch aktiven Studenten Azandeh, gespielt von Pegah Ferydoni und Kaveh, dargestellt von Navid Akhavan erzählt.
Samadi Ahadi kreiert im Film eine Mehrebenenanalyse, reichlich durchsetzt mit Dokumentaraufnahmen, die Iraner aus Teheran für den Film heimlich in den Westen geschickt haben. Die Informationen für die Erzählebene zieht Ali Samadi Ahadi aus 1500 Blog-Seiten, geschrieben von Journalisten, Schriftstellern, Mussawi’s Wahlhelfern, Bewegungsakteuren. Samadi Ahadi wählte daraus 15 Blogs als direkte Filmvorlage aus.
"Where is my vote?"
Als der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad kurz darauf das Wahlergebnis im Fernsehen verkündete, waren die Jugendlichen fassungslos. Der amtierende Präsident erhielt eine deutliche Mehrheit. In Teheran herrschte plötzlich Totenstille. Zwei amtierende Minister sprachen unter eidesstattlicher Erklärung von Wahlbetrug.
Das Wahlvolk setzte sich in Bewegung und zog zu Tausenden auf die Straße. Der friedliche Protest hatte begonnen und damit Fragen. Fragen an das Regime, den amtierenden Präsidenten, an die Zukunft "Where is my vote?" Der Film ist deshalb so eindrucksvoll, weil er aus der komponierten Retrospektive die Zäsuren der Bewegung kenntlich sichtbar machen kann. Ab wann setzt sie ein? Wo ist ihr Höhepunkt?
Samadi Ahadi hat mit einem Team von rund 40 Leuten 10 Monate an der Realisierung des Films fieberhaft gearbeitet, wovon 40 Minuten reine Animation sind. Er setzt den Beginn der Zerschlagung der Bewegung genau da an, wo die Jugendlichen nach ihrer Stimme gefragt haben. Ab da kippte die Stimmung im System vollends.
Ahmadinedschad verbündete sich zuerst mit dem obersten Geistlichen der islamischen Republik und versprach die Kontinuität des Glaubenssystems. Dann erklärte der Staat das Stadtgebiet Teherans zum Militärgebiet. Terror mit Schlägertrupps setzte ein, um die Demos zu destabilisieren.
Terror der Milizen gegen die friedliche Bewegung
Das Verdienst des Regisseurs ist es auch, dass er Details kennt und benennt. Und er führt Zeugen an, die aus unterschiedlicher Perspektive die Situation beleuchten. Aktivisten fragen "Warum schießt ihr auf mich, wenn ich frage, wo meine Stimme geblieben ist?"
70 Menschen verlieren ihr Leben. Viele Studenten, Jugendliche, auch Kinder, Frauen werden von der Miliz gefangengenommen und zu 200 Personen in Zellen im berüchtigten Gefängnis Teherans Kahrisak eingesperrt. Die Zellen sind überfüllt und alle Gefangenen müssen aufrecht stehen, Tag und Nacht. Die Wände sind von den Wunden blutverschmiert. Die Wächter kommen mit Knüppeln und Tränengas in die Zellen. Wer den Morgen überlebt oder nicht ins Koma fällt, wird am nächsten Tag mit nacktem Körper auf Pick-ups geworfen, in die Wüste gebracht und irgendwo auf dem Boden liegen gelassen.
Gefängnis Iran
Das Wüten von Polizei und Miliz erstickt die Hoffnung. Kein Wähler von Mussawi wurde übersehen. Die Akteure der "Grünen Welle" fallen gedemütigt, geknebelt, gefoltert zurück in Starre, die politische Apathie der Vorzeit.
Die Studentin Azandeh entgeht den Häschern des Systems ebenso wenig und kommt ins Gefängnis. Dort sucht Azandeh nach dem Mond und den Sternen und zählt an den Gefängniswänden stattdessen die Namen der Gefolterten. Als sie das Gefängnis verlassen darf, wird ihr bewusst, dass sie nun in ein noch größeres Gefängnis schreitet, das Gefängnis Iran.