Die Jäger des verschlüsselten Schatzes
Gibt es etwas Spannenderes als eine verschlüsselte Nachricht aus dem 19. Jahrhundert, die bis heute nicht entziffert ist?
Ja, das gibt es: zwei verschlüsselte Nachrichten aus dem 19. Jahrhundert, die nicht nur ungelöst sind, sondern obendrein das Versteck eines wertvollen Schatzes verraten könnten.
Genau dies ist bei den so genannten Beale-Chiffren der Fall, die seit etwa 120 Jahren Verschlüsselungsexperten (Kryptologen) und Schatzsucher in ihren Bann ziehen. Es handelt sich dabei um eines der bekanntesten kryptologischen Rätsel überhaupt. Schade nur, dass es berechtigte Zweifel an der Existenz des angeblichen Schatzes gibt.
Alles, was wir über die Beale-Chiffren wissen, steht in einem Büchlein, das 1885 von einem amerikanischen Verleger namens James Ward veröffentlicht wurde. Glaubt man dem darin enthaltenen Bericht, dann nahm die Geschichte der rätselhaften Botschaften im Jahr 1817 ihren Anfang, als eine Gruppe von 30 Büffeljägern in einer Schlucht in New Mexico ihr Nachtlager aufschlug. Die Männer wollten gerade das Abendessen zu sich nehmen, als einer von ihnen in einer Felsspalte ein gelblich glänzendes Material entdeckte. Kein Zweifel: Es handelte sich um Gold.
Der Schatz der Büffeljäger
Angesichts dieses Fundes beendeten die Männer die Büffeljagd und suchten in der Schlucht weiter nach dem wertvollen Edelmetall. Nach 18 Monaten hatten die 30 Jäger genug Gold und zudem reichlich Silber gefunden, um allen von ihnen ein Leben im Wohlstand zu ermöglichen. Einige der Männer – darunter ein gewisser Thomas Beale –machten sich nun auf den Weg in die Heimat nach Virginia. Dies bedeutete zur damaligen Zeit eine Reise aus dem Wilden Westen in die Zivilisation. Während Beale nach der Abreise seiner Begleiter den Winter im Washington-Hotel in Lynchburg (Virginia) verbrachte, versteckte er den Goldschatz an einem sicheren Ort in der Nähe. Während seines Aufenthalts lernte Beale den Direktor des Washington-Hotels kennen. Dieser hieß Robert Morriss und war offensichtlich ein vertrauenswürdiger Mensch. Morriss sollte im weiteren Verlauf der Geschichte eine wichtige Rolle spielen.
Im Frühjahr 1821 kehrte Beale nach New Mexico zu seinen Kollegen zurück. Diese hatten in der Zwischenzeit weiter erfolgreich Gold und Silber geschürft. Auch die folgenden 18 Monate erwiesen sich als ergiebig. Gegen Ende des Jahres 1823 reiste Beale erneut nach Lynchburg, um eine weitere Ladung in seinem Versteck zu deponieren. Neben Gold und Silber kamen ein paar Juwelen dazu, die Beale des einfacheren Transports wegen gegen die wertvollen Metalle eingetauscht hatte.
Bei seinem zweiten Besuch in Lynchburg trug Beale außerdem eine verschlossene Kiste mit sich, die er dem vertrauenswürdig erscheinenden Hoteldirektor Morriss zur Verwahrung übergab. Nach Beales Abreise erhielt Morriss im Mai 1823 einen Brief aus St. Louis. Darin bat Beale den Hoteldirektor, die Kiste weiterhin sorgsam aufzubewahren. Falls sie innerhalb von zehn Jahren niemand abholen würde, sollte Morriss sie aufbrechen und die darin notierten Anweisungen befolgen. Diese Anweisungen, so schrieb Beale, waren teilweise verschlüsselt und ließen sich nur mit einer Geheiminformation entschlüsseln, die ein Freund von Beale nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist an Morriss schicken sollte. Morriss tat, wie ihn sein früherer Hotelgast aufgetragen hatte, und hütete die rätselhafte Kiste über die Jahre hinweg wie seinen Augapfel.
Doch niemand kam je, um die Kiste abzuholen. Im Juni 1834 waren die zehn Jahre schließlich vergangen. Nun wartete Morriss auf einen Brief mit der angekündigten Geheiminformation, doch auch ein solcher traf nie ein. So ließ sich der pflichtbewusste Hoteldirektor weitere elf Jahre Zeit, bevor er die geheimnisvolle Kiste 1845 schließlich aufbrach. Er fand darin drei verschlüsselte Nachrichten sowie ein an ihn gerichtetes Schreiben von Beale. Darin erklärte dieser die Geschichte mit dem versteckten Schatz und forderte Morriss auf, die drei Nachrichten zu entschlüsseln. Die erste sollte die Lage des Schatzes verraten, die zweite dessen Inhalt. Die dritte Nachricht sollte eine Liste der 30 Personen enthalten, denen (oder deren Angehörigen) ein Anteil am Schatz zustand. Morriss sollte sich um die Bergung und Verteilung des Vermögens kümmern, wofür ihm Beale ein Einunddreißigstel des Schatzes zusprach.
Die drei verschlüsselten Nachrichten bestanden jeweils aus Zahlen, die durch Kommas getrennt waren. In der ersten standen 520 Zahlen, die zwischen 1 und 2906 lagen, in der zweiten waren es 763 Zahlen (zwischen 1 und 1.005) und in der dritten 617 (zwischen 1 und 975). Die vollständigen Nachrichten sind auch online verfügbar. Da Morris die benötigte Geheiminformation nie erhalten hatte, konnte er die drei Nachrichten nicht entschlüsseln. Er versuchte daher, den Code zu knacken. Dies gelang ihm jedoch nicht. Im Jahr 1862 – im Alter von 84 Jahren – weihte er schließlich einen Freund ein, dessen Identität nicht überliefert ist. Diesem Freund gelang es, die zweite der drei Beale-Chiffren zu entziffern. Den Schlüssel dazu lieferte die US-Unabhängigkeitserklärung.
(1) Deren (2) Wörter (3) hatte (4) der (5) Verschlüssler (6) offensichtlich (7) wie (8) diesen (9) Satz (10) durchnummeriert (11) und (12) mit (13) den (14) Anfangsbuchstaben (15) eine (16) Tabelle, (17) wie (18) die (19) folgende (20) aufgestellt:
Nach Durchnummerierung der gesamten Unabhängigkeitserklärung erhielt er eine Tabelle, die jedem Buchstaben einige Zahlen zuordnete. Beim Verschlüsseln wählte er für jeden Buchstaben des Texts eine der zugehörigen Zahlen aus. Diese Methode gehört zur Familie der so genannten homophonen Verschlüsselungsverfahren. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass es für einen Buchstaben mehrere Geheimtextzeichen geben kann, wobei häufige Buchstaben mehr Entsprechungen haben als seltene. Setzt man ein homophones Verschlüsselungsverfahren richtig ein, dann kommt jeder Geheimbuchstabe etwa gleich oft vor, was eine Dechiffrierung durch das Zählen von Buchstaben verhindert. Die zweite Nachricht hatte (auf Deutsch übersetzt) folgenden Wortlaut:
Ich habe im Bezirk Bedford, etwa vier Meilen von Buford’s (bei Lynchburg), in einem Graben oder einer Höhle die im Folgenden genannten Gegenstände sechs Fuß unter der Oberfläche vergraben. Diese Gegenstände gehören gemeinsam den Parteien, deren Namen in (Nachricht) Nummer drei angegeben sind. Die erste Ladung, die im November 1819 deponiert wurde, bestand aus 1.014 Pfund Gold und 3.812 Pfund Silber. Die zweite Ladung stammt vom Dezember 1820 und bestand aus 1.907 Pfund Gold und 1.288 Pfund Silber sowie Juwelen, die in St. Louis eingetauscht wurden, um den Transport zu erleichtern, und die 13.000 Dollar wert sind. Die genannten Gegenstände sind sicher in Eisengefäße mit Eisendeckeln verpackt. Die Höhle ist grob mit Steinlinien umfasst, und die Gefäße ruhen auf solidem Stein und sind mit solchen bedeckt. Nachricht Nummer 1 beschreibt den genauen Ort der Höhle, wodurch sie einfach gefunden werden kann.
Beales Freund versuchte zwar auch, die anderen beiden Chiffren zu lösen, doch das gelang ihm nicht. So verfasste er schließlich das besagte Büchlein, in dem er die gesamte Geschichte des Beale-Schatzes erzählte und so die drei verschlüsselten Nachrichten sowie das Schreiben an Morriss für die Nachwelt festhielt. 1885 bat er den Verleger James Ward, diese Schrift zu veröffentlichen. Seinen Namen verschwieg Morriss’ unbekannter Freund, um nicht von Schatzsuchern belästigt zu werden.
Wie man sich leicht vorstellen kann, stieß die Veröffentlichung der Beale-Schrift auf großes Interesse. Kryptologen und solche, die sich dafür hielten, stürzten sich auf die verschlüsselten Nachrichten und suchten nach Lösungswegen. Mehrere Personen machten die Suche nach dem Beale-Schatz zu ihrer Lebensaufgabe. Für 1.325 Kilogramm Gold, 2.313 Kilogramm Silber sowie Juwelen in unbekannter Menge nahmen sie so ziemlich jede Anstrengung auf sich. Der Gesamtwert des Schatzes dürfte bei etwa 25 Millionen Euro liegen – der Wert der Medienrechte nicht mitgerechnet.
Bis heute sind in und um Lynchburg Schatzsucher mit Metalldetektoren unterwegs, und an zahlreichen Stellen finden sich Spuren von Grabungen. Einige besonders dreiste Beale-Fanatiker sprengten gar Löcher in den Boden oder buddelten Gräber auf dem Friedhof auf. Kein Wunder, dass die Einwohner Lynchburgs nicht besonders gut auf die goldgierigen Besucher zu sprechen sind.
Nur ein Scherz?
So schön die Sache mit den Beale-Chiffren auch klingt – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind sie nicht mehr als ein Scherz. Die zahlreichen Indizien lassen keinen anderen Schluss zu. Ein großer Schwachpunkt ist beispielsweise die Quelle. Alles, was wir über den Schatz und dessen Versteck wissen, stammt aus dem von Ward veröffentlichten Büchlein aus dem Jahr 1885. Keiner der entscheidenden Punkte der Geschichte wird durch eine zweite Quelle bestätigt.
Zwar gab es Volkszählungsunterlagen zufolge im 19. Jahrhundert tatsächlich US-Amerikaner, die Thomas Beale hießen. Doch keiner davon ließ sich bisher als die gesuchte Person identifizieren. Auch die Identität der anderen Büffeljäger ist unbekannt, genauso wie der Ort, an dem die Männer auf Gold gestoßen sein sollen. Immerhin gab es den Hoteldirektor Morriss wirklich, doch kein Historiker hat bisher in seinem Umfeld einen Hinweis auf die geheimnisvolle Kiste gefunden. Als die Beale-Schrift veröffentlicht wurde, war Morris längst tot. Auch weiß niemand, wer dessen Freund gewesen sein soll, der 1885 über den Verleger Ward den Bericht über den Schatz veröffentlichte. So hört sich alles nach einer geschickt konstruierten Geschichte an, die so angelegt ist, dass sich die wesentlichen Inhalte nicht überprüfen lassen.
Für einen Scherz spricht auch die Beale-Geschichte selbst. Ist es glaubhaft, dass Goldschürfern den Ertrag Jahre langer Arbeit über Tausende von Kilometern in ein Versteck transportieren lassen? Warum haben sie das Gold nicht untereinander aufgeteilt, um sich anschließend zu trennen? Warum hat keiner die Kiste bei Morriss abgeholt? Warum hat offenbar jeder der 30 Männer sein Geheimnis mit ins Grab genommen? Unklar ist auch, wie Beale den Schatz transportiert hat. Glaubt man der zweiten Beale-Nachricht, dann müsste das Gold und das Silber zusammen etwa 3,6 Tonnen gewogen haben – wer wollte eine solche Fracht über Tausende von Kilometern durch den Wilden Westen verfrachten?
Sprachliche Analysen lassen ebenfalls Zweifel aufkommen. Die Texte Beales enthalten die Wörter „stampede“, „appliance“ und „improvise“, die erst Jahre später erstmals in anderen Dokumenten aus Virginia auftauchen. Entscheidender ist jedoch ein anderes Argument: Sprachwissenschaftler haben zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen dem Schreibstil Beales und dem des anonymen Autors entdeckt. Es könnte durchaus sein, dass beide Texte vom selben Verfasser stammen.
Auch die Nachrichten selbst geben Rätsel auf. Warum gibt es drei davon, obwohl eine genügt hätte? Warum hat der Urheber verschiedene Verschlüsselungsverfahren angewandt? Geht man von einem Scherz aus, dann wäre all dies verständlich: Die zweite, entschlüsselte Nachricht gibt den Inhalt und die ungefähre Lage des angeblichen Schatzes bekannt und weckt dadurch Neugier. Die beiden anderen Teile, die möglicherweise nur Unsinn enthalten, werden dadurch umso spannender.
Bei einem Krypto-Historiker kommen ebenfalls schnell Zweifel auf. Das zur Verschlüsselung der zweiten Nachricht verwendete homophone Verfahren zählt zum Besten, was die Kryptologie im frühen 19. Jahrhundert zu bieten hatte. Auch wenn der Verschlüssler es nicht ganz sachgemäß einsetzte, stellt sich eine Frage: Konnte ein Büffeljäger um das Jahr 1820 ein derartiges kryptologisches Fachwissen besitzen? Zur Erinnerung: Die vier Jahrzehnte später im Sezessionskrieg eingesetzten Methoden waren größtenteils deutlich schlechter. Ohnehin müsste es sich bei Beale um einen recht gebildeten Büffeljäger gehandelt haben, denn die von ihm verfassten Texte deuten nicht gerade auf eine kurze Dorfschulkarriere hin.
Geht man von einer Entstehung um das Jahr 1885 aus, dann wird die Sache deutlich plausibler. In den Jahrzehnten zuvor hatte die Kryptologie im Schlepptau der immer populärer werdenden Telegrafie einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht. Nicht zuletzt durch den Sezessionskrieg war kryptologisches Wissen nun auch deutlich weiter verbreitet. Für einen US-Amerikaner mit entsprechender Schulbildung und Interesse an der Kryptologie war eine homophone Verschlüsselung zu diesem Zeitpunkt sicherlich kein Hexenwerk mehr.
Allerdings sind dies alles nur Indizien, aber keine harten Beweise. Doch auch diese gibt es. So haben Historiker herausgefunden, dass Morris das Washington-Hotel erst 1823 übernahm – zu diesem Zeitpunkt hatte Beale die Kiste nach Angaben der Beale-Schrift schon längst übergeben. Hat sich Morriss in seinen Lebenserinnerungen vielleicht mit den Jahreszahlen vertan? Möglich, aber warum stimmt dann die Datierung des Briefs mit seinen Angaben überein? Hat sich dabei auch jemand geirrt? Alles sehr unwahrscheinlich.
Noch überzeugender ist folgender Beweis für die Hoax-Theorie: In der Beale-Schrift ist die Unabhängigkeitserklärung abgedruckt, die den Schlüssel für die zweite Nachricht liefert. Allerdings sind darin ein paar Fehler enthalten. Erstaunlicherweise liefert die Entschlüsselung nur mit dieser falschen Version das korrekte Ergebnis. Hatten Beale und der anonyme Autor durch einen Zufall die gleiche fehlerhafte Abschrift der Unabhängigkeitserklärung vorliegen? Unwahrscheinlich, denn diese falsche Version taucht sonst nirgendwo auf. Es ist also schon ein gewisses Maß an Realitätsferne notwendig, wenn man immer noch an den Beale-Schatz glauben will.
Und was sagt die Kryptologie?
Auch wenn der Beale-Schatz höchstwahrscheinlich eine Erfindung ist, könnten die beiden verbleibenden Nachrichten durchaus einen Inhalt haben. An kryptologischen Untersuchungen mangelt es nicht. Als derzeit bedeutendster Beale-Chiffren-Experte gilt der Informatik-Professor Carl Hammer. Er war der erste, der die drei verschlüsselten Nachrichten mit einem Computer analysierte. Dabei konnte er sie zwar nicht lösen, doch er fand interessante Details heraus.
So fiel Hammer auf, dass der Urheber die homophone Chiffre für die zweite Nachricht nicht wirklich sachgemäß eingesetzt hatte. Anstatt auf eine gleiche Häufigkeit der Zahlen zu achten, bevorzugte der Verschlüssler jeweils bestimmte Zahlen, wodurch sich Häufungen ergaben. Darüber hinaus enthielt die Verschlüsselung einige Fehler. Man kann daher davon ausgehen, dass der Verfasser der Beale-Chiffren nicht wirklich geübt war.
Statistische Analysen legen nahe, dass die erste und die dritte Nachricht auf ähnliche Weise verschlüsselt sind. Allerdings ist die Buchstabenverteilung nicht so flach wie bei der zweiten, bereits entschlüsselten. Es könnte sein, dass es sich bei diesen beiden um Wörter-Codes handelt. Dies bedeutet, dass jede Zahl für ein bestimmtes Wort steht. Der Schlüssel ist in diesem Fall eine Art Wörterbuch. Wörter-Codes gibt es mindestens seit der Renaissance-Zeit, und sie waren teilweise sehr populär. Die Häufigkeit der jeweiligen Zahlen sowie einige andere Beobachtungen passen sehr gut. Allerdings: Warum sollte sich der Verfasser der Beale-Chiffren die Mühe gemacht haben, ein Code-Buch zu entwickeln, wenn es auch einfacher ginge. Oder hat er einfach ein existierendes Code-Buch verwendet, das in der Zwischenzeit verloren gegangen ist?
Und was sollte überhaupt in den beiden verschlüsselten Nachrichten stehen? Die Lage des angeblichen Schatzes sicherlich nicht. Einige Unverbesserliche hoffen, es sei ein anderer Schatz – beispielsweise einen der Konföderierten aus dem Sezessionskrieg. Eine andere Vorlage liefert die Tatsache, dass James Ward Freimaurer war. Sollte er mit den beiden verschlüsselten Texten etwas Konspiratives verbreitet haben? Leider bleibt dies alles Spekulation. Viel wahrscheinlicher ist da schon, dass die Dechiffrierung einen Text ergibt, der den Scherz enthüllt. Oder erhält man auf diese Weise einen Text, der neue Rätsel aufgibt, und so das Interesse neu entfachen könnte?
Vielleicht sind die beiden ungelösten Nachrichten in Wirklichkeit unentschlüsselbarer Datenmüll. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist dies leider nur schwer zu beweisen. 1980 veröffentlichte der US-amerikanische Informatiker James Gillogly eine Untersuchung, die die Unsinns-Hypothese 1. Gillogly versuchte, die erste Nachricht auf dieselbe Weise zu entschlüsseln wie die zweite. Diese Idee war nicht neu, und so kam dabei nichts Sinnvolles heraus. Zu seiner Überraschung stieß Gillogly jedoch im Resultat auf die Buchstabenfolge ABFDEFGHIIJKLMMNOHPP. Unter der Einbeziehung von zwei Fehlern, die beim Verschlüsseln der zweiten Nachricht gemacht wurden, wurde daraus ABCDEFGHIIJKLMMNOOPP. Diese Folge hat eine so große Ähnlichkeit mit dem Alphabet, dass es kaum ein Zufall sein kann. Es gibt daher zwei Möglichkeiten: Zum einen könnte eine weitere Entschlüsselung zum Klartext führen; zum anderen könnte es Nonsense sein. Gillogly bringt einige Argumente, die die Schabernack- Theorie stärken.
Bleibt schließlich noch die Frage, wer hinter dem Beale-Schabernack steckte. Höchstwahrscheinlich wusste Ward über den Schwindel Bescheid. Ob er selbst der Autor war, oder ob ihm jemand zuarbeitete, erscheint eher nebensächlich. Doch unter Hobbyhistorikern ist es eine weit verbreitete Unsitte, in solchen Fällen irgendwelche Prominente ins Spiel zu bringen. Im Falle der Beale-Chiffren heißt der prominente Verdächtige Edgar Allan Poe. Der bekannte US-Schriftsteller soll in den Augen einiger Hobby-Forscher die Beale-Schrift verfasst haben. Auch wenn es – wie meist in diesen Fällen – keinerlei historische Spuren gibt, muss man den Vertretern dieser These einige brauchbare Argumente zubilligen. Poe interessierte sich leidenschaftlich für die Kryptologie. Eine erfundene Geschichte um einen Goldschatz wäre ihm sicherlich zuzutrauen gewesen, zumal die Hintergrundgeschichte literarischen Charakter hat. Auch Stilanalysen zeigen einige Parallelen zwischen der Beale-Schrift und Poes Werk. Doch das alles hat noch keine Beweiskraft. Kryptologisch interessierte Schlitzohren mit literarischem Talent gab es seinerzeit sicherlich viele, und Wild-West-Geschichten wurden gerne gelesen. Daher bleibt als Fazit: Wir werden so schnell nicht erfahren, wer der wahre Autor war.
Der Artikel wurde dem gerade erschienenen Buch des Autors entnommen:
Klaus Schmeh: Codeknacker gegen Codemacher. Die faszinierende Geschichte der Verschlüsselung. W3L Verlag, 2007
Klaus Schmeh ist Informatiker mit Spezialgebiet Kryptografie und nebenberuflicher Journalist. Er ist Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) sowie deren Regionalgruppe Rhein-Ruhr. Seine persönliche Homepage.