Die Jahre des Pop
Mehr als nur Wunderwelten aus Plastik
Das Centre Pompidou in Paris zeigt mit der Ausstellung "Die Jahre des Pop" einen pluridisziplinären Rückblick auf das künstlerische Schaffen der 50er und 60er Jahre.
Seit Mitte März gibt es im Französischen Feuilleton ein einziges Megathema. Jede Publikation, die etwas auf sich hält, lässt eine Sonderausgabe drucken oder zumindest ein umfangreiches Dossier zusammenstellen. Die Ausstellung "Les Années Pop" (Die Jahre des Pop), die derzeit im Pariser Centre Pompidou zu sehen ist, wird selbst Wochen nach der Eröffnung von wahren Besucherstürmen heimgesucht, stundenlang stehen sich die aus aller Welt angereisten Besucher die Beine in den Bauch, damit sie sich die epochalen und stilbildenden Momente der Jahre von 1956 bis 1968 ansehen dürfen. Was schon vorweg genommen werden kann: Ein Besuch bis zum 18.Juni in Paris lohnt sich und die kulturbeflissenen Menschenmassen sind für einmal ein zuverlässiger und Ernst zu nehmender Indikator.
Es gibt wohl kaum einen geeigneteren Ort als das Centre Pompidou um die Jahre des Pop wieder aufleben zu lassen. Die heute noch - einem überdimensionierten Raumschiff gleich - futuristisch anmutende Architektur des 1977 erbauten Gebäudekomplexes vermittelt schon vor dem Ausstellungsbesuch einen Eindruck auf das Kommende. Entgegen landläufiger Assoziationen, die Pop in erster Linie mit Malerei (Warhol) und Musik (Beatles und Stones) in Verbindung bringen, widmet die Pariser Epochenschau einen zentralen Teil der Architektur der 60er Jahre. Und nicht wenige ausgestellte Skizzen und Modelle ähneln dem Ausstellungsort in verblüffender Weise.
So zum Beispiel der "Fun Palace" von Cédric Price. Die späten 50er und die frühen 60er Jahre "erlebbar machen", ist denn auch das Leitmotiv, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Einem pluridisziplinären Ansatz folgend, werden rund 500 Objekte aus den Bereichen Design, Architektur, bildende Künste und Musik präsentiert. Für Catherine Grenier, Kuratorin am Centre Pompidou widerspiegelt sich dieser Anspruch im Titel der Veranstaltung, "diese Ausstellung 'Die Jahre des Pop' zu nennen, ist genau eine Möglichkeit sich nicht auf Pop Art zu beschränken, sondern sich zu öffnen, zum Beispiel den Entwicklungen an der amerikanischen Westküste, und vor allem ein Gleichgewicht zwischen dem anglo-amerikanischen Raum und Europa herzustellen."
Der gekonnte Mix von Ikonen, wie etwa Andy Warhols "Marilyn" und Oldenburgs überdimensionierte Lebensmittelnachbildungen, sowie Alltags- und Gebrauchsgegenständen aus der Zeit, gibt den Jahren des Pop einen Ausdruck, der so oft bei einem Rückblick, der sich nur den bekanntesten Protagonisten widmet, verloren geht. Dadurch wird dem damals mit Vehemenz vertretenen Anspruch, dass Kunst nicht elitär, sondern eben populär zu erscheinen habe, auch drei Jahrzehnte später nachgelebt.
Dem Besucher präsentiert sich in den geschwungenen, labyrinthförmig angeordneten Ausstellungsräumen eine üppige Fülle an Objekten, der Ausstellungsgrundriss geht gleichsam in die Formen der Exponate über. Zu sehen sind sozusagen die Originale des gegenwärtigen Retro-Hypes. Plastik und Bakelit en masse. Tupperware Geschirr, Olivetti Schreibmaschinen designed by Ettore Sottsass, Unterhaltungselektronik von Sony - alles was in den Haushalten der Mittfünfziger noch anzutreffen und inzwischen in Boutiquen als "Original 60er Jahre" für teures Geld zu erstehen ist.
Am Anfang steht Hamilton
Als Eckpunkt - sowohl chronologisch als auch Inhaltlich - steht gleich zu Beginn der Ausstellung Richard Hamiltons Collage mit dem Titel "Just What is it That Makes Today's Homes so Different, so Appealing?" aus dem Jahre 1956. Das zusammen geklebte Geschnipsel mit dem posierenden Bodybuilder inmitten von eben erst für den Massenkonsum verfügbaren Annehmlichkeiten, wie Staubsauger, Tonbandgerät, Fernseher und Lebensmittelkonserven, repräsentiert eine programmatische Vorwegnahme der kommenden Jahre. Richard Hamilton charakterisierte die Popkultur einst als, "populär, vergänglich, ersetzbar, erschwinglich, serienmässig herzustellen, jung, spirituell, sexy, trickreich, verführerisch und gut verkäuflich". Mit Hamilton im Hinterkopf lassen sich die 12 dokumentierten Jahre durch ein Raster betrachten, das einen stets wieder vor Augen führt, mit welch leichtfertigem Fortschrittsglauben und Optimismus der Alltag betrachtet und künstlerisch umgesetzt wurde.
Der Nachkrigsmief war definitiv verflogen, statt dessen dominierten Zukunftsvorstellungen, wie sie später nie mehr denkbar sein sollten. Sei es weil sie wie im Fall der Mondlandung Realität wurden oder aber im Zuge der Erdölkrise in den frühen 70er Jahre in Erinnerung gerufen wurde, dass allem Fortschrittsglauben durch politisch-ökonomische Implikationen ein jähes Ende gesetzt werden kann. Vor diesem Hintergrund wirken die grelle Farbenpracht und die bewusst überdimensionierten Objekte, wie etwa Roy Lichtensteins Comicstrips wie ein Aufbäumen, ein letztes sich Bewusstwerden der ungeheuerlichen Möglichkeiten jener Zeit.
Gerade die technischen Innovationen, die mit einer wahren Flut von Konsumgütern ab den 50er Jahren den Alltag elektronisierten, und auf der anderen Seite die Künste, die sich schon seit Anfang des 20. Jahrhundert mit der Mechanisierung der verschiedensten Lebenswelten auseinandersetzten, begannen sich allmählich gegenseitig zu durchdringen. Die Science Fiction Literatur, die die Eroberung des Weltraums durch den Menschen vorwegnahm, sowie die an industrieller Fertigung orientierten Vervielfältigungstechniken grafischen Schaffens der Pop Art sind Beispiele dieser wechselseitigen Befruchtung.
Künstler als Maschine
Nicht zuletzt tritt der Künstler so allmählich in den Hintergrund; eigentliche Meisterwerke gibt es nicht mehr, da die problemlose Realisierbarkeit von hohen Auflagen die Exklusivität negiert. Von den Sujets her betrachtet, ist der Künstler weniger Autor, denn ein Vermittler zwischen der Alltagswelt der Werbung und des Glamours auf der einen und dem Endprodukt auf der anderen Seite. "Ein Pop Art Maler malt eben keine Cola-Flasche, sondern ein Werbeplakat, das eine Cola Flasche darstellt. Er malt nicht Marilyn Monroe sondern eine Fotografie auf der Marilyn zu sehen ist", so Catherine Grenier, Kuratorin am Centre Pompidou und Leiterin von "Les Années Pop".
Trotz dieser selbst auferlegten und schaffensbedingten Bescheidenheit, lebt gerade die Pop Art stark mit ihren Ikonen assoziiert. Die Pariser Ausstellung spart denn auch nicht mit Referenzen an die grossen Namen. Andy Warhols Wirkungsstätte "Factory" zum Beispiel wird ein eigener Raum gewidmet, eine Ehre, die nur noch Claes Oldenburg und seinem Blow-up Ensemble "The Store" zu Teil wird. Ansonsten lebt "Les Années Pop" von der Vielfalt der ausgestellten Objekt und ihrer Schöpfer; dies ist eine Garantie dafür, dass den Popjahren nicht ein Stempel, wie etwa als Zeitalter des Plastik aufgedrückt werden kann. Gleichsam einen kontextualisierenden Rahmen schaffen am Ende der Ausstellung Videoprojektionen mit einem Abriss der Weltgeschichte der 50er und 60er Jahre. Der grosse Publikumsandrang vor den Bildschirmen, könnte einerseits ein Hinweis darauf sein, dass aus gutem Grund niemand so schnell die Ausstellung verlassen will, oder das Interesse an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mindestens so gross ist, wie an der Kunst als solcher.
"Les Années Pop" Centre Pompidou, Paris
Bis 18. Juni, tägl. ausser Dienstag 11 bis 21 Uhr
Eintritt 50 F