Die Kinder fressen die islamische Revolution

Seite 2: Die Protestbewegung und das Militär

Gleichzeitig ist das Militär aber auch jener Teil des Gefüges, in dem sich Dissenz am Spürbarsten auswirken könnte.

Was das aktuelle Protestgeschehen von den überwiegend von Studierenden getragenen Demonstrationen in den vergangenen Jahrzehnten unterscheidet ist, dass es hier Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht und Bevölkerungsgruppe sind, die für Freiheiten eintreten.

Es ist denkbar, dass die Protestbewegung über kurz oder lang deshalb auch ins Militär einsickert und dort Anhänger findet.

Zudem ist auch unklar, wie stark die Entscheidungen der Führung der Revolutionsgarden tatsächlich ideologisch geprägt sind, und wie groß ihre Unterstützung für das Regime tatsächlich ist. Ihre Daseinsberechtigung beziehen die Revolutionsgarden aus dem Schutz der Strukturen der Islamischen Republik, die wiederum letztlich nur durch den Schutz der Revolutionsgarden weiterhin existieren.

Die Führung der Revolutionsgarden

Gleichzeitig führen die Revolutionsgarden unter Führung von Generalleutnant Hossein Salami ein Eigenleben. Auf ihre Aktivitäten im Jemen, im Irak, in Syrien und anderswo scheint niemand sonst einen Einfluss zu haben und in den vergangenen Jahren gab es vermehrt Anzeichen dafür, dass Salami auch nach politischem Einfluss strebt.

Anders als sein Vorgänger Ali Dschafari ist er immer wieder auf Bildern von Sitzungen der Regierung zu sehen und wird in den staatlichen Medien mit knallharten Statements gegen die USA, Israel und den Westen im Allgemeinen zitiert. Zwar hat es im Iran nie einen Militärputsch gegeben. Aber es erscheint zumindest vorstellbar, dass die Revolutionsgarden es tun könnten.

Eine junge Garde?

Zumal es auch noch den biologischen Faktor gibt: Nahezu alle, die die Islamische Republik heute vom Ajatollah, über die Regierung, die Gremien wie den Wächterrat und die Justiz dominieren, sind bereits sehr alt und werden in den kommenden Jahren nahezu zwangsläufig entweder sterben oder aus Altersgründen abtreten müssen.

Eine zweite, jüngere Garde, die das System in gleicher Ausprägung am Laufen halten könnte, ist derzeit nicht erkennbar.

Schon seit Jahren läuft im Hintergrund die Suche nach einem neuen Ajatollah, der auf Khamenei folgen könnte. Denn um dieses Amt übernehmen zu können, ist der reinen Lehre nach die möglichst breite öffentliche Unterstützung erforderlich.

Doch genau hier zeigt sich, wie überholt, wie entrückt von der Gesellschaft diese Institution heute scheint: Jeder Kandidat, der für die Vertreter des aktuellen Regimes akzeptabel ist, wäre es wohl für große Teile der Öffentlichkeit nicht.

Eine Feinheit der iranischen Verfassung

Allerdings kommt hier eine Feinheit der iranischen Verfassung ins Spiel: Der reinen Lehre nach wird der Ajatollah vom Expertenrat gewählt, einem 88-köpfigen, vom Volk gewählten Gremium. Bei der letzten Wahl 2016 war die Zahl der potenziellen Kandidaten mit um die 800 extrem groß – was kein Zufall war.

Es ist eine der Taktiken der Reform-Bewegung, den Wächterrat mit so vielen Kandidaturen wie möglich zu überwältigen, in der Hoffnung, dass es schon ausreichend viele schaffen werden. Tatsächlich hielten nach der Wahl die Personen, die dem Reformer-Lager zugerechnet werden, eine Mehrheit im Expertenrat.

Doch direkt danach zeigten sich die Einschränkungen: Der Verfassung nach ist der Ajatollah dem Gremium untergeordnet, kann sogar von ihm des Amtes enthoben werden. Doch Khamenei machte schnell deutlich, dass er nicht vorhat, sich unterzuordnen. Expertenräte, die ihn kritisierten, wurden festgenommen oder zum Rücktritt gedrängt.

Für Probleme sorgen aber aus Reformersicht auch die hohen Anforderungen an das Amt des Expertenrats: Kandidieren darf nur, wer ausgewiesener Experte in islamischem Recht ist.

Und das sind so gut wie immer Leute, die weit über 60 Jahre alt sind. Im Ergebnis versterben viele während der achtjährigen Amtszeit, was zu Nachwahlen führt. Heute haben die Reformer deshalb keine Mehrheit mehr.