Die KfW und die Schulden aus der Kaiserzeit
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) versucht mit hohem Aufwand, Altschulden einzutreiben
Anwälte der KfW meldeten sich just zu der Zeit, als die Staatsbank gerade noch 300 Millionen Euro an die insolvente Lehman Bank überwiesen und dabei verloren hat. Sie drohten mit „Zwangsvollstreckungsmaßnahmen“, wenn nicht die Altschulden gezahlt würden. Rund 700 Betroffene gäbe es zur Zeit, schreibt die Sprecherin der KfW auf Anfrage.
Beispielsweise hatte 1920 der Großvater eines Betroffenen € 4291,53 aufgenommen, um in der Nähe von Pirna einen Gutshof betreiben zu können. 1953 konnte die Familie nicht das Abgabesoll erfüllen, sollte verhaftet werden und flüchtete. Die Familie wurde enteignet, der Hof und das Land in eine LPG überführt. Seitdem haben andere dort gelebt und den Hof bewirtschaftet. Das Gut erhielt die Familie nicht zurück, die neuen Bewohner hatten sich in das Grundbuch eintragen lassen. Dennoch verlangt die KfW mit Schreiben vom 6. Juni dieses Jahres die Schulden aus dem Jahr 1920 zurück. Die Familie fühlt sich deshalb dreifach enteignet: erst durch die DDR, dann durch die Gerichte, die das Elternhaus absprachen, und dann durch die Forderungen der KfW.
Andere traf die Post der KfW noch unvorbereiteter, denn sie wussten von keinen Schulden. So eine Unternehmerin aus Mecklenburg- Vorpommern. Sie war vor dem Antrag auf Rückübertragung des Grundstücks extra ins Grundbuchamt gefahren. Dort waren keine Belastungen eingetragen. Da in der DDR Volkseigentum grundsätzlich nicht belastet sein durfte, wurden die Eintragungen zwar im Grundbuch gelöscht; in den Büchern der Staatsbank hingegen schlummerten die Schulden weiter. 13 000 Reichsmark hatte sich einmal ihr Großvater geliehen für seinen Bauernhof. Stets zahlte er pünktlich seine Raten. Und er wollte auch weiter zahlen. Doch auch diese Familie wurde enteignet und vertrieben. Deshalb hätte sie eigentlich gern ein Gegenrechnung aufgemacht für die Zeit, in der andere auf dem Hof gewirtschaftet haben und so einfach die Schulden hätten abtragen können. Doch dieses Argument ließ die KfW nicht gelten. Also musste sie nicht nur die Investitionen aufbringen, um den völlig heruntergewirtschafteten Hof auf Vordermann zu bringen, sondern auch die Altschulden zahlen.
„Als einen Schildbürgerstreich“ wertet Manfred Kolbe das Vorgehen der KfW. „Das ist keine Glanzstunde des Rechtsstaats“, kritisiert der CDU/CSU-Abgeordnete und kündigt eine Anfrage bei der Bundesregierung an. Immerhin habe die KfW hunderte Arbeitsstunden investiert und überdies externe Anwaltskanzleien beschäftigt, um Uraltschulden aus der Kaiserzeit einzutreiben. „Die hätten den Arbeitsaufwand lieber auf ihr Risikomanagement konzentrieren sollen, dann wären nicht 300 Millionen Euro an Lehmann überwiesen worden“, sagte Kolbe im Interview.
Dem hält die Kreditanstalt für Wiederaufbau auf Anfrage entgegen, dass „ein vernünftiges Verhältnis zwischen Aufwand und den an die Berechtigten abgeführten Einnahmen“ bestehe. Überdies handle die KfW nicht eigenmächtig, sondern „ist durch einen Erlass des Bundesministers der Finanzen“ dazu gehalten – so die KfW auf Nachfrage. Das Bundesfinanzministerium (BMF) wiederum beruft sich auf Anfrage auf den Einigungsvertrag, der dazu verpflichte, Forderungen des ehemaligen Staatshaushalts der DDR geltend zu machen.
Das sei der eigentliche Skandal, finden die Betroffenen. Viele haben jegliches Vertrauen in den Rechtsstaat verloren. Damit aber ist ein enormer Schaden entstanden. Wie verhältnismäßig dies ist in Relation zum eingetriebenen Geld, vermag das BMF nicht zu sagen. Es gebe keine Statistik über den betriebenen Aufwand, schreibt das BMF auf Anfrage. Angesichts der Akribie, mit der die KfW alte DDR-Unterlagen durchforstete, erscheint dies zumindest widersprüchlich.
Ohnehin hatte eigentlich der Bundesgerichtshof 2001 entschieden, dass solche Altschulden verjährt sind. Erstritten hatten dies Urteil zwei Frauen, die sich weigerten, Schulden ihrer Urgroßmutter aus dem Jahre 1911 zu begleichen. „Das ist sicher ein Grundsatzurteil für vergleichbare Fälle, weil die kurze Verjährungsfrist höchstrichterlich geklärt worden ist“, wertete BGH-Sprecher Gerhard von Lienen damals die Entscheidung.
Zu diesem Zeitpunkt hoffte die KfW, insgesamt noch 125 Millionen Euro auftreiben zu können. Dazu gehörten auch Uraltschulden in Höhe von 9,7 Millionen Euro von denjenigen, die nach der Wende ihr Grundstück oder das ihrer Vorfahren zurückerhalten haben.
Also griff die KfW zu einem Trick und erklärte einfach jeden Fall für einzigartig, der individuell geklärt werden müsse. Und so kam es auch. Ein neues Gesetz wurde 2004/2005 von der rot-grünen Regierung eingebracht und verabschiedet. Demnach sollte ab diesem Zeitpunkt auch eine neue Zeitrechnung beginnen, die Verjährung aufgehoben werden. Mit diesem Gesetz in der Hand, machte sich die KfW wieder daran, Geld einzutreiben. Und wieder gingen Betroffene bis zu BGH. Doch dieses Mal unterlagen sie.
Mit diesem Urteil in der Hand setzt die KfW nun ihre Forderungen durch. Für jeden Einzelnen bedeuten die Forderungen oft eine schwere Belastung. Doch um Beträge von € 4000 bis € 17.000 einzutreiben, hat die KfW viel Arbeit investiert, teure Anwaltskanzleien beschäftigt und einen enormen Aufwand betrieben. Ein Unding, findet der Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe. Er kritisiert: „Wenn ich mir vorstelle, dass da große Anwaltskanzleien mit der Eintreibung dieser Forderungen beauftragt werden, und ich deren Stundensätze kenne, dann kann unter dem Strich nichts herauskommen, so dass dies für den Bund möglicherweise sogar ein Verlustgeschäft ist. Als Parlamentarier habe ich die Aufgabe, so etwas zu verhindern.“