"Die Islamische Revolution hat der Mehrheit der iranischen Bevölkerung den Glauben ausgetrieben"
Der im deutschen Exil lebende iranische Schriftsteller SAID über die Arroganz der Europäer und die Ignoranz der Orientalen, über den Islam, Iran und die Mystik
Seit 1965 lebt der iranische Dichter Said im deutschen Exil. Er hat in der deutschen Sprache eine neue Heimat gefunden. In seinem neuem Essay-Band Das Niemandsland ist unseres verstrickt Said Morgenland und Abendland in ein Gespräch über gemeinsame Wurzeln, berühmte Grenzgänger zwischen den Kulturen und über Perspektiven für eine respektvolle Annäherung.
Sie sind in Iran aufgewachsen und mussten später flüchten. Ihre Biographie ist eine Verstrickung vom Morgenland und Abendland. Was halten Sie von der heute vorherrschenden "reinen" Trennung zwischen Orient und Okzident – gestützt auf die kulturwissenschaftliche These des Kampfs der Kulturen?
Said: Ich finde zunächst diese Trennung tödlich. Aber ich bin auch überzeugt, dass es nicht auf den "Kampf der Kulturen" gestützt ist. Das ist ja ein Slogan, der erst seit ein paar Jahren Mode geworden ist. Ich denke eher, dass es auf die Arroganz der Europäer und die Ignoranz der Orientalen zurückzuführen ist. Die Europäer glauben, dass alles ihnen gehört und von hier aus alles bestimmt werden muss. Im Orient dagegen glaubt man oft, die Europäer sind dumm und denken nur an das Geld, wir aber haben die Mystik und die schönen Werte. Beides ist natürlich falsch. Goethe hat ja bereits gezeigt, dass es anders geht.
Ihr soeben erschienenes Buch trägt den Titel "Das Niemandsland ist unseres". Wo liegt dieses Niemandsland? Ist dies ein innerer Zwiespalt, oder was kann man darunter verstehen?
Said: Naturgemäß ist jemand mit meiner Biographie zwischen diesen beiden Kontinenten, diesen atmosphärischen Räumen hin- und hergerissen. Das Niemandsland dazwischen ist letztendlich eine veritable Angelegenheit. Man glaubt, dass es das Niemandsland gibt, aber natürlich gibt es das Niemandsland geographisch nicht. Das Problem ist, dass ich mich nicht als Europäer bezeichne. Ich bezeichne mich immer noch als Iraner. Ich habe auch keinerlei Illusionen darüber, dass ich, wenn ich heute nach Hause fahren dürfte, dort ein Fremder wäre, und zwar mit ganz anderen Konsequenzen als ein Fremder in Europa. Ein Fremder in Europa hat gewisse Rechte dank der Französischen Revolution, der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Strukturen. Dort haben sie diese Rechte nicht.
Ich habe meine Religiosität vor der Islamischen Republik verteidigt
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie dank ihrer Kindheit eine freie Haltung zu Religionen haben. Sind Sie ein religiöser Mensch oder haben Sie aufgrund Ihrer Erlebnisse im Iran eine Distanz zur Religion?
Said: Im Iran hat 1979 eine Religion direkt die Macht ergriffen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Religionen nur dann erst aggressiv und reaktionär werden, wenn sie ein geschlossenes System sind und sich abgrenzen wollen von anderen Religionen. Ich sage immer über mich, dass ich meine Religiosität verteidigt und bewahrt habe gegen die Islamische Republik, was nicht leicht war. Ich gebe mich dafür nicht her – ich als erklärter Gegner dieser Republik –, gegen den Islam ins Feld zu ziehen oder gegen das Christentum. Das ist nicht meine Sache.
Das, was jetzt geschehen ist, gepaart mit dem Terrorismus, der vom Iran aus finanziert und unterstützt wird, ist eine politische Angelegenheit. Wir müssen die politische Variante bekämpfen. Während im Libanon die Hisbollah auf diese Art und Weise wütet, haben wir in direkter Nachbarschaft Jordanien, wo eine liberale Regierung an der Macht ist, die gute Beziehungen zu Israel unterhält. Das kann also nicht mit dem Islam zu tun haben, sondern mit der Struktur der Gesellschaft. Und diesen Fehler begehen einige Europäer, indem sie den Islam verurteilen. Ein fataler Fehler!
Das Problem ist also, dass zwischen Islamismus als moderner politischer Ideologie und der Religion Islam nicht differenziert wird?
Said: Ich mag den Begriff "Islamismus" nicht. Aber der islamische Terrorismus ist geboren aus nationalistischen Gründen, nämlich nach dem im Krieg 1967. Die arabischen Armeen haben in diesem Krieg total versagt. Nasser hatte jahrelang gepredigt "Wir werden siegen!", und dann haben die Menschen gesehen, wie diese Politiker versagt haben und nichts taugen. In der Geschichte ist es sehr oft vorgekommen, dass sich die Menschen – wenn sie keine andere Chance haben – zurück zur Religion wenden. Es ist zwar nicht mein Gang, aber es ist eine ganz normale Entwicklung. Die Ursachen müssen wir in den Nationalstaaten und in den Nationalregierungen sehen, nicht in der Religion selbst, denn jede Religion – das gilt sowohl für den Islam als auch das Christentum – lebt von Interpretationen.
Sie haben eben erwähnt, dass Sie ihre Religiosität vor der Islamischen Republik bewahrt haben. Was hat die sog. "Islamische Revolution" im Iran, die sich auf Gott beruft, für Auswirkungen auf den Glauben der Menschen dort gehabt?
Said: Die Islamische Revolution hat der Mehrheit der iranischen Bevölkerung den islamischen Glauben ausgetrieben. Nirgendwo in der islamischen Welt sind die Moscheen so leer wie im Iran. Die Menschen sind müde und geben sich einer anti-islamischen Haltung hin. Das ist eine große Gefahr. Denn gerade im Iran ist nach der Islamischen Revolution die Stunde des iranischen Nationalismus gekommen, was verheerend ist. Noch nie hat die iranische Geschichte diese Art von aggressivem, arrogantem Nationalismus gekannt. Dies geschieht aus Trotz gegen den Islam, allerdings sollte es gegen die Islamische Republik sein. Ich glaube, dass die Islamische Republik den Islam sehr geschwächt hat, nicht nur im Iran.
Die iranischen Gefängnisse sind voll von religiösen, nicht von linken oder liberalen Menschen
In Ihrem neuen Buch haben Sie dem persischen Dichter Hafis ein Kapitel gewidmet. Zwischen den Dichtern Goethe und Hafis gab es eine besondere Beziehung, wie man im "West-Östlichen Diwan" Goethes sehen kann. Was für ein Stellenwert hat für Sie Hafis?
Said: Er ist der Prophet. Ein Beispiel: Als die Islamische Revolution ausbrach, haben die Intellektuellen unter den Mullahs Hafis als Weintrinker angegriffen. Dann brach der Krieg aus, und Irak überfiel den Iran. Die Wochenzeitung der Revolutionsgardisten hatte ein Motto. Das Motto war von Hafis. Sie konnten an diesen Mann nicht vorbei. Diese Regierung hat alles getan, um Hafis zu besiegen. Es ist ihnen aber nicht gelungen. Hafis ist eine mystische Größe. Die Menschen brauchen einen Halt und Hafis ist heute ein Halt für die Leute. Es existieren hunderte Ausgaben von seinem Diwan. Selbst der Führer der Revolution rühmt sich heute damit, dass er ein sehr guter Hafiskenner sei. Das ist derselbe Hafis, den sie abschaffen wollten.
Kommt dem "West-östlichen Diwan" heute eine besondere Bedeutung zu, in Zeiten, wo Ideologen auf beiden Seiten im Anderen ein Feindbild sehen?
Said: Ich glaube kaum, dass die islamische Welt im Augenblick davon Notiz nimmt. Der Kultur haben die Herrschaften, die an der Macht sind, großen Schaden zugefügt. Die Zahl der Bücher und die Höhe der Auflagen gehen rapide runter. Ich glaube, die große Masse im Iran – zu meinem Leidwesen – beschäftigt sich wenig damit. Man beschäftigt sich mit großer Bewunderung mit den europäischen technischen Errungenschaften. Dieser Schritt von Goethe war der Geschichte voraus. Wenn man diesem Schritt gefolgt wäre – auf beiden Seiten wohl bemerkt –, wären wir jetzt ganz woanders. Daran denkt die große Masse im Orient nicht. In Europa übrigens auch nicht. Eine handvoll Intellektuelle wissen, was dieser Gang bedeutet hat. Wie gesagt, hier Arroganz, dort Ignoranz. Das verträgt sich gut.
Wie konnte Hafis, der sein Heimatdorf Schiras nie verließ, zu Lebzeiten weltweit Menschen mit seinen Versen verzaubern?
Said: Das ist die Kraft der Mystik. Bekanntlich sagt Hafis, er heiße Hafis, weil er den Koran auswendig könne. Seine Ausgangsposition war also der Koran. Er sagt in einem Gedicht, wenn du wie ich 13 Versionen vom Koran auswendig kennst, dann schreist du vor Liebe. Er endet also ausgehend vom Koran bei der Liebe. Das ist heute fatal im Iran, weil niemand den Koran so interpretiert. Die, die es tun, sitzen im Gefängnis. Die iranischen Gefängnisse sind im Augenblick voll von Religiösen, nicht von Linken oder Liberalen. Sie werden verhaftet, weil sie von ihrer Koraninterpretation ausgehend gegen diese Regierung vorgehen. Das ist der Anfang von Ende dieses Regimes. Das kann sehr lange dauern, ich bin nicht blauäugig, aber zum ersten Mal kommen Mullahs auf die Demonstrationen gegen die Regierung. Das ist ein Unikum.
Die Mischung Religion und Politik war immer schädlich
Von Goethe stammen ja auch folgende Zeilen: "Wenn Islam Gott ergeben heißt/im Islam leben und sterben wir alle."
Said: Der Islam ist ja nichts Böses, vorausgesetzt man verwechselt Islam nicht mit politischen Aktivitäten. Wenn der Islam sich als Befreiungsbewegung versteht, dann ist dies furchtbar. Das hat auch das Christentum versucht, siehe Nordirland bis heute. Die Mischung Religion und Politik war immer schädlich. Nun war Goethe ja jemand – Sie wissen ja, dass der Begriff "Weltliteratur" von ihm stammt -, der die Welt als Einheit verstanden hat, nicht als Orient und Okzident. Und er war unbeeinflusst von solchen arroganten Theorien, die übrigens nach ihm erst entstanden sind. Der sogenannte Orientalismus hat in einer fatalen Weise dazu beigetragen, dass Generationen von Europäern ein vollkommen falsches Bild vom Orient hatten. Und das auch noch wissenschaftlich, bis mein Namensvetter Edward Said gekommen ist und damit aufgeräumt hat.
Sie sagen von sich, dass sie kein religiöser Mensch sind, aber Wert auf Religion legen. Braucht der Mensch Religionen, um seine Demut nicht zu verlieren?
Said: Was der Mensch braucht, weiß ich nicht. Ich bin kein Prophet. Ich übe keine Religion aus und habe auch nie eine ausgeübt. Ich habe meine Religiosität mit Mühe und Not gegen die Barbaren gerettet, die im Namen eines Gottes regieren. Aber ich glaube, dass der Mensch etwas in diese Richtung braucht. Man kann es Spiritualität, Religiosität oder wie Max Weber "religiösen Musikalität" nennen. Ein Schwingen, etwas, das in uns ist und auf etwas anderes zielt.
Ein Hauptproblem Europas ist das Fehlen dieser Demut. Ich war den Tränen nahe, als der amerikanische Präsident, von dem man sagt, er sei der stärkste Mann, sein Amt mit den Worten begonnen hat: "Mit großer Demut stehe ich hier vor den Problemen." Demut ist ja nicht Unterwürfigkeit, es ist etwas ganz anderes.
Mehr von Eren Güvercin in seinem Blog