Die Kommissare, das Parlament und die Moral
Europäische Muskelspiele: Kommissare im Kreuzverhör
Es hätte ein freundliches Wegloben für ihn werden sollen: Rocco Buttiglione, Philosophieprofessor, Christdemokrat und Papst-Intimus, wurde von Silvio Berlusconi eher überraschend für das Amt als Kommissar für "Inneres, Justiz und Freiheit" vorgeschlagen. Seitdem droht der auch in Italien eher unbekannte Buttiglione zur Stolperfalle für Jose Manuel Durão Barrosos neue Kommission zu werden. Allerdings nicht die einzige. Die Ausschüsse des sonst als eher zahnlos wahrgenommenen Parlamentes vollführen eine Machtdemonstration der Parlamentarier - ein Warnschuss für Durão Barroso.
Die Europäische Union mit all ihren Institutionen und Gremien ist in vielen Punkten nicht direkt demokratisch legitimiert. Von den EU-Bürgern unmittelbar gewählt sind nur die EU-Parlamentarier, über deren Wirken in den meisten Staaten jedoch wenig berichtet wird. Dabei werden in Straßburg und Brüssel immer mehr wichtige Entscheidungen getroffen und der Ruf des seit 1979 gewählten Parlaments als zahnloser Tiger ist weitgehend unberechtigt. Mit dem Haushaltsrecht und dem Ernennungsrecht der EU-Kommission hat das Parlament zwei der wertvollsten Rechte. Welche Macht es tatsächlich hat, demonstriert das im Juni neugewählte Abgeordnetenhaus nun erstmals.
Rocco Buttiglione ist Philosoph mit Leib und Seele, und Philosophen treibt es nur selten in die große Politik. Zum einen liegt es vielleicht daran, dass politisches Tagesgeschäft wenig Zeit für schöne Künste lässt. Zum anderen auch daran, dass zu philosophische Äußerungen bei den Wählern und Kollegen Politikern nicht immer so ankommen, wie sie gemeint hätten sein können. Buttiglione ist sich sicher, dass sein persönliches Weltbild nicht auf seine Amtsausübung abfärbt - doch so recht glauben will man ihm das nicht. Um die Christdemokraten im eigenen Land dauerhaft ruhig zu stellen, hatte Ministerpräsident Silvio Berlusconi den in Gallipoli geborenen Buttiglione für den Posten des Kommissars für "Inneres, Justiz und Freiheit" vorgeschlagen.
Postenschacher für umstrittene Politiker
Seitdem der EU-Kommissionspräsident Durão Barroso von den Staatsoberhäuptern mit mehrheitlich unbekannten Namen für die 25 Ressorts beglückt wurde, rumort es rund um die höchsten Vertreter der Europäischen Union. Manche von ihnen waren vor ihrer Berufung auch im eigenen Land eher aus der zweiten Reihe oder aus besonderen Gründen nach Brüssel abkommandiert - Durão Barroso selbst war bekanntlich ebenfalls nicht gerade die erste Wahl und akzeptierte alle Vorschläge der Staatschefs. Und so nominierte jede Regierung in den 25 Mitgliedsstaaten der EU einen Kommissar - für den nun auch noch ein angemessen großes oder kleines Ressort her muss. Nach dem Sommertheater um einen geeigneten Präsidenten spielt das Parlament nun mit den Kommissaren das gleiche Spiel wie die Staats- und Regierungschefs der "EU 25" mit dem Präsidenten.
Rocco Buttiglione fiel im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres gleich doppelt durch: Zuerst stellte man (mit einer Stimme Mehrheit) in geheimer Abstimmung fest, dass er für das vorgesehene Amt untauglich wäre - um sodann mit deutlicherer Mehrheit festzustellen, dass er als Vizepräsident in jedem Ressort am falschen Platz wäre. Der Rechtsausschuss hingegen hatte mit ihm keine größeren Probleme - Grüne und Sozialdemokraten sahen allerdings gewisse Zweifel an der Fähigkeit, "positive politische Maßnahmen auf dem Gebiet der Bürgerrechte durchzuführen, vor allem bei der Bekämpfung von Diskriminierung." Durão Barroso soll zwischenzeitlich angeboten haben, die Minderheitenpolitik aus Buttigliones Ressort mit dem eher seltsamen Zuschnitt zu streichen. Doch auch mit den weiteren Kommissaren ist nicht alles eitel Sonnenschein.
Viviane Reding, die designierte Informationsgesellschafts- und Medienkommissarin, gab ein wenig glückliches Bild ab: Zwar überzeugte wohl ihre Bereitschaft sich des Themas ihres neuen Postens anzunehmen, doch ihre Kompetenz schien den Parlamentariern dann doch eher zweifelhaft. Vermutlich ist die Skepsis auch auf die personelle Veränderung zurückzuführen: Mit dem Finnen Olli Rehn hatte seit dem Weggang von Erkki Liikanen in den letzten Monaten ein junger, aber überzeugender Fachmann das Ressort kommissarisch betreut - wird nun jedoch Erweiterungskommissar.
Insbesondere zu Softwarepatenten schien die bisherige Bildungs- und Kulturkommissarin Reding nicht sehr aufschlussreiche Worte zu finden: "Ultimately, it is a commercial problem and we have to reconcile interests." Das Europäische Parlament hatte sich in der Vergangenheit bereits klar gegen Softwarepatente positioniert, von der konservativen Luxemburgerin hatten sich die Parlamentarier offenbar ein deutlicheres Statement erhofft.
Auch die dänische designierte EU-Agrarkommissarin Marian Fischer-Boel musste sich viele kritische Fragen der EU-Parlamentarier gefallen lassen: Insbesondere ihr eigener persönlicher Hintergrund als dänische Großgrundbesitzerin und das Ausweichen der designierten Kommissarin erzeugten einigen Unmut in Reihen der Parlamentarier. Kritische Begleitung gab es auch für den designierten EU-Umweltkommissar Stavros Dimas, bei dem die fehlende Erfahrung mit Umweltpolitik bemängelt wurde. Der Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquín Almunia durfte sich immerhin einen "zufriedenstellenden" Gesamteindruck bescheinigen lassen, seine künftige Regionalpolitik-Kollegin Danuta Hübner hingegen nur ein "relativ zufriedenstellend". Die im Vorfeld umstrittene designierte Kommissarin für Steuern und Zöllle Ingrida Udre konnte immerhin noch ein "akzeptabel" ernten - wenn die Vorwürfe gegen sie bald ausgeräumt wären.
Alles oder Nichts: Das Parlament kann nicht über einzelne Kommissare abstimmen
Dabei ist die neue Kommission ungewohnt hochwertig besetzt: Die neue Kommission besteht aus einer Unzahl ehemaliger und bekannter Minister. Da ist zum Beispiel der zukünftige Handelskommissar Peter Mandelson. Ganz unbritisch ist der mal "Architekt von New Labour", "Königsmacher", "Prince of Darkness" oder einfach nur "Tony Blairs Spin Doctor" genannte ein ausgesprochener Europabefürworter. Zweimal von Blair mit Ministerämtern bedacht, schied er beide Male vorzeitig aufgrund von Affären aus dem Kabinett aus. Dass er nun in Brüssel eine neue Chance erhält, liegt an seinem immer noch ungetrübten Verhältnis zu Blair. Der charismatische Mann aus der britischen Arbeiterstadt Hartlepool wird sich auch als Handelskommissar in Brüssel nicht über längere Zeit zurückhalten.
Die Zahl der mit einer glatten Eins bewerteten Auftritte ist ebenfalls imposant: Neben der österreichischen designierten Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, die sich insbesondere durch das Meistern der außenpolitischen Krise nach Bildung der ÖVP/FPÖ-Koalition einen Namen machte (die anderen EU-Staaten boykottierten Österreich nach der Regierungsbeteiligung der Haider-Partei), sind auch die schwedische Margot Wallström, der deutsche bisherige Erweiterungskommissar Günter Verheugen und der designierte Verkehrskommissar Jacques Barrot ohne Probleme durch den EU-Tüv gekommen. Auch an den Auftritten des künftigen Fischereikommissars Joe Borg aus Malta, der vorgeschlagenen Finanz- und Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaité aus Litauen und des irischen designierten Binnenmarktkommissars Charlie McCreevy hatten die Parlamentarier nichts oder nicht viel zu auszusetzen.
Da das EU-Parlament die Kommission nur in ihrer Gesamtheit und nicht einzelne Kommissare ablehnen kann, versucht Durão Barroso derzeit, die Wackelkandidaten in Gesprächen mit den Fraktionschefs im EP durchzubringen. Ob dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich die deutschen Abgeordneten positionieren: 99 der 731 Abgeordneten sind in der Bundesrepublik gewählt worden - die mit Abstand größte Fraktion. Der Kommissionspräsident kann sich jedenfalls auf ein agiles und auch etwas lauteres EU-Parlament freuen. Was wiederum seinerseits bei der nächsten Wahl 2009 auch wieder für mehr Wähler an den EU-Urnen sorgen könnte.